7. Februar 2017

"Leute wie Cro sind wie angepasstes Stimmvieh"

Interview geführt von

Von all den Jubiläen schätzen sie doch am meisten die Interessanten. Deswegen feiert die Hamburger Band rund um Sänger, Songschreiber und Autor Frank Spilker ihr über ein Vierteljahrhundert andauerndes Bestehen mit einem ganz speziellen Release: Auf "Mach's besser: 25 Jahre Die Sterne" covern Weggefährten und Kollegen die Songs des Trios – von Naked Lunch über Egotronic bis Isolation Berlin.

Aber das ist nicht alles: Das Jubiläumspaket wird auch noch mit zwei historischen Demo-Aufnahmen aus dem Jahren 1991 auf einer 7-Inch-Vinyl sowie mit einer Disco-12-Inch in Zusammenarbeit mit Pollyester und Erobique abgerundet.

Was eine gute Coverversion ausmacht, ob neues Material in Arbeit ist und warum es gar keine unpolitische Popmusik geben kann: Darüber sprachen wir mit Frank Spilker und Schlagzeuger Christoph Leich in Berlin.

Herzlichen Glückwunsch zum 25-jährigen Bandjubiläum. Ich muss da an eine alte Geschichte denken, die mich mit euch verbindet: Mein erstes Sterne-Konzert war 1997 im Klagenfurter Ballhaus. Vor der Show erwischte mich ein Polizist beim Zigaretten rauchen – ich war noch viel zu jung dafür und musste ihn überreden, mich nicht mit aufs Revier zu nehmen und mich trotzdem zum Konzert gehen zu lassen. Und nach der Show setzte sich ein Freund dann auf eine kaputte Bierflasche und musste ins Krankenhaus.

(Alle lachen)

Frank Spilker: Na toll. Erwachsen sein ist nicht ungefährlich! Wie alt warst du da?

Zwölf oder dreizehn.

Spilker: Dann ist's ja gut, dass sie euch die Kippen weggenommen haben. Oder war das was härteres, das du da geraucht hast?

Aber nein, das waren Marlboro Light oder so etwas. Und ich durfte doch noch ins Konzert rein.

Spilker: Ich kann mich ans Konzert erinnern – das war ziemlich spektakulär. Ich glaube, Christoph hat sich damals auf der Bühne sein Hemd zerrissen.

Zum 25. Jubiläum habt ihr euch einen besonderen Release einfallen lassen. Weggefährtinnen und Weggefährten covern Die Sterne. Erzählt doch ein wenig davon.

Spilker: Wir haben überlegt: Machen wir gleich ein neues Album? Was machen wir? Machen wir gar nichts? Das sind immer so Lebenszyklen einer Band: Dass man zwischendurch auch Zeit braucht, um sein Konzept weiter zu entwickeln, zu überdenken. Deswegen sagten wir uns, dass es jetzt mal toll wäre, uns nicht selbst unter Druck zu setzen sondern uns zu feiern. Die Idee ist ja auch nicht komplett neu, das haben Bands wie Fehlfarben oder Superpunk auch in Deutschland schon gemacht. Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, wer mitmachen könnte. Das war der Startpunkt vor einem Jahr.

Sind die Bands auf dem Album alles Freunde von euch?

Spilker: Nein (lacht). Natürlich ist das erste, an das man denkt: Man fragt einfach mal seine ganzen Kumpels. Aber der zweite Gedanke ist: So eine CD hat 80 Minuten, was soll das für ein Format werden, wer soll das kaufen? Dann haben wir schon sortiert und geguckt, dass wir künstlerisch interessante Bands drauf haben und nicht nur Freunde von uns. Und die dritte Frage: Wer hatte wirklich die Zeit und die Kapazitäten, mitzumachen? Das Album ist ein Kompromiss aus all dem.

Habt ihr den Bands freie Auswahl gelassen?

Christoph Leich: Ja, aber irgendwann muss natürlich abgeglichen werden. Wenn man 25 Versionen eines Stücks hat, wird's natürlich langweilig.

