laut.de-Kritik

Das Mixtape, das uns zu Veteranen machte.

Review von

Komisches Cover. Sieht aus wie ein Bild aus einem ostafrikanischen Bürgerkrieg, von dem man in deutschen Medien nur sehr selten hört, dafür mit sehr betroffener Stimme. Death Grips heißen die. Der Sänger? MC Ride, nie gehört. Fyre hieß seine Rapcombo mitsamt Bruder Swanker, auch noch nie gehört. Andy Morin, Produzent, nie gehört. Zach Hill, der Nachbar von Ride in Sacramento und Drummer von Hella. Hella, ja, da war mal was. Ganz nett, Instrumentalband halt. Hatten mal einen Sänger, war dann aber wie eine Instrumentalband mit einem Sänger, wie Fisch mit Ketchup. Und die machen jetzt Rap?

So gingen unschuldige jugendliche Zuhörer 2011 an "Exmilitary" heran. Danach sollten sie nie wieder dieselben sein. Auf dem Cover von "Exmilitary" ist im Übrigen ein altes Pressefotografenfoto von einem Aborigine zu sehen. Und innendrin ist vieles, was mit dem Begriff Rap kaum ausreichend umschrieben werden kann.

Drinnen sind Dinge wie der Opener "Beware". Ein Opener von Ausmaßen des Buches Genesis, der mit dem berühmt-berüchtigten "I Make The Money Man"-Interview von Charles Manson beginnt, darüber eine zum Zerreißen angespannte Gitarre, kurz darauf ein elegantes Hineingleiten in einen Strudel aus einem zähen, knietiefen Beat, weit nach vorne gemischten Drums und einer tief in die Gehörgänge schneidenden Gitarre. So weit, so ungewöhnlich. Dazu kommt die hyperaggressive Stimme von MC Ride, die einen erbarmungslos an die nächste Wand drängt, den Kopf dreht und aus nächster Nähe ins Ohr spuckt und schreit, nicht bis man nicht mehr kann, sondern bis er damit fertig ist, und keine Sekunde vorher. Hypnotischer Shit. Gab es vorher überhaupt ernstzunehmende Musik?

Nachdem "Beware" dem ungeübten Hörer alles abverlangte, schlägt "Guillotine" einem direkt weiter in die Fresse. Anstrengend, enervierend fällt dieses Gesellenstück von MC Ride aus, zum Schluss fast schon eine Geduldsprobe zwischen Stück und Hörer. Als hätte man MC Dälek und Cro-Mags in einen Raum gesperrt und nach zwei Tagen ohne Wasser und Essen die Two Lone Swordsmen mit einem Pfund Koks nachgeschickt. Mit Dälek verbindet Death Grips, dass MC Ride gerne im Mix nach hinten gemischt verfrachtet wird, nur um sich nach vorne zu wühlen und in seinem Fall zu schreien, geifern und beißen. Das Albumhighlight "Spread Eagle Cross The Block" ist dafür das beste Beispiel auf "Exmilitary". Auch hier, und das unterscheidet "Exmilitary" von weiteren Werken der Band, spielt die Gitarre eine maßgebliche Rolle.

Mexican Girl aka Liz Liles, angeblich die Freundin von Andy Mori, drückt "Lord Of The Game" ihrem Stempel auf. Es ist der erste Song des Albums, der deutlich repräsentativer für das weitere Schaffen der Band ist, das auf "The Money Store" und "No Love Deep Web" zumindest innerhalb des jeweiligen Albums uniformer und zunehmend mit eigenen Beats ausgestaltet werden sollte. Auf "Exmilitary" sind Samples, wenngleich häufig nicht identifizierbar, neben der Gitarre die Säule des Sounds.

Der unruhige Beat von "Lord Of The Game", der klingt, als würde der Riese von Jacks Bohnenstange in den Wolken den Schlosskeller umräumen, gehört zum Besten, was die Band je hervorbrachte, und allein er bedient sich bei den Blue Devils, den Beastie Boys und The Crazy World Of Arthur Brown. Wer denkt, Rick & Morty stecke voller popkultureller Referenzen, der möge versuchen, "Exmilitary" zu analysieren. Es folgt das weitere Highlight "Takyon (Death Yon)", und spätestens jetzt war auch dem letzten Ersthörer klar, dass er Zeuge eines maßgeblichen Meilensteins wurde. "Oh shit I'm feeling it" schreit man durch die Wohnung, während der Bass die Gläser im Schrank klirren lässt.

