laut.de-Biographie
D-12
Es hilft nichts: Geht es um die Detroiter Rap-Crew D-12, so muss man einfach mit Marshall Mathers III beginnen. Dessen Bedeutung für die Gruppe unter den Tisch zu kehren, erweist sich als schlicht unmöglich. Da können er, sein Management und das von D-12 gerne weiterhin in jedem zweiten Satz betonen, Eminem sei nichts weiter als ein stinknormales Mitglied der Truppe. Die Öffentlichkeit sieht das anders. Slim Shady dominiert und lässt seine Bandkollegen zwar am eigenen Ruhm teilhaben, gibt ihnen ansonsten aber relativ wenig Luft zum Atmen. Daran rüttelt auch die ironisch überspitzte Darstellung dieser Superstar-Homies-Konstellation in "My Band" von 2004 nicht.
Die Ursprünge von D-12 reichen bis zum Beginn der 90er Jahre zurück. Von Eminem spricht noch keiner. Proof allerdings zeigt sich zu diesem Zeitpunkt schon recht umtriebig. Wer in der Motor City in Sachen Rap unterwegs ist, gerät unweigerlich in den Dunstkreis eines Detroiter Plattenshops namens Hip Hop. MCs jeder Couleur treffen sich hier, gebattlet wird bei den Saturday Open Mic Sessions, bei denen sich irgendwann auch ein verrücktes Weißbrot einen Namen macht.
Die Kunde vom "Ill White Boy" dringt bis zu Proof durch. Dieser arrangiert ein Treffen mit Eminem, der zuvor Tapes mit eigenen Beats und Raps an Kon Artis schickte. Proof und Eminem, die in der gleichen Nachbarschaft aufwuchsen, sind sich sofort sympathisch: "Ich erinnere mich, dass wir uns die gleichen, obskuren Punchlines zuwarfen", so Proof. "Da wusste ich, der Junge hat seine Hausaufgaben als MC gemacht."
Proof, mit bürgerlichem Namen DeShaun Holton, ist - unter anderem als Host diverser Rap-Battles (der Charakter des Future aus dem Film "8 Mile", in dem Proof selbst in der Rolle des Lil Tic zu sehen ist, basiert auf seiner Karriere) - bereits stadtbekannt. Er beginnt, die abgedrehten unter den Detroiter Rap-Kräften in einem losen MC-Kollektiv um sich zu scharen. "Wir waren alle kleine Rapper mit irren Ideen, so dass wir eine Gruppe gründeten, um als verrückteste Crew aller Zeiten zu gelten." Das erklärte Ziel: "We are here to bring the sick, the obscene, the disgusting." Rau, ungezügelt und wild wollen sie sein. Dreckig eben. Das dreckige Dutzend. Dirty Dozen. D-12.
Anfangs zählen neben Proof, Eminem und Bizarre Eye Kyu, Killa Hawk und Fuzz zu D-12. Allerdings steht der Band-Charakter noch im Hintergrund; es handelt sich eher um ein losen Zusammenschluss. D-12 sehen sich der Tradition der Motor City verpflichtet. Sie nutzen und verwerten die Kultur Detroits und halten die Erinnerung an die alten Motown-Tage lebendig.
Einigen der Mitglieder gelingt es, in den ausgehenden 90ern ihren Namen in die Rap-Geschichte zu tätowieren. Bizarre veröffentlicht 1997 die Independent-EP "Attack Of The Weirdos". Proof gewinnt im Jahr darauf einen vom Magazin Source ausgeschriebenen Freestyle-Contest und wirft zudem die Single "Searchin' / Anywhere" auf den Markt. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt aber ein anderer.
Eminems "Slim Shady EP" von 1997 zieht Interesse auf sich - nämlich das von Dr. Dre und Interscope. Mit diesen Namen im Rücken erlebt der weiße Junge aus Detroit 1999 den Durchbruch: Seine "Slim Shady LP" bildet das Sprungbrett in eine Rap-Superstar-Karriere, die ihresgleichen sucht.
