6. Februar 2012

"Ich wollte cool bleiben, aber es ging nicht"

Interview geführt von

Von null auf hundert, sprich: vom Kellner-Job auf die Showbühne. Für Christina Perri wurde der Traum eines jeden Gitarre zupfenden Twens wahr, der heutzutage versucht, über YouTube oder andere Kanäle einen Weg aus den eigenen vier Wänden ins öffentliche Rampenlicht zu finden.Es ist noch keine anderthalb Jahre her, da kümmerte sich Christina Perri noch liebevoll um die Gäste eines Allerwelts-Cafés in L.A., zog abends um die Häuser und setze sich nachts mit ihrer Gitarre vor die Webcam und postete Coversongs und eigene Herzschmerz-Dreiminüter via YouTube ins Netz.

Ende Juni 2010 schaffte es ihr Song "Jar Of Hearts" über Umwege in die amerikanische TV-Show "So You Think You Can Dance", und von heute auf morgen wurde aus der zierlichen Kellnerin ein Star. Mittlerweile reißen sich die internationalen Gazetten um die Erfolgs-Story der italienisch-stämmigen Bardin.

Ihr Debütalbum "Lovestrong" fand millionenfach Einzug in liebeskranke Haushalte rund um den Globus, und auch live liegen ihr die gebrochenen Herzen zu Füßen. In Berlin trafen wir auf eine redselige Christina Perri, die immer noch nicht so recht glauben kann, was seit Monaten um sie herum passiert.

Hallo Christina, du warst vor einigen Wochen das erste Mal live in Europa unterwegs. Um genauer zu sein: Du hast sechs Shows in Irland, Schottland und England gespielt. Wie lief es?

Christina: Absolut fantastisch. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich außerhalb der Staaten aufgetreten bin und ich hätte niemals mit einer derartigen Resonanz gerechnet. Alle Shows waren restlos ausverkauft. Wir mussten teilweise in größere Hallen umziehen, da die Nachfrage an Tickets so enorm war. Es hat einfach alles gepasst: die Band, das Licht, der Sound, die Fans: einfach alles. Besonders in Irland sind die Leute wahnsinnig mitgegangen.

Hast du Unterschiede ausmachen können zu deinen bisherigen Konzerten in den USA?

Christina: In Amerika sprengt nahezu alles in irgendeiner Art und Weise den Rahmen. Die Venues, die Reaktionen der Fans und das ganze Drumherum. Allerdings ist auch alles wesentlich kurzweiliger als anderswo; vielleicht sogar oberflächiger, verstehst du? Was heute gefeiert wird, ist morgen vielleicht schon wieder out.

Als ich zum Beispiel in Glasgow beim ersten Auftritt die Bühne betrat, hatte ich sofort das Gefühl, als würden mich die Leute kennen. Aber nicht nur als Musikerin, sondern als Menschen. Das ist schwer zu beschreiben. All die Gesichter vor der Bühne drückten Wärme, Zuneigung und Vertrautheit aus. In Amerika ist es eher so: Auf der Bühne steht der Star, und vor der Bühne die kreischende Gefolgschaft. Hier hatte ich das Gefühl dazuzugehören. Das war neu und unheimlich entlastend für mich. Es war einfach schön, ein wirklich tolles Gefühl.

Wenn man die letzten anderthalb Jahre nimmt, könnte man meinen, du gingest seit dem Sommer 2010 jeden Abend mit einem überschwänglichen Gefühl ins Bett. Ist das so?

Christina: Es fällt mir wirklich schwer die letzten sechzehn Monate irgendwie in Worte zu fassen. Mittlerweile habe ich zwar schon weitgehend realisiert, was mit mir und meinem Leben geschehen ist, aber es gibt auch immer noch Momente, in denen ich gekniffen werden muss. Es passiert jeden Tag etwas Neues, etwas Aufregendes, und das jetzt schon permanent seit anderthalb Jahren. Ich meine, letztens habe ich in London vor vollem Haus gespielt, und jetzt sitze ich hier mit dir in Berlin: Das ist schon ziemlich verrückt. Aber ich liebe es und ich bin dankbar für jede Sekunde, die ich gerade erleben darf.

Es würde wahrscheinlich den Rahmen sprengen, die denkwürdigsten Augenblicke der Vergangenheit aufzuzählen, oder?

Christina: Oh ja, ich denke schon. Aber es gibt natürlich trotzdem immer wieder Dinge, die dennoch herausstechen.

Die da wären?

Christina: Zunächst einmal der Tag, an dem ich meinen ersten Platten-Deal unterschrieb. Das war am 22. Juli 2010. Dann erinnere ich mich gerne an den Moment, als ich erfuhr, dass ein Song von mir auf dem Twilight-Soundtrack landet. Ich saß gerade im Flieger und fing fürchterlich an zu schwitzen. Ich wollte cool bleiben, aber es ging einfach nicht. Es ist wirklich schwierig, denn es gab so viele Augenblicke, die überwältigend waren.