"Cut Throat (Insturmental)" als Verschnaufpause zu bezeichnen wäre als sei Schlafen im Schützengraben ein Erholungsurlaub. Nach einer guten Minute schnauft und schreit einem "Klink" mit voller Kraft ins Ohr mit dem mitreißendsten Vocal-Loop, das jemals eure Gehörgänge hinaufsprintete. Ein Bassmoloch sondergleichen, ein Wogen wie auf wilden Wellen mitten im Sturm, getragen von einem Sample der Black Flag-Gitarre auf "Rise Above", bevor das Ende mit einer wunderschönen Schifferorgel kurz entschädigt. Auf "Culture Shock" kommen die drei Amis Hip Hop im traditionellen Verständnis am nächsten, hier ist letztlich nur der roboterhafte, originelle Beat und die organische Verschmelzung mit Rides Vortrag bemerkenswert.

So ist das Niveau von "Exmilitary": ein Song, der nur hervorragend ist und nicht alle Genregrenzen zersprengt wie Pupse einen gestrandeten Wal, fällt fast schon unangenehm auf. Mit "5D" folgt ein fröhlicher Jingle. Man denkt an Autowerbung, vier Freunde unterschiedlicher Hautfarbe und Geschlechts düsen in den Sonnenuntergang, das Ganze ist eine noch verträglichere Fassung von "West End Girls" der Pet Shop Boys. Ein Stilmittel der Schönheit, um die Grobheit des Rests zu betonen. "Thru The Walls" wischt mit dieser Menschenfreundlichkeit den Boden auf; zusammen mit seinem Kompagnon im Geiste "Known For It" marschieren hier die Loops stoisch bis zum Ende auf, immer neue Welle um Welle, darüber MC Ride in Bestform.

"I Want I Need It (Death Heated)" ist der catchieste Refrain dieses an catchy Stellen gar nicht so armen Albums. "Exmilitary" wollte mit Sicherheit viel sein, aber nie eine hochmelodiöse Angelegenheit. Genau das ist es aber eben auch geworden, weil das Songwriting einfach zu gut ist. Die staubtrockenen Strophen von "I Want I Need It (Death Heated)" brauchen den Kontrast zum tanzbaren, groovenden Refrain, um umso ausgedörrter und feindseliger zu wirken. Die Verabschiedung übernimmt "Blood Creepin", das selbst innerhalb dieses Albums seinesgleichen sucht. Eine Mischung aus Trance und Hooligangesang. Spektakulär.

Die greifbare Bedrohung, mit der "Exmilitary" einen an der Gurgel packt, äußert sich auch in den Texten. Schon "Beware" handelt vom Aufgeben der eigenen Menschlichkeit. Die perverse Lust an Rides Texten ergibt sich nicht aus seinem Hass, sondern aus seiner zu jeder Sekunde greifbaren Panik. Panik vor sich selbst, Panik vor der Welt. Was der Ami "angst" nennt und damit die Unfähigkeit meint, sich selbst in dieser Welt vorstellen zu können, während man doch mittendrin ist. Diese Diskrepanz und die Faszination an der eigenen Panik, der Wunsch, irgendwie in dieser Welt aufgehen zu können, darum geht es in "Takyon (Death Yon)". "Culture Shock" erzählt, wie unfassbar allein man mit dieser Panik ist. Und mit " I Want I Need It (Death Heated)" und "Known For It" kündigen Death Grips schon auf ihrem Erstling die Mitgliedschaft im Fitness-Club unserer Gesellschaft.

"Exmilitary" ist nicht der erste Output der Band, einige Wochen vorher veröffentlichte sie eine selbstbetitelte EP, eher semiprofessionell über die eigene Website. "Exmilitary" schaffte es wenigstens auf bandcamp. Auf Spotify & Co ist heute nach einem Re-Release durch das Hauslabel Third Worlds lediglich "Guillotine" zu finden, der Rest scheitert wohl zumindest in Deutschland an unautorisierten Samples. Auf Soundcloud ist das gute Stück aber leicht zu finden, hinzu kommen gefühlte drei Millionen hacked / slopped / reverb / reversed - Remixes auf Youtube. Der popkulturelle Einfluss von "Exmilitary" darf nur nicht deswegen vernachlässigt werden, weil er nur selten kopiert worden wäre, denn wer könnte das schon. Letztlich konnten es nicht einmal Death Grips, die sowieso viel zu gut sind, um zu verharren. War "Exmilitary" irgendwie schon noch Rap, wurden sie danach bis heute immer experimenteller. Besser als auf ihrem Erstling wurden sie aber nie.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Beware
  2. 2. Guillotine
  3. 3. Spread Eagle Cross The Block
  4. 4. Lord Of The Game feat. Mexican Girl
  5. 5. Takyon (Death Yon)
  6. 6. Cut Throat (Instrumental)
  7. 7. Klink
  8. 8. Culture Shock
  9. 9. 5D
  10. 10. Thru The Walls
  11. 11. Known For It
  12. 12. I Want It I Need It (Death Heated)
  13. 13. Blood Creepin

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