Der Erfolg seines Crew-Genossen treibt Proof dazu an, sein loses Rapper-Rudel etwas besser zu organisieren. Er rekrutiert Kuniva und Kon Artis von Da Brigade sowie Bugz. Dieser kommt am 21. Mai des gleichen Jahres bei einer Schießerei bei einer Picknickparty ums Leben. Den verbliebenen Mitgliedern geht Bugz' Tod buchstäblich unter die Haut: Sie ehren das Andenken an den verlorenen Bruder und tragen Bugz' Namen als Tätowierung. "Good Die Young" und "Bugz '97" vom zweiten Album "D-12 World" zeigen, dass Bugz auch fünf Jahre später nicht vergessen ist.
Um das dreckige Dutzend wieder zu komplettieren, nimmt Swift aka Swifty McVay, der bereits als eine Hälfte des Duos Rabeez zu Ehren kam, seinen Platz ein. Moment mal - Dutzend? Sechs Mann sind doch kein Dutzend! Dazu müssen schon die irren Alter Egos der Herren mit ins Feld geführt werden. Kon Artis tritt als Mr. Denaun Porter an, Big Proof als Derty Hairy (in beliebigen Schreibweisen). In Kuniva steckt Rondell Beene, in Bizarre gibt es reichlich Platz für Peter S. Bizarre, und Eminems finstere Seite findet in Slim Shady ihre Form.
D-12 stellen in Detroit eine Underground-Größe, mit der man rechnen muss - jenseits der Stadtgrenzen weiß jedoch noch kaum einer von dem verrückten Haufen. Das ändert sich schlagartig, als Eminem ins Rampenlicht tritt: "Wir haben vor sieben Jahren einen Pakt geschlossen, dass, wer immer auch als Erster einen Plattenvertrag ergattert, dem Rest der Gruppe ins Rapgame helfen wird", spricht The Real Slim Shady - und hält sich dran. D-12 erhalten mit "Under The Influence" ein fettes Feature auf Eminems "Marshall Mathers LP" und bringen darüber hinaus auf der vierten Ausgabe von Funkmaster Flex' "60 Minutes Of Funk" den Track "Words Are Weapons" unter.
Der Siegeszug D-12s beginnt 1999 mit einem Vertrag bei Eminems Label Shady Records. D-12 begleiten ihr berühmtestes Mitglied auf dessen Welttournee und werfen hinterher die von DJ Head produzierte ertse Single "Shit On You" unters Volk. Das Video hierzu rotiert sehr ordentlich auf den einschlägigen Kanälen - die Zeit ist reif fürs Debüt.
"Devil's Night", benannt nach dem schönen Detroiter Brauch, in der Nacht vor Halloween leerstehende Gebäude abzufackeln, steht ab Juni 2001 in den Regalen. Eminem, der nicht müde wird, zu betonen, er sei bei D-12 "nur ein Mitglied, wie jeder andere auch", dominiert jede zweite Hookline und rappt seine Kollegen auch sonst weitgehend an die Wand. Diese versuchen, mit eigenwilligen Flows und schrägen Ideen dagegen zu halten - fraglich, ob diese Rechnung aufgeht.
Ohne Zweifel erweist sich die Verkaufstrategie als goldrichtig: "Devil's Night" toppt die amerikanischen, die kanadischen und die britischen Album-Charts. Vier Tracks werden von Dr. Dre persönlich beigesteuert. Der Single "Shit On You" folgen "Purple Hills" ("Purple Pills", der ursprüngliche Titel des Tracks, der zu einem netten kleinen LSD-Trip einlädt, führt umgehend zu Ärger) und "Fight Music". Im Video hierzu treten unter anderem Ice T und Fat Joe in Erscheinung.
2001 produzieren D-12 gemeinsam mit den Gorillaz die Single "911". Um die Unabhängigkeit der Crew von Eminem zu demonstrieren, begeben sich D-12 und Eminem getrennt auf Tour, was allerorten für Verwirrung sorgt.