Spilker: Ich habe mir von meinem Verleger eine Liste schicken lassen mit über hundert Sterne-Kompositionen aus den letzten 25 Jahren. Oder waren's 125 ? Dann haben wir diese Liste im Internet veröffentlicht und die Bands haben sich eingetragen. Das hat im Vornherein schon verhindert, dass es viele Dopplungen gab. Wenn zwei Leute das gleiche Stück machen wollten, hat's einer zurückgezogen und gesagt 'Ach, ich kann ja auch was anderes machen'.

Wie ist das Gefühl, wenn man Weggefährten die eigenen Lieder spielen hört?

Spilker: Ich fand das Ergebnis teilweise berauschend, weil ich das Gefühl hatte, ich kann zum ersten Mal so einen Song hören und konsumieren, ohne darüber nachzudenken, was man da noch anders machen könnte. Das ist ja das Gefühl, das man normalerweise hat, wenn man aus dem Studio kommt. Man muss immer loslassen, aber das Gefühl bleibt, ob die letzte Entscheidung die richtige war. Diese Unbekümmertheit, mit der man als Konsument auf Musik zugeht, die hat man bei eigenen Sachen nie. Das war hier wirklich ein Erlebnis, vor allem als die Stücke gemastert waren und dieses Longplayer-Gefühl da war.

Lernt man die eigenen Stücke neu kennen? Oder anders kennen? Oder überhaupt kennen?

Spilker: (Lacht) Überhaupt kennen kannst du nicht sagen. Es ist ja eher so, dass man sie zu gut kennt. Es gibt ja verschiedene Zugänge bei den Coverversionen auf dem Album, aber besonders bei den Stücken, bei denen sich Leute Stücke angenommen hatten, bei denen noch Luft noch oben war, die auf Sterne-Alben eben nicht die Singles waren, Mitläuferstücke wie "Irrlicht" von Isolation Berlin oder Max Müller mit "Ich will nichts mehr von dir hören". "Ich will nichts mehr von dir hören", das war ein ganz kleiner Track auf "Wo ist hier" , den wir gar nicht richtig ausgearbeitet hatten. Er hat das in die Hand genommen und einen Superhit draus gemacht, hat anscheinend das Potenzial erkannt, das wir selbst gar nicht richtig wahrgenommen haben. Das war toll zu sehen. Oder auch ein Song wie "Passwort" von „24/7“– das war ein Stück, das passte nicht so in dieses Disco-Konzept, dann hat man's irgendwie angepasst. Detlef Diederichsen nahm sich das her und macht wirklich eine super Zimmermänner-Nummer daraus, oder eben eine in seinem Stil.

"Der ganze Groove-Scheiß raus und Hymne, Hymne, Hymne"

Eines der Highlights für mich war der Beitrag von Naked Lunch.

Spilker: Das fand ich auch großartig. Spektakulär, weil man die ja noch nie auf Deutsch singen hörte. Und auch soundmäßig sind die ganz groß, das fand ich immer schon toll, was die für einen Sound hatten. Klasse.

Was macht eine gute Coverversion eigentlich aus?

Leich: Ich persönlich mag es, ein Stück zu nehmen, das noch nicht fertig ist und versuchen, etwas anderes daraus zu machen. So wie das Max Müller gemacht hat, das ist mein Lieblingsstück.

Spilker: Ich glaube, man kann sich dieser Frage sehr gut annähern, wenn man sie umgekehrt stellt: Was funktioniert nicht, was wäre langweilig? Das ist dann der Fall, wenn man mit den Mitteln, die man zum Covern benutzt, sich nicht deutlich vom Original abgrenzt. Ein gutes Beispiel ist Rick McPhail mit Mint Mind, die haben zwei Stücke gemacht. Das eine war "Die Interessanten". Rick hat ja auch einen Trademark-Sound. Es trägt immer eine deutliche Anschrift. Er coverte also "Die Interessanten", und es war auch gut – aber es war so nahe am Original, dass du von ein bisschen weiter weg gar nicht wusstest, was da anders war. Dann hat er noch ein anderes Stück gecovert, "Stell die Verbindung her", was von uns eher hip-hoppig angelegt war. Er spielt das auch mit seinem Signature-Sound, und da clashen zwei Welten aufeinander. Die Idee des Originals – DJ Mad hat gescratched – auf diese Grunge-Attitüde von Mint Mind. Plötzlich hast du etwas, was früher nicht da war, und das ist eine gelungene Coverversion. Ich glaube, das kann schon so verallgemeinern. Es gibt verschiedene Strategien, aber das Interessanteste ist immer, wenn sich das Cover vom Original unterscheidet, aber trotzdem ein tolles Stück war. Es gibt ja auch diese stark ikonischen Stücke – "Universal Tellerwäscher", wenn da die Ästhetik komplett umgeschmissen wird, der ganze Groove-Scheiß raus und Hymne, Hymne, Hymne – dann hast du diese Coverversion von Peter Licht, die komplett anders funktioniert, aber das Stück ist immer noch da, und es ist immer noch toll.

