laut.de-Biographie
Die Sterne
Von wegen 'Hamburg rockt', es swingt und groovet - und zwar gewaltig! Die Sterne scheinen wi(e)der. Frank Spilker (Gesang, Gitarre), Frank Will (Tasteninstrumente), Thomas Wenzel (Bass) und Christoph Leich (Schlagzeug) zählen zu den Mitbegründern dessen, was unter dem Namen "Hamburger Schule" die hiesige Musiklandschaft in den Neunzigern nachhaltig prägt.
Begonnen hat die Geschichte im ostwestfälischen Provinznest Bad Salzuflen. Ende der Achziger veröffentlicht dort das Label "Fast Weltweit" diverse Singles und Cassetten-Sampler. Aus diesem Umfeld stammen auch Jochen Distelmeyer (Blumfeld), Bernd Begemann und eben Frank Spilker. Der nennt seine zu der Zeit in wechselnder Besetzung auftretende Band Die Sterne, "damit das kein anderer mehr tun kann".
1991 zieht Spilker nach Hamburg, lernt dort die anderen Bandmitglieder kennen und seitdem gibt es die Sterne, wie wir sie kennen. Nach ein paar Gigs als Serge-Gainsbourg-Coverband erscheinen erste Singles und Sampler-Beiträge bei L'Age D'Or. Aus Einflüssen, die in Soul, Hip Hop und Funk liegen entwickelt die Band ihren eigenen (dann doch wieder Indie-Pop-) Stil.
Die von Frank Spilker mit beeindruckender Beiläufigkeit vorgetragenen Texte der Sterne sind deutsch, was zu der Zeit nicht gewöhnlich ist, und bewegen sich zitatenreich zwischen Politik und Privatem ohne auf eindeutige Parolen zu setzen. Das findet nicht nur Freunde. Der Legende nach fordert bei einem Konzert in Frankfurt jemand mehr Verständlichkeit, Spilker kontert: "Mitschreiben!"
1993 erscheint in Zusammenarbeit mit den Hamburger Produzenten-Legenden Chris und Carol von Rautenkranz das Album "Wichtig". Erste Begeisterungsstürme im popintellektuellen Blätterwald setzen ein, die Sterne werden als amtliche Nachfolger von Ton Steine Scherben gehandelt. Ausdauerndes Touren steigert die Popularität weiter, der Begriff 'Hamburger Schule' wird geboren und sofort (erfolglos) bekämpft.
Ein gutes Jahr später entwickelt sich "Universal Tellerwäscher" vom zweiten Album "In Echt" dank Major-Unterstützung (Motor) samt Video zum Indie-Sommer-Hit. Erneut wird getourt und 1995 erscheint "Unter Geiern" bei Rough Trade, eine Vinyl-Zusammenstellung der ersten beiden Alben. Ein Deal mit dem Sony-Label Epic eröffnet den Sternen die Möglichkeit die Szene-Grenzen zu überschreiten.
Die reflexhaften Ausverkaufs-Rufe verhallen nach Erscheinen von "Posen" recht schnell, Kompromisse werden nicht gemacht - trotz Hit ("Was Hat Dich Bloß So Ruiniert?") und der unsäglichen Kunze-Quoten-Debatte.
Auf der 1996er-Tour verkauft die Band ganz beiläufig eine 7" mit dem vielleicht besten Song, den sie je gemacht hat. "Widerschein" gibt einen Vorgeschmack auf das erneut ausgezeichnete vierte Album. Die Sterne werden inzwischen gar von offizieller Seite als Botschafter deutscher Popkultur wahrgenommen. Auf Einladung des Goethe-Instituts gehts im Oktober 1998 auf Nordamerika-Tour um zu demonstrieren, dass es hierzulande Musik jenseits von Scorpions und Rammstein gibt.
Das '99er-Album "Wo ist hier" entwickelt den Sterne-Sound mit elektronischeren Mitteln weiter und bestätigt die Stellung der Band als wichtige Kraft hiesiger Popkultur. Danach bleibt es erst mal ruhig, nur der Ausstieg des Keyboarders Frank Will, der sich künftig auf seine Arbeit als Landschafts- und Gartenbauarchitekt konzentriert, führt zu Schlagzeilen im Indieblätterwald. Im Januar 2000 ersetzt ihn Richard von der Schulenburg.
Die Sterne wechseln ihre Plattenfirma, unterschreiben bei Virgin - der Legende nach weil in deren Kantine während des Besuchs AC/DC lief. "Irres Licht" produzieren sie mit Olaf O.P.A.L., der bereits bei Notwist, Miles und Liquido an den Reglern stand. Das Ergebnis ist deutlich rockiger und fordert mit seiner Handmade-Livetauglichkeit nach Konzerteinsatz, der von den Sternen 2002 auch wieder reichlich gegeben wird.