Die Produktion des Nachfolgers "D-12 World" von 2004 teilen sich Eminem, Dr. Dre, Kuniva und Kanye West. Als Gäste werden Obie Trice ("Loyalty") und Cypress Hills B-Real ("American Psycho II") empfangen. Auch D-12s zweiter Schlag landet an der Spitze der Verkaufslisten, auch wenn in der Kritik von Stagnation, mittelmäßigen Beats und Überschreitung der Grenzen des guten Geschmacks, ohne sich auf der anderen Seite witzig genug behaupten zu können, die Rede ist. Wieder bewegt sich Superstar Eminem im Zentrum des Geschehens. "My Band" werden die Auskopplungen "How Come" und "40 OZ" nachgeschoben.
2005 veröffentlicht Proof mit "Searching For Jerry Garcia" auf seinem Label Iron Fist sein erstes Solo-Album und startet dann ein Kollabo-Projekt mit dem Detroiter MC Dogmatic. Kon Artis wird 2006 für den Soundtrack zu "Waist Deep" von Vondie Curtis-Hall engagiert, der 1997 mit "Gridlock'd" unter der Mitwirkung Tupac Shakurs sein Filmdebüt gibt. Daneben treten Kuniva und Kon Artis als Duo Runyon in Erscheinung. Swift begibt sich mit eigener Gruppe Raw Collection an den Start. Bizarre und Proof nehmen eine gemeinsame DVD-Reihe unter dem Titel "Wanna Battle" in Angriff - doch dazu soll es nicht mehr kommen.
D-12 geraten 2006 aus traurigem Anlass in die Schlagzeilen: In der Nacht vom 10. auf den 11. April kommt es im CCC Club an der Detroiter 8 Mile Road zu einer Schießerei. Ein Streit zwischen Proof und einem Türsteher eskaliert. Proof schießt auf den Mann, ein Verwandter desselben richtet daraufhin seine Waffe auf Proof und feuert ihm je zwei Kugeln in Kopf und und Brust. Bei der Einlieferung ins Krankenhaus ist Proof bereits tot. Zunächst kursierende Gerüchte, Bizarre sei in den Vorfall verwickelt gewesen, bestätigen sich nicht.
Die verbliebenen D-12-Mitglieder werden ein weiteres Tattoo brauchen. Überlassen wir Eminem die Abschiedsworte: "Man weiß nicht, womit man anfangen soll, wenn man jemanden verliert, der für so lange Zeit ein so großer Teil des eigenen Lebens war. Proof und ich waren Brüder. Er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ohne Proofs Rat und Ermutigung gäbe es Marshall Mathers, aber möglicherweise keinen Eminem und mit Sicherheit hätte es nie einen Slim Shady gegeben."
"Es wird kein Tag vergehen, ohne dass wir seinen Geist und seinen Einfluss spüren werden. Wir werden ihn vermissen, als Freund, als Vater und als Herz und Botschafter des Detroiter Hip Hop. Eine Menge Leute beschäftigen sich jetzt mit den Umständen seines Todes. Ich möchte daran erinnern, wie er lebte: Proof war lustig, er war klug, er war charmant. Er inspirierte jeden in seinem Umfeld. Niemand kann ihn jemals ersetzen. Er war und wird es immer sein: mein bester Freund."
Zwei Jahre später meldet sich das reduzierte dreckige Dutzend mit einem umfangreichen Mixtape zurück: "Return Of The Dozen" wird allerdings ohne Eminems Raps realisiert. Dafür sind Momey Royce Da 5'9 und Guilty Simpson mit von der Partie. Ein wenig Dirty South (etwa Rick Ross' "The Boss"-Beat), etwas Dancehall-Atmo, Vocoder und andere Stimmverfremdung-Effekte: D-12 rappen gewohnt solide und auf einem Niveau, das keine Langeweile aufkommen lässt.
Erst im Sommer 2009 finden die D-12 Mitglieder nach fünfjähriger Pause wieder zusammen. "Proof hätte es so gewollt", sagt Eminem, der diesmal auch wieder mit dabei ist.
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