laut.de-Kritik

Back to the roots mit Blick nach vorn.

Review von

Nach dem fulminanten 2018er-Album "Great Escape" stieg Daniel Änghede als Sänger bei Crippled Black Phoenix aus. Den zwei Jahre später veröffentlichten Nachfolger "Ellengaest" nahm die Band mit verschiedenen Gastsängern- und Gastsängerinnen wie Gaahl, Vincent Cavanagh (Anathema) oder Suzie Stapleton auf. Auf der EP "Painful Reminder/Dead Is Dead" debütierte schließlich letztes Jahr Joel Segerstedt als neuer Vokalist. Der teilt sich nun auf "Banefyre" mit Langzeitmitglied Belinda Kordic das Mikro.

Inhaltlich geht es um die Verfolgung von Menschen, die die Gesellschaft als andersartig erachtet, aber auch um Tierschutz. Bei "Banefyre" handelt es sich um ein Wortspiel, das sich aus dem Songtitel "Bonefire" und der altenglischen Übersetzung des Wortes 'bonfire' zusammensetzt, das den Scheiterhaufen bezeichnet, auf dem früher Hexen verbrannt wurden. Für die Abmischung sorgte Kurt Ballou von Converge und das Coverartwork gestaltete Lucy Marshall.

Nach der Spoken Word-Einführung "Intro/Incantation For The Different" verbreitet "Wyches And Basterdz" mit mystischen weiblichen Vocals auch gleich eine hexenhafte Stimmung. Dabei stehen die eher zurückgenommenen Strophen im Kontrast zum emotionalen, lauten Chorus. Dieses Wechselspiel zieht sich auch durch weitere, von Kordics Stimme dominierte Stücke wie "Down The Rabbit Hole" oder "Everything Is Beautiful But Us". Ersteres mündet in einem furiosen Finale, und die zweite Nummer wartet mit hochdynamischen und betörenden Postrock-Klängen auf, wie sie nur Crippled Black Phoenix spielen können.

Songwriterisch variabler zeigt sich die Formation in den Songs, die hauptsächlich oder ausschließlich von Segerstedts Organ leben. Das tritt erstmalig in "The Reckoning" in den Vordergrund, das mit postpunkigen Saitentönen, trommelhaften Rhythmen und kämpferischem Gesang auch gut auf ein New Model Army-Album gepasst hätte, wären da nicht die melancholisch tristen Streicher, die davon zeugen, dass Crippled Black Phoenix wieder zur postapokalyptischen Stimmung ihrer Frühwerke zurückgefunden haben. Letzten Endes lassen sich die Stücke tatsächlich wieder als "Endzeitballaden" bezeichnen, wie die Band ihre Nummern nennt.

Und die dauern gerne mal an die vierzehn und fünfzehn Minuten, wie "Rose Of Jericho" und "The Scene Is A False Prophet" beweisen. "Rose Of Jericho" bietet zu Beginn mit schwelgerischen Rhythmen, stürmischen Saitensounds, Bläsern, Streichern und "Oh-oh-oh"-Chören alles, wofür man die Band früher geliebt hat und schwingt sich nach einer langen, postpunkig geprägten Passage zu einem ergreifenden Höhepunkt auf. "The Scene Is A False Prophet" beginnt klavierlastig und bedächtig, geht dann in der Mitte mehr ins Psychedelische über und mündet schließlich in einem kraftvollen Finale, bestehend aus einem langen Gitarrensolo und verzweifeltem Gesang im Stile von Roger Waters. Jedenfalls spielen Crippled Black Phoenix ihre Pink Floyd-Karte in dem Track voll aus.

Offenbar fürchtet sich die Band nicht davor, ihrem Sound auch mal eine gänzlich neue Richtung zu geben. So durchzieht "Blackout77", das vom Stromausfall handelt, der New York am 13. und 14. Juli 1977 ins Chaos stürzte, eine eisige wavige Stimmung im Stile Joy Divisions, und in "No Regrets", das es auf Vinyl als Bonus gibt, streift die Formation mit peitschenden Drums, wirbelnden Gitarren, druckvollem Bass und wütenden, verzerrten Vocals gar Black Metal-artige Gefilde, was erstaunlich gut funktioniert.

Am Ende bleibt ein Werk, das bei einer Spielzeit von fast hundert Minuten sicherlich auch mal die ein oder andere Länge besitzt, den Hörer jedoch für seine Geduld mit schaurig schönen Gänsehautmomenten belohnt.