Es gibt im Jubiläumspaket aber nicht nur das Album mit den Covers, es gibt auch noch die Demos.

Spilker (zu Leich): Kannst du dich erinnern, wo wir das aufgenommen haben? Ich habe versucht mich zu erinnern, aber weiß es nicht mehr.

Leich: Also, ich tippe Fabrik, aber ich tippe es einfach nur, weil es mit 4-Spur-Maschine war, und das hatten wir nicht auf Tour mit.

Spilker: Fabrik war es nicht. Das war eine andere Aufnahme. Aber es waren jedenfalls Live-Aufnahmen, ein Stück davon zumindest, beim anderen bin ich mir nicht sicher. Ich habe Ende letzten Jahres, als dieses Projekt klar war, an die Zugaben gedacht. An diese alten Bänder, die es gibt, die wurden digitalisiert. Das waren zwei Aufnahmen, die in der Originalbesetzung 1991 eingespielt wurden mit Christoph am Schlagzeug. Man kann sagen, die frühesten Dokumentationen, die es noch gibt.

Seid ihr gute Archivare eurer selbst?

Spilker: Nein, ich nicht, aber ich glaube, Christoph ist darin besser.

Leich: Ich glaube aber, von den alten Aufnahmen habe ich auch nichts. Ich kann mal gucken, ob ich nicht Kassetten von frühen Aufnahmen habe, aber das ist das Maximum.

Spiler: Ich bin bei der Recherche draufgekommen, dass es ein ganz großes Loch gibt, was die Zeit zwischen 93 und 98 angeht. In der Zeit, als noch nicht alles archiviert worden, ist, was man gemacht hat. Vor allem das Bild-Material. Da gab's wahrscheinlich Ordner bei unserem Label, die um die Pressearbeit zu dokumentieren sämtliche Zeitungsausschnitte aufgehoben haben, aber das ist nicht mehr aufzutreiben. Da ist ganz viel nicht mehr da. Die Major Labels werden sowieso nichts haben.

"Wir sind da eher Radiohead"

Und es gibt im Paket noch die 12-Inch.

Spilker: Carsten wollte einen Remix machen, der jetzt auch auf dieser 12-Inch ist und hat quasi uns als Remix-Material gecastet. Das ist die einzige Aufnahme in dem Paket, die wir neu als Die Sterne gemacht haben. Wir haben dieses Stück von 93 einfach neu eingespielt, und Carsten hat diesen Remix organisiert, diese 7-Minuten-Version. Das ganze Disco-Arrangement am Ende ist von ihm, und wir haben es dann in seinem Studio zu Ende produziert. Und die Zugabe, Carsten Meyer vs. Polyester, der ist so dermaßen clubbig, dass er eher auf so eine 12-Inch gehört.

Wird es auch eine Tour geben?

Spilker: Natürlich. Sie fängt am 9. Februar an, am 10. Februar kommt das Album in die Läden. Wir haben vor, die Stücke zu spielen, die gecovert worden sind, eine Art Rückblick zu machen. Jedenfalls ein Programm, das den Fokus nicht aufs Aktuelle legt. Und wir haben es auch geschafft, bei jedem Konzert eine der Bands, die uns gecovert haben, als Support mit dabei zu haben. Das war das, was machbar war. Ich konnte leider keine große Gala organisieren (lacht), das kann man dann zum 50. machen, allerdings im ZDF

Leich: Dann braucht man schon 'ne Treppe, wo sie einen runterheben

Euer letzter Longplayer ist zwei Jahre. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung meintest du damals, es gibt als Band zwei Möglichkeiten: Entweder du löst dich irgendwann auf und machst eine neue Band. Oder du veränderst deinen Sound immer weiter. Ihr habt zweites getan, auch auf der letzten LP. Sind neue Stücke in Arbeit, und gibt's bereits eine Tendenz, wo die Sache hingeht?

