laut.de-Kritik
Perfekter Bastard aus Blasmusik, Afrobeat und wavigem Pop.
Review von Ulf KubankeAuch wenn es noch zwei Fußballer und einen Politiker gleichen Namens gibt - bei David Byrne denkt die Welt zu Recht an Talking Hits und perfekten Heulbojengesang. Acht Jahre nach der letzten richtig guten Solo-LP wartet der kollaborationsfreudige Popavantgardist gemeinsam mit St.Vincent und der überzeugendsten Scheibe mindestens seit der 1994er Großtat "Davidenryb" aus der Deckung. "Love This Giant" bedeutet eine Rückkehr zum Spaß; durchsetzt mit originellem Wahnsinn.
Byrne, seit jeher ein Meister des gelungenen Spagats zwischen kontrollierendem Diktator und sensiblem Teamplayer, hat sich mal wieder eine Mannschaft gebastelt, von der man nur inspiriert sein kann. Da wäre das grandiose in der Tradition von Byrnes Vorbild Fela Kuti agierende Antibalas Afrobeat Orchestra. Sowie der extrem vielseitige Co-Produzent John Congleton (vgl. nur Bono, Okkervil River oder Antony), der ein mehr als exzellentes Drum Programming abliefert. Was auf dem Papier stilistisch scheinbar wie Katz' und Hund zueinander steht, entpuppt sich unter der sanften Führung des scheuen Schotten als echte Einheit.
Die meisten Songs komponierte das ungleiche Songwriter-Paar nicht im traditionellen Sinne mittels Klampfe oder Piano. "Wir entschieden, Musik auf Grundlage einer Bläsergruppe zu schreiben", erklärt Miss Vincent, die unter ihrem bürgerlichen Namen Annie Erin Clark auch schon zur Liveband des polarisierenden Musikgenies Sufjan Stevens gehörte.
Dieser Ansatz mag für ein wenig Jazz-orientiertes Publikum zunächst ungewöhnlich bis bizarr wirken. Die ausufernd perlende Melodieseligkeit des Duos schiebt die Lieder indes immer in Richtung Pop im Sinne von Unterhaltung. Das Ergebnis pendelt sich perfekt wie Senkblei zwischen Anspruch und Eingängigkeit ein. Beeindruckend.
Bereits der Einstieg "Who" fasziniert von der ersten Sekunde an. Die brassigen Bläser werfen eine Art Bebop-Riff in den Ring, das in seinem New Yorker Duktus angenehm an die Lounge Lizards erinnert. Der rote Faden für die gesamte Langrille. Dazu ein schroffes Gitarrenriff und tolle Co-Vocals zu Byrnes eigenwilliger Gesangslinie. Schon nach den ersten drei Minuten hängt der Hörer an der Plattennadel. Heilung ausgeschlossen.
Nicht nur auf "Weekend In The Dust", "Lightning" oder "The Forest Awakes" zeigt die gebürtige Texanerin St. Vincent ihre klare Ebenbürtigkeit in Technik und Ausdruck. Eine echte Partnerin in Gesang wie Gitarre. Eine unbeschwerte Ergänzung wie Kaffee und Zigaretten. Das fördert soviel Spaß an der Sache zutage, dass man hypnotisiert vor der eigenen Box verharrt. Freunde der fesch abgehackten Talking Heads-Hysterie sollten unbedingt das zupackende "I Should Watch TV" testen. Ein Song, so anziehend wie ein Schwarzes Loch. Dazu die erhaben verzierenden Bläser als Kontrast. Großartiger Song.
Die häufig eingestreuten Afro-Rhythmen sollten allen Freunden des musikhistorisch bedeutsamen "My Life In The Bush Of Ghosts" mehr als gefallen. Nicht weniger als die für 2012 zeitgemäße Fortführung eines bereits 1981 eingeschlagenen Weges. Wer einen schicken Floorbreaker braucht, um jede lahme Cocktailparty aufzumischen, halte sich dagenen an "The One Who Broke Your Heart". Eine Bombe mit 'Sing a long' Refrain, Brassinferno plus einem wie von Hammer und Meißel eingeschlagenen Gitarrenriff.
Mir ganz persönlich hat es das vergleichsweise etwas zurückhaltend anmutende "Dinner for Two" extrem angetan. Noch nie habe ich einen dermaßen perfekten Guss aus Blasmusik, Afrobeat und wavigem Pop gehört. Was der Mann an Bläserkultur in knappen vier Minuten aus dem Hut zaubert, haben heimische Bundesländer mit ihrem geblasenen Blech in den letzten 1000 Jahren nicht hinbekommen.
Eine perfekte Platte als bunter, glücklich machender Ohrensturm, der den Player nie mehr verlassen möchte. Wenn dieser 'Giant' nicht zum modernen Klassiker in Kultur wie Popkultur aufsteigt, darf man mir in 200 Jahren gern posthum ans Mausoleum pinkeln. Weiterhören mit "Uh-Oh" und "Stop Making Sense".
5 Kommentare
Ach großkotzig... Die Mausoleums-Metapher war 'n bisschen übertrieben, aber es wurde dafür mal nichts quadriert , sondern ein scheinbar sehr gutes Album, auf interessante Art rezensiert.
Für die Nachwelt: ich bezog mich auf einen inzwischen gelöschten Kommentar.
Hmm, das klingt allerdings sehr interessant. Werd ich mal reinhören.
Album des Jahres!
Was soll da noch kommen ?
nur noch der weltuntergang