laut.de-Kritik
Der Nu-Metal-Thermomix am Anschlag.
Review von Alex KlugCharts, Streaming, Titelseiten: Die ersten Monate ihrer Reunion dürften Linkin Park unterm Strich als vollen Erfolg verbuchen – Sekten und KI-Covern zum Trotz. Das wundert nicht, war Marketing neben Melodien und Mashups doch stets die drittgrößte Säule des Bandkonstrukts.
Den raschen Siegeszug verdankt die Band mitunter ihrer Flagschiff-Single "The Emptiness Machine": Reich an Harmonien, hart genug für alte Fans, zart genug fürs Radio. Selbst gestandene LP-Feinde kapitulierten vor dem monströsen Ohrwurm-Faktor des Tracks. So darf die Brian Johnson-Phase einer Band starten.
Ohne Frage bettet sich die Vorabsingle bestens ins dynamische Mittelfeld der Diskografie ein. Alternative Rock, wie er vor Pseudo-Härte und Gen-Z-Pop-Anbiederung zuletzt zu hören war. Das lyrische Rezept aus "Numb"-Zeiten ("All I want to do is be more like me and be less like you") lässt sich auch mit neuem Besteck garnieren ("Gave up who I am for who you wanted me to me") – das können sie einfach, das schafft kein Thermomix und auch (noch) keine KI.
Die unter der pessimistischen Grundüberschrift laufenden "We both know how the story ends"-Texte belegen weiterhin Allgemeinplätze. Vielleicht austauschbar, aber zweifelsohne noch immer große Feels für jüngere Generationen mit Wut im Bauch und "When a song describes exactly how you feel"-Mindset im Herzen. Hobby-Journalisten wiederum können sich super an vermeintlich autobiographischen Zeilen, hier an der selbstbewussten Sängerinnen-Wahl totanalysieren: Single #2 "Heavy Is The Crown" eignet sich doch wunderbar dafür.
Als erster von fünf Tracks folgt er dem guten alten Chester-und-Mike-Schema von Strophe-Rap/Refrain-Gesang und geizt dabei auch nicht mit kompositorischen Reminiszenzen: Im Intro winkt die geläufige "Faint"-Akkordfolge, der Refrain bewegt sich gefährlich nah am 2023er-Shinoda-Solotrack "Already Over" und im Outro grüßt noch kurz der Transformers-Soundtrack "New Divide". Aber ihr wisst selbst: Aufgewärmt schmeckts manchmal noch besser als am Vortag. Oder liegts an der Extra-Würze von "In Da Club"- und "The Real Slim Shady"-Co-Autor Mike Elizondo?
Gemessen an den ersten beiden Singles stand mit "From Zero" ein glossy Aufguss früherer Großtaten zwischen "Hybrid Theory" und "Minutes To Midnight" bevor: gitarrenlastig, zuckrig, catchy. Das zwischen den beiden Tracks platzierte "Cut The Bridge" boxt sich mit massiven "Bleed It Out"-Vibes zwar ebenfalls in rockigere Gefilde, setzt aber auf eine etwas analogere, rohere Schlagseite, die aus den Vorab-Singles (inklusive der Pop-Halbballade "Over Each Other") nicht abzulesen war. Mike Shinodas Rap-Parts sitzen auch mit Ende 40 treffsicher auf dem Beat – auch wenn sich der juvenile 2007er-Flow nicht ganz so leicht reproduzieren lässt wie der charakteristische Rap-Rock-Stampfer-Beat.
Die eher mediokre (ich höre nur einen Pre-Chorus, aber wo ist der Refrain?) Emily-Nummer "Over Each Other", für die sich der stets im Zentrum des Geschehens tänzelnde Shinoda kurzzeitig zurücknimmt, leitet dann das zwei "From Zero"-Drittel ein – und das ist überraschender als vieles, was man sich für ein Linkin Park-Album 2024 hätte ausmalen wollen.
"Casualty" bedient zunächst einmal die schlechte, mindestens seit Album Nummer vier nachweisbare Angewohnheit, mit der die Band versucht, Alt-Fans zu targeten. Wie schon "Blackout" auf "A Thousand Suns", "Victimzed" auf "Living Things" und "The Hunting Party" quasi in Gänze versucht "Casualty", durch stumpfestes Screaming Härte oder gar Old-School-Vibes zu erzeugen. Das Ergebnis das immergleiche: halbgar. (Bonus-Cringe im Intro-Snippet: "Can you get your screaming pants on?")
Dabei vereint der Song alte und neue Trademarks eigentlich ganz gut: Die Heavy-Gitarren sind weit entfernt von Delsons gewolltem "Hybrid Theory"-Plastik-Modular-Sound, dafür gibts aber eine Bridge, die sich als gekonnter (zieh mal die Fanboy-Brille aus: als "dreister") "A Place For My Head"-Ripoff entpuppt. Originale Mr. Hahn-Cuts inklusive.
An dessen trip-hoppige Interludien der beiden Erstwerke ("Cure For The Itch" / "Session") knüpft dann auch "Overflow" mit seinen schleppenden DJ-Shadow-Drums an – kantiger als erwartet, leider mit etwas zu Dicker-Hose-Swagger-Attitüde von Shinoda am Mic. Instrumental oder Emily-only wäre das hier kein Verlust gewesen. Aber Mike, was ist eigentlich aus Conscious-Rap-Tracks wie dem überragenden "Hands Held High" geworden? Gäbs da nicht noch mehr, wo das herkommt? (Und warum war das ohne externe Songwriter geiler?)
