laut.de-Kritik
Daft Punk, Disclosure, Chic: Nile Rodgers stemmt alles.
Review von Toni HennigChic mussten nach ihrem letzten Album "Chic-Ism" von 1992 zwei Schicksalsschläge verkraften. So starb ihr Ausnahmebassist Bernard Edwards 1996 in einem Hotel in Tokio an einer Lungenentzündung und Drummer Tony Thompson erlag 2003 einem Krebsleiden. Trotz alledem blieb der restliche Kern der Band bis heute bestehen. Als Nile Rodgers & Chic gingen die Amerikaner regelmäßig auf Tournee. Ursprünglich sollte "It's About Time" schon 2015 erscheinen. Nur schwebte Mastermind Nile Rodgers zu dieser Zeit ein ganz anderes Werk vor.
Mit der Platte wollte sich der mittlerweile 66-Jährige nämlich nach überstandener Krebserkrankung bei Michael Jackson, David Bowie und Prince bedanken, auf deren Alben er in den 80er-Jahren als Musiker und Produzent neue Maßstäbe im Pop setzte. Jedoch segneten diese Künstler leider nach und nach das Zeitliche. Dementsprechend musste sich Rodgers für "It's About Time" ein neues Konzept ausdenken.
Nun kehrt er zu den Ursprüngen von Chic als Disco-Band zurück, erweitert aber ihre Musik um zeitgemäße Pop- und R'n'B-Einflüsse. Dabei folgt die Formation nach wie vor dem gleichen Credo wie in den späten 70er-Jahren, was er gegenüber der Spex betont: "Wir machen Musik, um die Menschen glücklich zu machen." Schlechte Laune kommt beim Hören der Platte also gar nicht erst auf.
Anders als auf "C'est Chic" (1978) und "Risque" (1979), die im Grunde genommen von einer geschlossenen Bandleistung profitierten, steht auf dem Werk eine junge Generation an Musikern im Fokus. Dass Rodgers in den letzten Jahren mit Daft Punk oder Disclosure kollaborierte, hört man dem Album demnach deutlich an.
Zu Beginn führen Mic Mensa, Mura Masa und Cosha in "Till The World Falls" auf die Tanzfläche, während der Mastermind ein paar lässige Funk-Akkorde an der Gitarre aus dem Ärmel schüttelt. "The world gone mad / we might be safer on the dancefloor", heißt es in dem Track. Schließlich rückt Nile keinen Millimeter von seiner Vision ab, einzig und allein mit der vereinigenden Kraft der Musik die Welt zum Guten verändern zu können.
Im weiteren Verlauf der Platte jagt somit eine optimistische Message die nächste, wie man es als Hörer seit jeher von Chic kennt. Für das Werk entleerte Rodgers vergessene Archive von 1979. Doch nicht jede Idee, die er als Chief Creative Advisor mit Hilfe seiner Band und zahlreichen Gastsängern in den Abbey Road Studios wiederbelebte, erweist sich unbedingt als zwingend. Von Hits wie "Le Freak" oder "Good Times" fehlt hier jede Spur.
"Boogie All Night" mit NAO und "Dance With Me" mit Hailee Steinfeld schielen mit simplen Pop-Rhythmen und weiblichem Gesang auf ein Massenpublikum. Über eine lange Halbwertszeit verfügen diese Nummern aufgrund ihres all zu gleichförmigen Charakters nicht. Sicherlich verlangt kaum jemand von Chic etwas Anspruchsvolles. Trotzdem hätte man als Hörer mehr erwartet als ein abgeschmackter Autotune-Part von LunchMoney Lewis in "Do You Wanna Party" oder ein bemühter "Get Lucky"-Gedächtnisrefrain in "I Dance My Dance".
"Sober" pendelt dagegen mit dem Gesang von Craig David und den Raps von Stefflon Don gelungen zwischen den Polen sanft und dreckig hin und her und beschwört außerdem mit urbanen 90's-R'n'B-Klängen wohlige Erinnerungen an Michael Jackson herauf. Ein etwas souligeres Duett gehen wiederum Elton John und Emeli Sandé zu lasziven, exotischen Rhythmen in "Queen" ein. Mit "State Of Mine (It's About Time)" beherbergt das Album zusätzlich ein leichtfüßiges Instrumental, das mit jazzigen Einschüben von Philippe Saisse an "Savoir Faire" von "C'est Chic" gemahnt.
Mit "I Want Your Love" hält "It's About Time" sogar eine Neueinspielung eines Songs eben dieser Platte bereit. Als Gastsängerin für das Stück stellte sich Lady Gaga zur Verfügung und
beeindruckt mit ihrer röhrenden, kraftstrotzenden Stimme, die sich kontinuierlich um mehrere Oktaven nach oben schraubt. Ein großartiger Abschluss, der letztlich doch Lust auf das nächste Chic-Album macht, das wahrscheinlich im Februar 2019 in die Läden kommt. Hoffen wir, dass sich der Mastermind hier und da noch ein paar spannende Ideen aufgehoben hat.
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