laut.de-Kritik
Abschiedsdokument der ersten Supergroup der Rockmusik.
Review von Dominik KautzNur etwas mehr als zwei Jahre reichen dem englischen Power-Trio Cream, um sich mit einer Fusion aus Bluesrock, Hard Rock und Psychedelic Rock den bis heute unangefochtenen Legendenstatus zu erspielen. Von zeitgenössischen Kritikern treffend als "musikalische Autorität, die nur die Tauben nicht honorieren können und die nur die Ignoranten nicht hören" bezeichnet, schien der kometenhafte, äußerst rasante Weg der Virtuosen in den Rockolymp vorgezeichnet.
Im Dezember 1966 erscheint mit "Fresh Cream" der Startschuss der beispiellosen Karriere des von Beginn an als Supergroup gefeierten Trios. Eric Clapton gilt zu der Zeit bereits als überirdische Musikgröße. Dank seines begnadeten Spiels bei den Yardbirds und bei John Mayall & The Bluesbreakers verehren ihn Kritiker wie Fans als Gitarrengott. Die gemeinsam von Alexis Korners Blues Incorporated (Englands erste elektrisch verstärkt spielende Bluesband) sowie der Graham Bond Organisation kommenden Zankhähne Bassist Jack Bruce (1943-2014) und Schlagzeuger Ginger Baker (1939-2019) genießen ebenfalls bereits längst einen herausragenden Ruf als Meister ihrer Instrumente.
Der 1967er-Meilenstein "Disraeli Gears" verhilft Cream zum Durchbruch in den USA. Dort mausern sie sich, neben den Beatles und den Rolling Stones, als eines der ersten Power-Trios überhaupt (Hendrix gründet seine Jimi Hendrix Experience erst Monate später), zu Englands wichtigstem Musikexport.
So exzessiv die Konzerte, so exzessiv-destruktiv brennt das kreative Potential zwischen den drei Egos der Protagonisten. Mitte 1967 nehmen die seit Jahren herrschenden Spannungen zwischen Baker und Bruce wieder verstärkt zu. Teilweise kulminieren sie in offenen Kämpfen auf der Bühne oder Sabotageakten am Instrument des jeweils anderen. Der vermittelnd dazwischenstehende Clapton verliert immer mehr die Lust an der Band und flüchtet sich in zunehmenden Drogenkonsum. Wenig überraschend verkünden Cream kurz vor Release ihres dritten Albums "Wheels Of Fire" das Ende und ihre Abschiedstour für den Herbst 1968. Die erste als solche angekündigte einer großen Rockband in der Geschichte der Populärmusik.
Über ein halbes Jahrhundert später veröffentlicht Polydor mit "Goodbye Tour Live 1968" nun gebündelt in einer Box den US-Tourauftakt vom 4. Oktober im Oakland Coliseum sowie die Konzerte vom 19. Oktober im Los Angeles Forum, vom 20. Oktober im San Diego Sports Arena und das in der Londoner Royal Albert Hall stattfindende Tourfinale (26. November).
Die Setlists ähneln im Großen und Ganzen jener der regulären Tour, die ein paar Monate vorher über die Bühne ging. Hinsichtlich der Songauswahl liegt der Fokus klar auf "Fresh Cream" und "Wheels Of Fire". Alle Mitschnitte auf "Goodbye Tour Live 1968" beginnen mit dem Klassiker "White Room" und dem süffisanten "Politician". Gerade der Oakland-Show hört man dabei deutlich an, dass sich das Trio nach mehrmonatiger Konzertpause ohne Probe (außer einem kurzen Soundcheck vor der Show) erst noch richtig aufeinander einspielen musste.
Die Band entschuldigt sich dem Publikum gegenüber sogar dafür, "ein wenig eingerostet" zu sein. Besonders deutlich kommt das am Ende des stark ausgedehnten "I'm So Glad" zum Tragen. Fast wirkt es hier, als spielten Bruce und Clapton während des Jams aneinander vorbei. Highlights der Show: Das sehr weitläufige "Spoonful" und das furiose "Passing The Time", nach dessen Einführung Ginger Baker zu einem achtminütige Drumsolo inklusive beeindruckendem Doublebass-Exzess ansetzt und damit verdeutlicht, wie stark er das Schlagzeugspiel in der Rockmusik bis heute nachhaltig beeinflusst. Als einer der ersten importiert Baker das Spiel mit zwei Basstrommeln vom Jazz in den Rock und etabliert dort, ebenfalls als Pionier vorangehend, die lange Tradition des Schlagzeugsolos.
Die genau in der Mitte des Tourplans liegenden Auftritte im Los Angeles Forum und ein Tag später in der San Diego Sports Arena bilden mit ihren identischen Setlists sowohl musikalisch als auch klangtechnisch das Herzstück der Box. Im Forum vom ehemaligen The Electric Flag- und Hendrix' "Electric Ladyland" Session-Drummer Buddy Miles ehrfurchtsvoll würdigend als "drei verdammt fantastisch groovende Typen, [...] die immer noch da sind und immer da sein werden" angekündigt, spielen sich Cream wie eine bestens geölte Maschine gemeinsam in einen Rausch.
Claptons feurig-hingebungsvolles Spiel, Bruce' bis zum Anschlag aufgerissene Marshall-Amps sowie Bakers treibender Mix aus Rhythm And Blues-Pattern und afrikanischen Polyrhythmen addieren sich hier zu einem unglaublich lebendigen und organischen Komplex. Die Maxime der live absolut gleichberechtigt aufspielenden Supergroup im Forum und in San Diego: Klotzen statt Kleckern!
