22. November 2010
"Die Bee Gees sind hochinteressant"
Interview geführt von Ulf KubankeMit "Fremde Federn" erschien gerade ein Element Of Crime-Album mit B-Seiten und Samplerbeiträgen, allesamt Coverversionen. Grund genug, Chef-Kriminalisten Sven Regener näher zu befragen.Als langjähriger Freund ihrer Musik und Bremer freue ich mich ganz besonders auf einen entspannt hanseatischen Stövchen-Talk mit dem Mann aus der Neuen Vahr. Doch leider erwische ich den medial verwöhnten Künstler an einem nicht ganz so guten Tag.
Vergrippt und streckenweise leicht genervt blitzt der teebeutelige Charme Regeners nur selten auf. Auch kritische oder ihm unbequeme Fragen quittiert der Meister des lakonischen Humors mit Unmut und ohne die erwartete Prise nordischer Selbstironie. Aber schlechte Tage haben wir schließlich alle einmal. Und am Ende ergibt sich dennoch ein informatives Gespräch über alte Zeiten, die Bee Gees und Regeners Abneigung gegenüber DVD-Konzerten.
Moin Sven, Ulf hier.
Sven Regener: Moin, Moin. Na? Alles gut?
Um dir ein bisschen heimatliche Gefühle zu vermitteln: Ich telefoniere hier ganz aus der Nähe eurer alten Konzertstätte Modernes mit dir.
Ah ja, ausgezeichnet. Da war ich schon lange nicht mehr. Auf der Neustadtseite schon seit 15 Jahren oder so nicht mehr.
Mensch, das ist ja nu' wirklich schon etwas her.
Ich bin ja schon öfter in Bremen. Nur in der Ecke kenne ich momentan niemanden.
Eure neue Scheibe hingegen ist ja voll mit alten Bekannten. Alles schon längst veröffentlicht. Dennoch in der Auswahl ein eher ungewöhnliches Produkt für eure Verhältnisse, oder?
Ja nun, das ist eben ne Compilation von alten Aufnahmen, die man auf den regulären Alben nicht kriegt. Das ist schon mehr außer der Reihe.
Lass uns doch ein wenig über die Lieder plaudern. Interessant ist doch nicht die Tatsache, dass es Cover sind, sondern welche Cover und wie sie umgesetzt wurden. Einiges ist doch sehr ungewöhnlich für den Element Of Crime-Kosmos.
Ungewöhnlich?
Na z.B. "Nur Ein Vakuum" von Udo Lindenberg. Man könnte doch glauben, Lindenbergs Texte und Regeners Lyrik haben so gar nichts gemein und sind sprachlich und atmosphärisch total entgegen gesetzte Pole. Dennoch klingt das hier als ob es auch von dir sein könnte.
Das ist ja so eine Sache, die man oft vergisst, wenn man über Texte spricht und nachdenkt. Ganz viel hat ja immer mit dem Klang zu tun. Sogar bei der Stimme hört man hier doch, dass das alles gar nicht so weit voneinander weg ist.
Knuffig: das Uffta-uffta-Getrommel bei der Zeile "da soll die große Action sein".
Der Discobeat, nicht wahr? Das finden wir auch gut.
Was mich persönlich sehr überrascht hat. Ich kannte das noch gar nicht. "Le Vent Nous Portera" – ein Noir Desir-Stück. Darf man die Wahl des Liedes - gerade in Anbetracht des Zeitpunktes der ursprünglichen Veröffentlichung nach der Haftentlassung des Sängers - auch als künstlerisch klares Bekenntnis zum polarisierenden ehemaligen französischen Jim Morrison, Bertrand Cantat, werten?
(leicht genervt) Nö. Das ist ein klares Bekenntnis zu dem Lied. Mit den anderen Sachen kenne ich mich nicht aus. Ich war nicht dabei. Ich habe damit nichts zu tun. Das ist ne Sache zwischen ihm und den Gerichten. Damit habe ich nichts zu tun. Aber das spricht ja nicht gegen das Lied.
Nein, absolut nicht. Im Gegenteil: Noir Desir sind doch hier zu Lande viel zu wenig musikalisch bekannt. Großartige Band.
(energisch) Ja, das finden wir auch. Deshalb auch das Lied. Deshalb hatten wir Lust, das zu spielen.
