laut.de-Kritik

Zwischen Johann Sebastian Bach und Mogwai.

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Der klassisch ausgebildete Pianist und Komponist Carlos Cipa kombiniert verschiedene Einflüsse zu einem stimmigen Ganzen. Diese reichen von Johann Sebastian Bach über Steve Reich bis hin zu Björk und Postrock-Marke Mogwai. Zudem kommt die Virtuosität nicht zu kurz. Die tritt nun auf "Retronyms" zugunsten eines offeneren Ansatzes in den Hintergrund.

Dabei bringt der Münchener Klavier, akustische Instrumente, Synthesizer und digitale Produktionsmethoden genauso zum Einsatz wie diverse Komponenten aus Klassik Pop. Zur Hälfte handelt es sich um ein durchkomponiertes Werk, der Rest stellt entweder ein Resultat produktiven Miteinanders dar oder war einfach dem Zufall geschuldet. Außerdem arbeitete Cipa mit Musikern und Musikerinnen aus den unterschiedlichsten Backgrounds zusammen, etwa mit dem Posaunisten Christopher Mann oder dem Trompeter Matthias Lindermayr. Erstgenannter leitet das Album in "Fanfare" mit Einspielübungen ein, die der Münchener im Studio technisch manipulierte, so dass eine kurze, avantgardistische Skizze entsteht.

Carlos selbst spielt nicht nur Piano, sondern auch andere Tasteninstrumenten, etwa Celesta und Harmonium, analoge Synthesizer und Keyboards wie Wurlitzer und Fender Rhodes, was sich in "Senna's Joy" deutlich bemerkbar macht. Das Stück baut sich über behutsame Tastenschläge langsam auf, wird nach und nach um Celesta, Marimba und weitere Instrumente ergänzt, nur um sich ab der Mitte, von imposanten Posaunenklängen und himmlischen Streicher-Crescendi begleitet, in immer majestätischere Sphären aufzuschwingen. Mit Trompeten klingt es schließlich sehnsüchtig aus.

Die Nummer weist eine große Palette an Emotionen auf, folgt formal aber zu sehr dem klassischen Postrock-Schema. Dafür lässt Cipa seiner Musik diesmal viel mehr Zeit und Raum, sich zu entfalten. Jeder einzelne Ton ist mit Bedacht gesetzt. Davon profitieren vor allem die ruhigeren Stücke in der zweiten Hälfte.

Steht in "And She Was" mit kreisenden, tänzerischen Klavierfiguren noch die Schönheit der Melodie im Mittelpunkt, geht es nach düsteren Violinen in "Awbsmi" und "Slide." in akustische Ambient-Gefilde à la Brian Eno über. Sanfte E-Gitarre trägt die Nummer, unterstützt von sphärischer Elektronik. Der Track strahlt viel Rughe aus, bevor perlendes Piano und elegische Streicher ein Gefühl von Schwermut erzeugen und mit elektronisch imitierten Naturgeräuschen nahtlos in "Dark Tree" übergehen. Dort lassen flächige Synthesizer, anmutiges Piano und jazzige Trompete ein mystisches Wald-Szenario vor dem inneren Auge entstehen.

Gerade das letztgenannte Instrument verschmilzt im abschließenden "Paon", einer kunstvollen Improvisation, mit Carlos' bewegtem Spiel zu einer unaufdringlichen, aber dafür umso zärtlicheren Symbiose, die Erinnerungen an "L'Apocalypse Des Animaux" von Vangelis weckt. So wie die Zugvögel im Herbst und Winter in Richtung Süden aufbrechen, so instinktiv wirkt auch das Zusammenspiel aus. Dabei lässt das Stück jeglichen neoklassizistischen Schönklang zugunsten minimalistischer Zurückhaltung hinter sich.

Im Großen und Ganzen schlägt "Retronyms" trotz seines zurückgenommenen Charakters musikalisch in alle möglichen Richtungen aus und erstrahlt in unterschiedlichsten Farben. Spontanität und kompositorische Klasse verbinden sich zu einem bildhaften und atmosphärisch intensiven Werk, das die Hektik um einen herum für rund 50 Minuten vergessen lässt.

Trackliste

  1. 1. Fanfare
  2. 2. Senna's Joy
  3. 3. Mame
  4. 4. And She Was
  5. 5. Awbsmi
  6. 6. Slide.
  7. 7. Dark Tree
  8. 8. Paon

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