Spilker: Es sind Stücke in Arbeit, ich habe Stücke geschrieben. Aber wir als Band haben noch nicht daran gearbeitet. Das liegt daran, dass es bei der letzten Platte eine Unzufriedenheit gab, was Songwriting und die Bearbeitung der fertigen Songs angeht. Wo sich Probleme daraus ergeben haben: dass wir räumlich so weit auseinander sind und wir so wenig Zeit miteinander verbringen konnten. Das ist das, was jetzt im Hintergrund passiert: Das wir uns Gedanken machen, wie wir uns diese Zeit nehmen, wie kann man diese Situation herstellen, dass wir wieder ins Bandcamp gehen und mit einer gewissen Frische uns ein neues Konzept ausdenken. Es gibt sowieso keinen Zwang, etwas zu wiederholen. Unsere Situation unterscheidet sich schon von der einer jungen Band. Wir wissen, wir haben unsere Fans, wir wissen, die Leute freuen sich über ein neues Album. Aber wir müssen sie auch nicht alle zwei Jahre bedienen oder überfordern, vor allem wenn die Idee noch nicht ausgereift ist. Nicht, dass wir den Eindruck zu erwecken, dass wir nichts machen. Aber es kann halt sein, dass von diesen zwanzig Stücken, die ich geschrieben habe, keines auf einem Die Sterne-Album landet. Weil es abhängig davon ist, was wir für ein Konzept entwickeln.

Ihr seid aber eben nicht im Bandzyklus Album-Promo-Tour gefangen.

Spilker: Das hat man als junge Band, diesen Druck. Wir brauchen den nächsten Tonträger. Die Leute sind heiß, wollen auch das nächste Album, warten gespannt darauf. Das ist nicht nur unangenehmer Druck, das ist auch positiv. Das haben wir aber nicht so. Ich glaube, es wäre ein größerer Fehler, etwas Belangloseres zu veröffentlichen, als sich etwas mehr Zeit zu lassen. Wir sind dann eher so Radiohead (lacht).

Mut zur Sperrigkeit.

Spilker: Ja. Wobei, Radiohead ist vielleicht auch ein blöder Vergleich, weil wir jetzt gar nicht so die Soundtüftler sind. Aber was der Band unglaublich schaden würde – das habe ich wahrscheinlich auch bei der Süddeutschen gemeint – wäre, dieses sich selbst wiederholen, einfach um was zu machen und die Leute und die Erwartungen draußen zu bedienen. Das hätten wir nicht durchgehalten, wenn wir unseren Sound nicht immer wieder verändert hätten.

Eine letzte Frage: Ist die Popmusik derzeit zu unpolitisch?

Spilker: Es gibt keinen unpolitischen Pop. Es gibt kritisch und nicht kritisch. Popmusik, die nicht kritisch ist, drückt ihr Einverständnis mit den Verhältnissen aus. Das ist sehr politisch. Nehmen wir Cro. Leute, die nichts sagen, sich nicht äußern zu politischen Fragen sind im Grunde angepasstes Stimmvieh. Ich finde das nicht demokratisch, nicht seine Meinung zu sagen. Die Argumentation politisch oder nicht ist im Grunde auch eine Entmündigungsdiskussion. Wenn man Leuten nahelegt, dass politisch zu sein schon so etwas Randständiges ist: Wir sind ja so politisch, die Frauenband ist ja so feministisch: Man ist sofort Randgruppe, wenn man seine Meinung sagt. Das finde ich extrem entmündigend und einer demokratischen Gesellschaft nicht gerecht. Die Entwicklung ist nicht neu. Das ist auch immer so eine schizophrene Diskussion, die kenne ich seit meiner Schulzeit: Ihr sollt euch politisch mehr engagieren! Aber ihr sollt euch gleichzeitig zwischen zwei Mainstream-Parteien entschieden. Da sollten wir eigentlich weiter sein, und leider hat sich da in den letzten 25 Jahren nicht viel geändert.

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