Nach einer kleinen Verschnaufspause erscheint im Sommer 2003 "Live im Westwerk" und dokumentiert eine Show, die aus zwei Konzerten im gleichnamigen Hamburger Club zusammen geschnitten wurde. Eine Live-/Best Of-Scheibe quasi, denn mit Songs wie "Die Interessanten", "Was hat dich bloß so ruiniert", "Trrrmer" und der neuen Live-Single "Sorglos" sind sämtliche Sterne-Hits auf Silberling gebannt.
Eine 'richtige' Best Of-Kollektion stellen die freundlichen Menschen von L'Age D'Or im Jahr 2004 zusammen: "Die Interesanten", einundzwanzig Singles aus zwölf Jahren Bandgeschichte, dazu die immer sehenswerten Videos der Sterne auf DVD.
Zuvor geben sich die Sterne auf ihrem siebten Studioalbum "Das Weltall ist zu weit" (V2 - Labelhopping goes on) so explizit politisch wie selten zuvor. Und spätestens mit der zivilen Ungehorsamkeits-Hymne "Wir rühren uns nicht vom Fleck" featuring Judith Holofernes, Fettes Brot und Thees Uhlmann nehmen Die Sterne das Erbe der Scherben auch an. 2006 erscheint mit "Räuber Und Gedärm" das achte Album des Quartetts, ehe Die Sterne eine kreative Pause einlegen.
Diese Zeit nutzt Spilker, um seine unerschöpflichen Ideen in eigene Songs zu packen, die er mit Mathias "Tex" Strzoda (Schlagzeug) von Ja König Ja, Max Koth (Bass) von den Mobylettes und den Gastmusikern Masha Qrella, Uwe Jahnke (Fehlfarben) und Norman Nitzsche einspielt. "Mit All Den Leuten" erscheint im März 2008 als Solodebüt des Sterne-Mannes.
Im Jahr darauf nimmt Keyboarder von der Schulenburg seinen Hut, er kann mit der neuen musikalischen Ausrichtung der EP "Der Riss" nichts mehr anfangen. Die Sterne bleiben fortan offiziell erst mal Trio, die komplette, nun von Diskorhythmen angetriebene Scheibe "24/7" folgt Anfang 2010.
Nachdem Frank Spilker 2013 sein erstes Buch "Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen" veröffentlicht, verlassen die Hamburger mit ihrem mittlerweile zehnten Album "Flucht In Die Flucht" wieder den Club. Ihren typischen Sound aus "Posen"-Zeiten verbinden sie nun mit psychedelischen Elementen.
Was der Beitrag der Sterne nach jahrzehntelanger Bandgeschichte zum Pop sein könnte? Dazu erklärt der Promotext zur "Für Anfänger"-EP im Jahr 2012: "Die Sterne – sich stets mit Lässigkeit und ihrer ganzen eigenen Definition von Groove treu geblieben, rotzt die Hamburger Band seit 20 Jahren Wahrheiten in Richtung Welt. Obwohl sie nur Fragen stellen. Und keine Antworten geben."
Ihr eigene Interpretation über die Band veröffentlichen 25 Interpreten wie Isolation Berlin, Fehlfarben und Kreisky auf der Compilation "Mach’s Besser: 25 Jahre Die Sterne". Funkige Klassiker wie zum Beispiel "Universal Tellerwäscher" arrangiert Peter Licht als Klavier-Ballade. Den Reiz der Coverversionen fasst Spilker wie folgt zusammen. "Wie sehen uns andere Künstler? Finden die Alten, dass wir nur ihre schlechten Epigonen sind? Denken die Jungen vielleicht, dass unsere Ideen überholt und unsere Art im Aussterben begriffen ist?"
Ein Jahr später erfolgt der Rückblick auf vergangene Zeiten. Im Rahmen des Lieblingsplatte-Festival 2018 kommt das Durchbruch-Album "Posen" wieder komplett auf die Bühne zurück. Dyan Valdes von The Blood Arm unterstützt die Band bei diesem nostalgischen Event.
Wie die Vergangenheit aussieht, dürfte nun klar sein, doch in der Gegenwart sieht Frank Spilker einen großen Stillstand, für den er auch seine Bandmitglieder verantwortlich macht. Die langjährigen Mitglieder Thomas Wenzel und Christoph Leich verlassen die Sterne endgültig, an ihre Stelle treten Philipp Janzen und Phillip Tielsch von der Krautrock-Band Von Spar.
Das selbstbetitelte Album "Die Sterne" stellt 2020 zum neuen Jahrzehnt noch einmal alles auf Neuanfang. Die Düsseldorf Düsterboys, Kaiser Quartett und der Intimus Carsten "Erobique" Meyer, der bereits "Wichtig" remixte, bringen ihre Ideen in das neue Album ein. Italo-Disco, Folk-Psychedelica und verfremdete Sitarklänge halten Einzug. Die Zukunft der Sterne ist dank der neuen Konstellation so wenig vorhersehbar, aber auch so spannend wie nie.
Die Best Of "Grandezza" (2024) ist prallgefüllt mit Hits und guter Lyrik. Die Sterne prägten die Hamburger Schule und das Erwachsenwerden in den 1990ern. Da schwingen viele Erinnerungen und Gedanken mit.
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