laut.de-Kritik

Mehr Robin als Batman: nicht ganz ausgereifter Trap-Soul.

Review von

Travis Scott, "Astroworld". Ein Album, das seinerzeit so tief in den Hip Hop-Zeitgeist eindrang, dass manche Nummern sich zwei Jahre später noch immer taufrisch in der Szene anfühlen: Der Track "Can't Say" drängte sich als Highlight zwar erst nicht auf, avancierte aber zum kultigen Deep Cut, bis er im Folgejahr zur Single emporstieg.

Spannend, denn große Teile des Songs vereinnahmte ein Rapper, den derzeit fast niemand auf dem Schirm hatte: Don Toliver killt seinen Part auf "Cant't Say", wird auf Cactus Jack gesignt und zunehmend raunt es durch die Szene, dass der Junge Potential hat. Ein paar gute Beiträge zum Label-Sampler "JACKBOYS" und den heißen Song "No Idea" später kommt er an, wo seine Zukunft auf die Probe gestellt wird: "Heaven Or Hell", das Debütalbum, das ihn aus dem Schatten von Travis Scott emporsteigen lassen soll. Dabei ist es mitnichten ein unspannendes Projekt, aber trotz alledem wirkt Don noch wie der Robin zum Batman seines Mentors.

Es fängt schon mit seiner eigentümlichen, etwas quakenden Delivery an. Toliver ist ein klassischer Crooner mit schräger Kadenz, die – ähnlich wie Travis – mit genug Layern Autotune gut geeignet ist, Sound-Landschaften und Harmonien zu schaffen, in sich selbst aber kaum trägt. Manchmal nutzt er sie überzeugend, etwa wenn er sich auf "After Party" tatsächlich mal den Arsch abrappt oder auf atmosphärischeren Cuts in eine völlige, psychedelische Loop-Textur zerfällt.

Zumeist rappt und singt er jedoch zurückhalten. Es ist kein neues Phänomen, dass sich ein Trap-MC auf den Beifahrersitz seiner Produktion fallen lässt - es gibt auch hier genug Songs, auf denen Toliver musikalisch stimmige Bilder entstehen lässt. In diesen Fällen tritt der MC aber sehr deutlich als Kurator auf, als ästhetischer Kleber für das Projekt. Auch wenn er ein Gespür für Sound und Atmosphäre beweist, fühlen sich weite Teile des Albums eher wie Ideen von anderen an.

Bedeutet: "Heaven Or Hell" löst sich nur sehr zögerlich vom Rocksaum Travis Scotts und Mike Deans. Die Soundlandschaften lassen sich alle recht genau zwischen den Houston-affineren Cuts von "Rodeo" und "Astroworld" einsortieren, der slidende 808-Bass, die Chopped and Screwed-Klangfarbe und die kleinen Synth-Arpeggios machen Spaß, sind aber kaum ein Trademark für Toliver. Er rutscht über gleichförmige Beats und hält die Fahne seiner Stadt oben, entwickelt sie aber nur selten weiter. Der Titeltrack, "Can't Feel My Legs" oder "No Photos" bringen weder Wiederhörwert noch Innovation mit, ein wohlklingender Soundbrei, der dabei so langsam voranwabert, dass es schwer wird, nicht abzuschweifen. Auch die Features der Migos sowie von Sheck Wes klingen nicht, als hätten sie wirklich Bock gehabt.

Genauso evident bleibt die führende Hand von Mike Dean. Klanglich findet die Platte im Mittelteil ein Highlight, wenn "Candy" in "Company" übergeht. Die Vocals sind hier ohnehin fast nur noch Loops, Harmonie-Gebilde und Adlibs, die Raum für die beeindruckenden instrumentalen Passagen von Wonda Girl und Mike Dean bieten. Letzterer macht aber so stoisch sein Ding, dass die Gitarrensoli oder wunderschönen Synth-Anordnungen sich wie losgelöst vom Album anfühlen: Mike Dean-Ornamente, wie man sie auf "Devil In A New Dress" und "Highest In The Room" findet.

Ganz fair ist es nicht, Don Toliver vorzuwerfen, seine Eigenbeiträge wären generisch und die Highlights stammten von Anderen. Er hat eine Ader für Klänge, und die Platte fließt wunderbar dahin, etwas langsam vielleicht, aber der psychedelische Soul-Elan scheint ihm typischer zu sein als seinen Zeitgenossen. Dazu hat Toliver auf Songs wie "Cardigan", "After Party" oder dem betäubend schönen "Euphoria" die Flows, die Ausstrahlung und das Gesamtprodukt, um ein wirklich überzeugender MC zu sein.

Vielleicht krankt "Heaven Or Hell" ein wenig daran, einem sich entwickelnden Artist zu schnell zu viel Budget und zu große Kollaborateure an die Hand gegeben zu haben. Denn auch wenn die Platte Potential zeigt, hat er seine Balance noch nicht gefunden.

Trackliste

  1. 1. Heaven Or Hell
  2. 2. Euphoria (feat. Travis Scott & Kaash Paige)
  3. 3. Cardigan
  4. 4. After Party
  5. 5. Wasted
  6. 6. Can't Feel My Legs
  7. 7. Candy
  8. 8. Company
  9. 9. Had Enough (feat. Quavo & Offset)
  10. 10. Spaceship (feat. Sheck Wes)
  11. 11. No Photos
  12. 12. No Idea

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Don Toliver

Houston-Rap steht im Ruf, eine der psychedelischeren und trippigeren Spielarten der Rapmusik hervorzubringen. Ausnahmen bestätigen da zwar die Regel, …

2 Kommentare