Und dann gehts weiter mit dem, was sich wohl der Durchschnittskonsument gewünscht haben dürfte. Mit "Two Faced" liefern Linkin Park wie bestellt: Nu-Metal-Riffs, leicht pubertäre Mitsinglyrics samt übersteuertem "Stop yelling at me"-Einsatz und ein Scratch-Inferno wie 2001 – dank Emily Armstrong mit Guano-Apes-in-besten-Tagen-Attitüde inklusive. Diskografie-Kenner*innen erinnern sich hier an "Figure.09". Das alles in wirklich schwer okayem, weil organischerem Sound – sowas passiert wohl, wenn man den neuen Drummer co-produzieren lässt. Colin Brittain statt Rick Rubin, so lautet das Rezept.
"Stained" führt den Stil weiter. Die Hook darf man nervig oder brillant finden, für den AOR-Vibe ist sie zweifelsohne gut gemacht. Im "Yeah Yeah Yeah"-Part von "IGYEAH" schlägt das Cring-o-meter noch einmal kurz aus, aber so funktioniert sie eben, die adoleszente Wut, die Linkin Park im 24. Jahr nach "Crawling" mundgerecht kredenzen.
Und auch die Reihe hochgefühliger Album-Closer erweitern Linkin Park um ein achtes Puzzlestück: Das wie so viele Tracks gemeinsam gesungene "Good Things Go" fühlt sich schon jetzt sehr nach Filmabspann an (ob nun "Transformers" oder "Twilight"), kommt aber trotzdem ohne große Rest-in-Peace-Geste aus. Ein hochstabiles Ende mit Post-Rock-Gitarre und halb singendem, halb rappendem Mike.
Was bleibt vom Nullpunkt? Mit "From Zero" gehen Linkin Park weder auf Nummer sicher, noch bekennen sie sich erneut zum soundscapigen Band-Dekonstruktionsprozess eines mutigen "A Thousand Suns" (2010). Anders als noch zu selbstkritischen Chester-Zeiten sind in Emilys (mutmaßlichen) Texten noch ein bisschen mehr die anderen schuld. Trotzem: guter und vielseitiger Job. Auch von Colin Brittain. Die punkigen Drumparts kauft man der Band trotzdem nicht so ganz ab, zu sehr fehlen im organischen Kontrast die expressiveren Momente wie "The Little Things Give You Away" und "The Catalyst".
Ob sich hinter "From Zero" nun die wahren Linkin Park™ verbergen oder das Ganze doch nur wie vielerorts suggeriert als Tarnname des in vielen Interludien zu hörenden Best-Friends-Projekts Shinoda/Armstrong herhalten muss: Nicht alles ist gold, aber vieles, ja vieles, das flowt. Endlich mal wieder.
13 Kommentare mit 34 Antworten
"Selbst gestandene LP-Feinde kapitulierten vor dem monströsen Ohrwurm-Faktor des Tracks"
Leider ja. Es ist wie nach dem 10. Mal baggern und endlich überredet werden.
Schöne Renzension. Wäre wohl gar nicht nötig gewesen.
Gute Sache, Klug da ranzulassen. Fanboyt bisschen (ich fühl das, ich war zu Minutes 2 Midnight zwölf und konnte mich trotz nie-Fan-seins-und-die-immer-etwas-überhypet-finden kaum der Magie der 2024-Liveschnipsel entziehen), aber ist immer noch ne faire und vor allem selbstkritische Kritik. Einziges Detail: "A Thousand Suns" erschien 2010, nicht 2008 (und ja, ein wenig mehr in die Richtung hätte mir auch gefallen).
Album geb ich mir wohl am Wochenende mal. Singles funktionieren live auf YouTube, ausm Studio hab ich noch keinen Ton gehört.
Freu mich drauf, Singles gefeiert, weitere leaks umgangen. Höre ganz klassisch zu Release
Besser als alles, was nach Hybrid Theory und Meteora kam.
Aus kommerzieller und teenage-angst - bedingter Sicht sicher, künstlerisch fand ich sowohl M2M als auch A Thousand Suns deutlich spannender. Über das was danach kommt, müssen wir wohl nicht reden.
Mag sein, dass es Nostalgie ist, ja.
Linkin Park schon immer Overrated und wie fast 90% Prozent der Musik aus den 2000ern schlecht gealtert.
Mein am wenigsten bevorzugtes Musikjahrzehnt. Höre tatsächlich das meiste aus der Zeit aus reiner Nostalgie. "Unreasonable Behaviour" von Laurent Garnier ist aber eine Platte, die ich aus heutiger Sicht noch fantastisch finde, ebenso wie die "Hitman"-Soundtracks von Jesper Kyd oder manches von Amon Tobin.
Und natürlich "Untrue" von Burial. immer noch ein besonderer Schatz.
Konnte den Hype um "Hybrid Theory" schon damals nicht nachvollziehen. Klang wie das musikalische Äquivalent zu den Need For Speed-Spielen ab "Underground". Nett für zwischendurch, aber auch ziemlich kalkuliert und auf größtmögliche Verkaufbarkeit ausgerichtet. Neue Platte höre ich vielleicht mal aus Nostalgie.
Konnte den Hype um "Laut.de" schon damals nicht nachvollziehen.
Las sich schon immer wie das Äquivalent zu Bravo-Hintergrundberichten zu Gil Ofarim oder Daniel Johns, aber auch ziemlich kalkuliert und auf größtmögliche Verkaufbarkeit ausgerichtet.
Neue Kommentare lese ich vielleicht mal aus Nostalgie.
@Lost …
Warum biste dann noch hier?
Außerdem passt wohl kaum ne Band besser in die Bravo als LP.
Ich bin lost.