Das gilt in besonderem Maße für Ginger Baker, der sich in den riesigen Spielstätten neben Bruce' sonischem Erdbeben zum Teil kaum hört und daher extra aggressiv in die Felle drischt. "Es war derart laut auf der Bühne, dass meine Hände vom harten Spiel zu einem riesigen Meer aus Blasen wurden" so Baker. Dass er am Schlagzeug eine Klasse für sich ist, zeigt er in seinen jeweils knapp zehnminütigen, jedesmal unterschiedlichen Drumsoli in "Toad". Mit dem aus Graham Bond Organisation-Zeiten stammenden "Traintime" hat hier auch Jack Bruce unter Bakers Takt einen Soloauftritt der Extraklasse - allerdings an der Mundharmonika und nicht am Bass.
Nach den langsamen "Wheels Of Fire"-Bluesnummern "Politician" und dem 1930 von Walter Vinson gemeinsam mit Lonnie Chatmon geschriebenen "Sitting On Top Of The World" setzen Cream zum Flug an und ziehen in den für jede Cream-Show typischen Improvisationen alle Register ihres Könnens. Zwar gehören solche Jams zu jener Zeit zum guten Ton aller ernsthaften Rockbands. Niemand jedoch praktiziert das Improvisieren und Solieren von Show zu Show derart kraftvoll, mächtig und explosiv wie Cream. Vor allem der Mitschnitt der fantastischen San Diego-Show steht hier für sich. Beeindruckend, wie Clapton, Bruce und Baker die Anfänge und Enden von "I'm So Glad", "Sunshine Of Your Love" oder "Spoonful" als Startrampe und Landeplatz für ihre orgiastischen, komplett freien Improvisationen nutzen.
Gegensätzlich zur hohen Klangqualität der ersten drei Mitschnitte, deren Masters anhand der analogen Originalbändern erstellt wurden, kommt der Sound des Abschiedskonzerts in der Londoner Royal Albert Hall nicht über Bootleg-Qualität hinaus. Die Aufnahme klingt sehr roh und verwaschen, wodurch viele Details einfach im Klangbrei untergehen. Einzig Bakers Solo in "Toad" profitiert hier vom starken Rückhall innerhalb des traditionsreichen Kuppelbaus.
Die dreiwöchige Konzertpause nach dem letzten USA-Gig offenbart vor allem aber auch eines: Eine Band, die ihren Zenit zum Ende hin bereits überschritten hatte. Mit fast der gleichen Setlist wie in San Diego und etwas geringerem Fokus auf Improvisation beenden Cream ihr Heimspiel und ihre Karriere mit dem überraschenden Instrumental "Steppin' Out", das Clapton bereits mit den Bluesbreakers und seinem ephemeren Projekt Powerhouse spielte.
Vielleicht die beste Wahl, eine Band, der es immer nur um das Spielen ging, mit einem Instrumental zu Grabe zu tragen. Für Cream ist es kein guter Abschlussgig. Nach etwas mehr als einer Stunde und einem nüchternen, knappen Dankesspruch ist Schluss. Von nostalgischen Gefühlen wie etwa während Buddy Miles' kurzer Ansprache vor Beginn der San Diego-Show in London keine Spur. Dass BBC-DJ und Royal Albert Hall-Moderator John Peel den Abend mit einem kantigen "das muss es jetzt wirklich gewesen sein" beendet, passt da nur ins Bild.
Von den insgesamt 36 Tracks auf "Goodbye Tour Live 1968" erscheinen 29 erstmals auf CD. Dazu gehört das Abschiedskonzert, das bisher nur auf VHS und DVD existierte. Die im Los Angeles Forum gespielten "I'm So Glad", "Politician" und "Sitting On Top Of The World" veröffentlichten Cream 1969 auf dem offiziellen, halbgaren vierten Album "Goodbye". Das ebenfalls im Forum mitgeschnittene "Spoonful" verwendete Clapton selbst für den Soundtrack zu seiner autobiographischen Dokumentation "Life In 12 Bars". "White Room", "Politician" und "Deserted Cities Of The Heart" vom Tourauftakt in Oakland erschienen bereits 1972 auf "Live Cream Volume II".
Mit den vier kompletten Mitschnitten von Creams finaler Konzertreise auf "Goodbye Tour Live 1968" veröffentlicht Polydor das definitive Abschiedsdokument der Supergroup. Ein 65-seitiges Buch mit einem Essay von Rolling Stone-Redakteur David Fricke, zahlreichen Fotos der Tour und ausgewählten Zeitungsartikeln rundet das Release ab. Nach einem Wahnsinnsritt mit knapp 400 Konzerten innerhalb kürzester Zeit zeigt die musikhistorisch bedeutende Box zwar, dass Cream vor allem während ihres letzten Konzertes aufgrund tiefgreifender Spannungen im Bandgefüge business as usual abspulten.
Viel wichtiger aber zeigt sie mit den beiden herausragenden Shows der Tourmitte die Strahlkraft der übermächtigen Formation. "Man muss noch Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern zu gebären", schrieb Friedrich Nietzsche. Cream verkörpern damals wie heute beides wie keine andere Band.
Noch keine Kommentare