Trackliste

  1. 1. Intro/Incantation For The Different
  2. 2. Wyches And Basterdz
  3. 3. Ghostland
  4. 4. The Reckoning
  5. 5. Bonefire
  6. 6. Rose Of Jericho
  7. 7. Blackout77
  8. 8. Down The Rabbit Hole
  9. 9. Everything Is Beautiful But Us
  10. 10. The Pilgrim
  11. 11. I'm Ok, Just Not Alright
  12. 12. The Scene Is A False Prophet
  13. 13. No Regrets

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2 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor einem Jahr

    "streift die Formation mit peitschenden Drums, wirbelnden Gitarren (...)"

    Den längsten Teil der Rezi kam es echt glaubhaft rüber, dass sie von Toni sein könnte, aber damit hast du dich dann doch verraten, Edele. Nice try jedenfalls.

  • Vor einem Jahr

    Kurt Ballou ist in Sachen Produktion echt eine absolute Bank.geworden. Meines Erachtens schon an seinen ersten Gehversuchen in Sachen Eigenproduktion abzulesen. "You fail me", was für viele Converge-Fans ja als das Stiefkind der Diskografie zu gelten scheint, klingt einfach so brutal, kalt, abgefuckt und räudig wie kaum eine andere Produktion aus der Zeit und dem Genre. Und in den 18 Jahren seitdem hat er ja nicht nur für seine eigene Bandtat manche Glanzproduktionstat zusammengezimmert.

    Nach Tonis bestärkender Rezi könnte das morgen durchaus nach längerer Zeit wieder mal ein CBP-Blindkauf für mich werden, selten nach ihrer bisherigen Hochphase herrschte nochmal eine so günstige Konstellation für einen weiteren mächtigen Wurf. Freu mich aufs Wochenende. :)

    • Vor 4 Monaten

      Yo, Spotify hat mich zu einem Track dieser Band geschickt von woanders und ich war spontan angetan, habe aber so wenig Zeit :D

      Lohnt es sich für mich, in die doch sehr umfangreiche Diskografie einzusteigen, wenn ich Solstafir liebe und z. B. das grüne/gelbe Album von Baroness (von Solstafir hat mich Spotify verlinkt, der andere Vergleich kam mir spontan, könnte aber auch völlig daneben liegen)?

      Und falls ja: Mit welchem Album soll ich starten?

      Vielen Dank! :)

    • Vor 4 Monaten

      Oh je, gerade Zeit brauchten die aber schon immer am meisten - neben ungeteilterr Aufmerksamkeit, sollte klar sein. :D

      Aber selbst für den Zeitmangel haben CBP was... nun ja, in ihrem besten Sinne wohl "einsteigerfreundlich" gemeintes und so nennbares in petto: "200 tons of bad luck" fasst den Eintritt in ihre mutmaßlich am meisten geschätzte Schaffen durch Kompilieren versch. Vorgänger echt gut zusammen.

      Wenn es noch schneller gehen soll mit dem Anhaken: Die "I, Vigilante"-EP. Da weißte, welchen Film die fahren. Ich sollte aber vielleicht dazu schreiben, dass ich die späteren Experimente mit unterschiedlichen Gesangsstimmen zwar alle gut bis manchmal sogar großartig fand sowie, dass ich CBP noch immer für einen der wirklich spannenderen gitarrengetriebenen Acs der aktuellen Zeit halte, aber die Geschlossenheit und atmosphärische Intensität ihrer Glanztaten haben sie nach dem Abgang von Joe Volk als Main Vocalist mMn nicht mehr erreicht.

    • Vor 4 Monaten

      *-r; *Schaffensphase;

    • Vor 4 Monaten

      Jong, diese "EP" hat ungefähr die Spieldauer einer 3p-Maxi-Single! :D

      Aber vielen, vielen Dank - ich bin einmal durch (leider mit geteilter Aufmerksamkeit :( ) und schon angetan. Da gibt es viele Spielereien zu entdecken, scheint mir, bei den Drums, dem Piano, den Gitarren... tatsächlich kamen mir jetzt die Vocals auf der Veröffentlichung zunächst am schwächsten vor, mit Ausnahme der Sängerin auf dem vorletzten Track. Aber vielleicht wachse ich da noch rein.

      Die 200 tons knöpfe ich mir danach dann vor, freu mich drauf!