Ich habe den besten Job der Welt

Wann hast du letztlich realisiert, dass dein altes Leben Geschichte und dein neues Leben als professionelle Künstlerin Gegenwart und Zukunft ist?

Christina: Ich glaube, ich habe sechs Monate gebraucht, um es zu glauben und weitere drei Monate, um herauszufinden, wie ich als Person am besten damit umgehe. Das erste halbe Jahr bin ich oft morgens aufgewacht und wusste nicht, wer, wo oder was ich bin. Alles war so neu, so surreal und ich hatte Angst, dass alles nur ein Traum sein könnte. Ich meine, das Ganze ist wie ein Lotterie-Gewinn, völlig abgefahren.

Ich war sehr unsicher und ging meinen Freunden ständig auf die Nerven. Dauernd sagte ich: Oh mein Gott, was passiert hier. Das ist zu viel. Ich kann das alles nicht. Das schaffe ich nicht. Meine Freunde packten mich dann und erwiderten: Natürlich kannst du das alles. Du machst es doch gerade; Tag ein, Tag aus. Das war unheimlich wichtig für mich, denn es nahm mir viel Druck und gab mir Selbstvertrauen. Mir selber einzugestehen, dass ich in der Lage bin, all das zu leisten, war ein langer und schwieriger Prozess. Als es dann endlich so weit war, musste ich lernen damit umzugehen. Das Hereinwachsen in die ganze Musik-Biz-Maschinerie hat mich dann noch mal drei Monate gekostet (lacht).

Hat dir die Zeit vorher, als du mit deinen Bruder (Nick Perri, Gitarrist von Silvertide) zusammen auf Tour warst und für die Band gearbeitet hast, bei deinem eigenen Eingewöhnungsprozess geholfen?

Christina: Ja, auf jeden Fall. Der ganze Vibe, die guten und die schlechten Seiten, das Leben auf Tour, die Entbehrungen: All das wurde mir während dieser Zeit vor Augen geführt. Wer weiß, wie lange ich für meinen eigenen Prozess gebraucht hätte, wenn ich diese Erfahrungen nicht gemacht hätte. Das hat mir definitiv geholfen.

Du machst trotz deines immensen Erfolges einen sehr aufgeräumten und geerdeten Eindruck. Ist es nicht unheimlich schwer, bei all dem was momentan auf dich einstürzt, auf dem Teppich zu bleiben?

Christina: Nein, gar nicht. Ich bin wirklich so dankbar für alles, was ich gerade erleben darf. Ich lebe meinen Traum. All die Privilegien, das Reisen, den ganzen Rummel nehme ich nicht als selbstverständlich hin. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die ihr Leben lang denselben Traum träumen und nie eine Chance bekommen diesen auch zu leben. Dankbarkeit ist das Wichtigste. Mein Vater würde mich ohrfeigen, wenn er merken würde, dass ich mich aufgrund des Erfolges plötzlich wie ein Arschloch benähme.

Ich bin immer noch dieselbe Christina, die ich war, bevor das alles hier losging. Es ist eher so, dass sich viele Leute in meinem Umfeld verändert haben. Letztens kam eine Freundin zu mir, die ich schon kenne seit wir Kinder waren. Sie wollte plötzlich ein Autogramm von mir. Wie verrückt ist das denn? Du willst die alberne Christina von früher? Du willst die unsichere Christina von früher? Hier ist sie! Ich habe mich nicht verändert. Ich habe einfach nur den besten Job der Welt.

Die Zeit im Studio war die Hölle

So unsicher wirkst du gar nicht. Vor allem machst du einen sehr selbstbewussten Eindruck, wenn man sich Live-Material von dir anschaut. Alles nur Fassade?

Christina: Ich bin noch weit davon entfernt, mit einem ruhigen, ausgeglichenen Gefühl auf die Bühne zu gehen. Ich bin immer total nervös. Mein Magen spielt verrückt und meine Hände zittern vor jedem Auftritt. Das ist alles ein Lernprozess. Ich weiß noch, wie ich für Jason Mraz eröffnen sollte, und ich mein eigenes Intro verpasste, weil ich wie ein physisches Wrack neben der Bühne stand und damit beschäftigt war aufzupassen, dass mein Herz nicht aus meiner Brust springt.

All die Arenen, die TV-Shows und den ganzen Rummel kannte ich bis vor kurzem nur aus dem Fernsehen. Ich war es gewohnt, auf meiner Couch zu performen (lacht). Mittlerweile habe ich es aber ein kleines bisschen besser im Griff, denn ich habe akzeptiert, dass diese Nervosität dazu gehört und letztlich auch Energien freisetzt, durch die ich mich dann fallen lassen kann, um mich auf der Bühne wohl zu fühlen.

