laut.de-Kritik

Wuchtiger Ohrwurm-Pop ohne Peinlichkeiten.

Review von

Max Gruber alias Drangsal setzt auf "Zores" bei den Urängsten deutschsprachiger Music-Lover an: an der Stelle, an der in den frühen 80ern aus dem wavigen, guten Teil der Neuen Deutschen Welle dieser ganze Nena-Kitsch resultierte, so dass sich der Begriff "Schlager" bald auch auf dieses Feld anwenden ließ. Dreißig Jahre später stellt Gruber nun zur Schau, wie man wuchtige deutschsprachige Pop-Songs schreibt, ohne allzu deutsch und belanglos zu klingen.

Vor zwei Jahren lieferte Drangsal mit "Harieschaim" ein solides New Wave-Album ab. Nicht mehr und nicht weniger, könnte man an dieser Stelle behaupten, wobei es rückblickend eher zum Mehr wird. Diesmal singt Gruber in neun von zwölf Songs auf Deutsch, was ihm sehr gut steht. Außerdem lässt sich der Wahl-Berliner nun wesentlich selbstbewusster produzieren.

Für letzteres zeichnet unter anderem Max Rieger von Die Nerven verantwortlich. Während die Songs weiterhin auf eine Dichte von New Order-Synthesizern und The Cure-Gitarren setzen, birgt das Zusammenspiel der einzelnen Instrumente eine neue Tiefe. Das fällt besonders bei den Drums auf, die ausdifferenziert und drückend im Raum stehen.

"Wo man mich vermutet, steh' ich schon lange nicht mehr", zuckert Gruber in "Und Du? Vol. II" anfangs um sich. Dann pflanzt uns der Song sanft Zeilen sexueller Zerrissenheit ins Ohr: "Gegen die Decke meines Schädels / Schlägt ein Spalier junger Mädels" und "Gegen die Wände meines Herzens / halten hundert junge Jungs heiße Kerzen". Direkt darauf besingt er an der Seite mit einem opulenten Kinderchor, auch die Drogen ("Die Drogen, die Drogen!") haben ihren Teil zu seiner hilflosen Lage beigetragen. Kurzum: Der Song ist ein außerordentlicher Hit.

Max Gruber stab- und endreimt sich lustvoll durch die Songs, und jetzt kommt bitte keiner damit, dass das flach sei. Erstens war das bei englischsprachigen Bands noch nie ein Ausschlusskriterium und zweitens halten die Stücke noch immer deutlich mehr thematische Tiefe bereit als all die Forsters und Jennifers zusammen. Zudem nimmt Gruber der deutschen Sprache ihre Rammsteinartige Härte, um sie durch und durch geschmeidig klingen zu lassen.

Warum also befinden sich dann auf "Zores" doch noch drei englische Songs? Hier verlässt Drangsal an einigen Stellen, etwa im balladenartigen "All The Poor Ships At Sea", den Pfad des Widerspruchs zwischen englischem Sound und deutschen Texten. Konstruiert er sich in den meisten Songs als transkulturelles Pop-Zwischenwesen, geht dieser Reiz genau dann verloren, und das, obwohl "ACME", ein weiteres jener englischsprachigen Stücke, dem Album mit seiner dröhnenden Post-Rock-Opulenz ein ergreifendes Ende bereitet.

Gruber fühlt sich hörbar wohl in der Rolle des verqueren, aber harmoniebedürftigen Melodieliebhabers. Dieses Glück teilt er nun: "Ich emanzipiere euch / ich geb' jedem das Meine" ("Jedem Das Meine"). "Zores" offenbart einen Zugang zu Ohrwurm-Pop ohne Peinlichkeiten. Das mag nicht jedem gefallen, der "Harieschaim" mochte. Deutlich ausgefeilter und selbstbewusster wirkt es allemal.

Trackliste

  1. 1. Eine Geschichte
  2. 2. Jedem Das Meine
  3. 3. Und Du? Vol. II
  4. 4. Magst Du Mich (Oder Magst Du Bloß Noch Dein Altes Bild Von Mir)
  5. 5. Sirenen
  6. 6. Turmbau Zu Babel
  7. 7. Weiter Nicht
  8. 8. Laufen Lernen
  9. 9. Arche Gruber
  10. 10. Gerd Riss
  11. 11. All The Poor Ships At Sea
  12. 12. ACME

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