laut.de-Kritik
Kinder-Liedgut für die humorbegabte Familie.
Review von Michael SchuhWohl dem, der mit dem Kinderzeugen bis heute gewartet hat. Noch vor zehn Jahren erschien der Reigen von Kindermusik-Interpreten, deren Texte über simpelstes Abzählreimniveau hinauskamen, extrem überschaubar. Kindermusik, das war stets eine Medaille mit zwei Seiten: Zwar waren die beschallten Kids vom ersten Takt an (besonders auf Autofahrten) selig (also ruhig), man selbst konnte die meist hanebüchene musikalische Umsetzung jedoch kaum ertragen.
Heute gibt es die Hamburger Hip Hop-Checker Deine Freunde, Heike Makatschs Kinderlieder im Indie Rock-Kostüm, und es gibt das Münchner Café Unterzucker.
Mit "Leiser!" veröffentlichte das bis zu zehnköpfige bayerische Kollektiv schon 2013 ein Album. "Bitte, Mammi, Hol Mich Ab!" macht genau da weiter: ein Parforce-Ritt des anspruchsvollen (Kinder-) Humors voll geistreicher Bonmots, zu denen auch Erwachsene schmunzeln, selbstverständlich unpeinlicher und anspruchsvoller als alle Silbermond- und Annett Louisan-Platten zusammen.
Schon das Motto des Albums sagt eigentlich alles aus: "Liedgut für die humorbegabte Familie", das Café selbst bezeichnet sich als "Institut für ungesüßte Kinderkultur und unversäuerten Erwachsenenschmarrn". Herrlich. Behandelte "Leiser!" vor allem den Umgang mit dem Thema Lautstärke, in dem auch die ewigen Spießernachbarn schön ihr Fett abbekamen, stehen nun der Sommer, die Ferienzeit und das Herumlungern auf dem Programm.
Doch der Albumtitel deutet es schon an: Hier werden keine Klischees breit getreten à la "Sommerzeit, Sommerzeit, wir träumen noch, wenn es wieder schneit". In "Bitte, Mammi, Hol Mich Ab!" geht es um Real Life-Probleme, wenn sich etwa ein überbehütetes Kind zum ersten Mal mit der 'Wildnis' Zeltlager konfrontiert sieht. Auszug: "Ich sitze hier im Feriencamp seit 22 Stunden / die Trennung von Zuhaus' hab ich bis jetzt nicht überwunden (...) Im Designer-Kofferset fand ich heut' früh zwei Schnecken / und meine Markengummistiefel haben schon drei Flecken / und stell' dir vor, beim Frühstück gabs nicht einmal Nutella / stattdessen fiel ein Käfer auf den teuren Outdoor-Teller."
Wird hier noch vergleichsweise hochdeutsch gesungen, macht das mantrahaft wiederholte "Wann samma denn do? / Samma denn do? / Samma denn do?" in "Autogrill" schnell klar, wo hier die Limo geholt wird. Wie schon auf dem Vorgänger versucht ein Chorleiter in Skits zwischen den Songs wieder (meist vergeblich), seine Männer auf Linie zu bringen. Die singen entweder falsch, hören nicht zu oder tanzen sonstwie aus der Reihe. "Was unterscheidet den Mensch vom Tier", will er etwa vor "Nur Der Mensch" wissen. Antwort: "Das Tier ist immer offline."
Im darauffolgenden Song geht es um die Smartphone-Versessenheit der heutigen Elterngeneration, was lyrisch so klingt: "Die Taube gurrt, der Kater schnurrt, die Henne legt ein Ei / die Kuh kaut wider, der Hund ist zwider, das Schaf hat heute frei / die Krähe krächzt und jeder ächzt, wär' schön wenn sie's nicht täte / der Goldfisch schweigt, die Grille geigt, nur der Mensch schaut in Geräte."
Musikalisch erscheint das Café Unterzucker wie ein rechtsfreier Raum: Unter der Leitung des Komponisten Tobias Weber pflügt man durch Bluegrass, Ska, Jazz, Rock'n'Roll und Seemannsliedgut. Auch eine Art bayerische Coverversion von "Felicita" (Al Bano & Romina Power) ist dabei. Schlagzeug, Tuba und Banjo stechen auf "Bitte, Mammi, Hol Mich Ab!" hervor. Ebenfalls ein Solo erhalten Bratsche, Hawaiigitarre oder die Trompete, die Notwist-Basser Micha Acher spielt. An den Drums sitzt mit Greulix Schrank der Ex-Drummer der Metalband Schweisser.
Auch wenn Café Unterzucker kürzlich in Bielefeld aufgetreten sind, dreht sich der Konzert-Aktionsradius der Gruppe eher in bayerischen Gefilden. Bis dahin gilt: Bitte Mammi, spuis nomoi!
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