Dein Debüt "Lovestrong" macht seinem Titel alle Ehre. Es geht fast ausschließlich um die Verarbeitung von Beziehungs-Dramen deiner Vergangenheit. Fühlst du dich jetzt befreit?

Christina: Befreit, ist, glaube ich, das perfekte Wort. Ich schreibe schon Songs, seit ich fünfzehn bin, und viele der Songs auf dem Album entstanden bereits vor Jahren. Meine Lieder entstehen immer aus einem bestimmten Moment oder Gefühl heraus. Immer im Hier und Jetzt. Und in dem Augenblick, wenn der Song fertig ist, lass ich das inspirierende Erlebnis ziehen. Der Song wandert in meine Tasche, und fertig. Wenn ich sie dann live spiele, kommen natürlich viele Erinnerungen wieder zurück, aber ich bin trotzdem durch mit der jeweiligen Thematik.

Anders war es dann bei den Aufnahmen, und darauf war ich nicht vorbereitet. Denn jeden Song noch mal in seine einzelnen Bausteine zu zerlegen und damit Gräben zu öffnen, von denen ich dachte, dass sie für immer geschlossen seien, war die Hölle. Es war ungefähr so, als würde man mein Herz permanent aufreißen und wieder langsam zunähen. Wir waren insgesamt 33 Tage im Studio, und ich lüge nicht, wenn ich sage, das waren die lehrreichsten und schlimmsten Wochen meines Lebens.

Aber es hat sich gelohnt.

Christina: Ich denke schon (lacht).

Mit Joe Chicarelli (The Killers, Frank Zappa, Tori Amos) hattest du einen erfahrenen Produzenten an deiner Seite. War er der "operierende Herz-Chirurg"?

Christina: (Lacht) Ja, in der Tat. Aber er war ein toller Arzt.

Ihr habt beide italienische Wurzeln. Spielte das eine Rolle, als es darum ging, den richtigen Mann für den Hintergrund zu finden?

Christina: Nein, nicht wirklich. Aber letztlich hat es sicherlich vieles vereinfacht. Ich hatte eine Liste mit fünf Produzenten, mit denen ich mir vorstellen konnte zu arbeiten. Als es dann zum ersten Treffen mit Joe kam, war gleich nach wenigen Minuten klar, dass er der Richtige ist. Natürlich ist es ein gutes Gefühl zu wissen, wenn jemand Erfahrung hat und bereits mit tollen Künstlern erfolgreich zusammengearbeitet hat. Darum ging es mir bei den ersten Treffen aber nur in zweiter Linie.

Mir war wichtiger, dass ich mich mit meinem Gegenüber verstehe: vor allem menschlich. Denn ich wusste, dieser Jemand würde mich die nächsten vier oder fünf Wochen nahezu 24 Stunden am Tag begleiten. Bei Joe hat es sofort gefunkt. Wir sind beide laut, reden viel und gestikulieren mit Händen und Füßen. Es war sofort eine Basis da. Wir haben die ersten Tage fast nur über unsere Familien und Essen gesprochen, ehe wir anfingen, uns mit meinem Material zu beschäftigen. Er ist ein Freund geworden, und das war sehr wichtig. So konnten wir uns letztlich auch musikalisch vollends öffnen.

Du hast in deiner noch sehr jungen Karriere bereits nahezu alle möglichen Location-Varianten kennengelernt. Du hast in kleinen Clubs gespielt, warst in Arenen unterwegs und warst auch schon beim Lollapalooza-Festival zu Gast. Hast du schon Vorlieben ausfindig machen können?

Christina: Natürlich ist es toll, in einer Arena auf einer großen Bühne zu stehen, oder auf einem Festival vor zehntausend Leuten zu spielen, aber am meisten beeindruckt und berührt haben mich die letzten Shows in England, Schottland und Irland. Das waren zumeist Theater-ähnliche Venues mit Steh- und Sitzplätzen, wo man jeden Einzelnen sehen konnte. Ich mag es nicht, wenn alle sitzen oder, wie bei einem Rock-Konzert, alle stehen, und man die Menschen in den hintersten Reihen nicht mehr sehen kann. Ich liebe die Verbindung und den Blickkontakt zum Publikum.

Hunderte fremde Augenpaare, die deine intimsten Momente mit dir teilen. Das stell ich mir mitunter auch sehr schwierig vor.

Christina: Dieses Gefühl der Fremde ändert sich, sobald ich die Bühne betrete. Aus hunderten Fremden werden hunderte Menschen, die mir nah sind. Wenn die ersten Töne erklingen, spüre ich ein Miteinander zwischen mir und den Leuten vor mir. Alles Fremde ist dann wie weggeblasen. Es ist, als würde man vor hunderten Freunden spielen.

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