"Die Bee Gees sind eine hochinteressante Band"
"She Brings The Rain", auch eine ungewöhnliche aber hochinteressante Wahl. Das Can-Lied vom 1971er Soundtrack-Album. Wer ist der Kraut-Fan bei euch?Einer der weltgrößten Can-Fans überhaupt ist der Pappik. Ohne ihm da auf den Schlips zu treten, kann man das wohl mal so sagen. Wir haben ja auch im Can-Studio 1999 die "Psycho" aufgenommen.
Das Arrangement hingegen ist sehr Marc Ribot lastig, ähnlich dem Tom Waits-Album "Rain Dogs". Ist diese Art der Gitarre bewusst und bezweckt so eingesetzt?
(irritiert brummig) Nee, das kann man echt nicht sagen. Also wirklich nicht. Du meinst jetzt "She Brings The Rain"?
Ja, stell das mal neben die Rain Dogs. Ist doch stilistisch unverkennbar. Das passt ganz gut zu euch, finde ich, dieser runde Klappstuhl-Groove.
Ja schon, aber was Ribot da macht ist doch auch ganz klassische R&B-Schule. Das ist uns gar nicht so unverwandt, glaube ich mal. Jakob hat ja auch schon mal zusammen mit dem was gemacht.
Und dann Arlo Guthries "Motorcycle Song" als Folk-Gegenmittel zur damaligen John Cale/Velvet Underground-Schublade, in die man euch nach der "Try To Be Mensch"-Produktion des Walisers stecken wollte - War Cale damals eigentlich der angenehme Gentleman heutiger Tage oder litt die Arbeit noch unter dessen früheren Suchtproblemen?
Ach, das war wohl gerade so eine Übergangszeit. Das war so Ende 1986/Anfang 1987. Der hat sich damals allgemein wohl gerade neu orientiert. Hat auch viel produziert damals. Und wir waren eben eine von diesen Sachen. Das war auch eine gute und sehr erfolgreiche Zusammenarbeit. Das will ich gar nicht ... Gerade für uns als junge Band im gegenseitigen Kampf um den Stil einfach wichtig.
Das Lied habt ihr dann auf einen Sampler von The Perc Tom Redecker draufgepackt. Über dessen wunderbare The Perc Meets The Hidden Gentleman habe ich neulich gerade mit Alexander Veljanov (Deine Lakaien) gesprochen.
Ja, das war schon ne Zeit damals. Auf dem Perc-Sampler hatten auch ganz viele tolle Indiebands damals einen Beitrag geleistet. Und wir eben auch. Das haben wir in Bremen-Walle im Studio von Rolf Kirschbaum aufgenommen. Das war so ein Moment, an dem wir merkten, dass es uns einfach auch total was bringt, sich einfach mal mit den Songs der anderen zu beschäftigen. Das Ausreizen der Musik und unserer stilistischen Möglichkeiten. Also das war ne große Sache. Und der Guthrie-Song ist doch auch wirklich toll.
Toll finde ich vor allem, wie ihr bei "I Started A Joke" die Bee Gees eliminiert. Man muss – und ich meine das als Kompliment – wirklich dreimal hinhören, um es als Brothers Gibb-Werk zu erkennen. Ganz ohne deren klebrig schwülstige Süße! Klingt fast als käme es aus seligen "Ballad Of Jimmy+Johnny"-Tagen.
(ruft freundlich-energisch dazwischen) Aahhh! Das würde ich jetzt nicht gelten lassen wollen.
Du bist Bee Gees-Fan?
(leicht genervt) Nein, das bin ich nicht. Ich bin überhaupt kein Fan. Als Musiker ist man meistens nicht so direkt Fan. Oder wenn, dann würde man es nicht zugeben.
Bis auf den Can-Fan Pappik, meinst du?
(unbeirrt) Aber es ist doch so: Die Bee Gees haben letztendlich zwei große Phasen in ihrer Karriere. Die Zeit vor der Disco und dann die Discozeit.
Ja.
"Was ist das für'n Quatsch hier?"
Dieses Lied ist aus der Zeit vor der Disco. Und es ist schon recht anders. Wir haben z.B. den Takt geändert. Aber das ist schon ein tolles Lied im Original. Sehr traurig eben. Erst danach, mit "Stayin' Alive" und so, da haben die sich erst richtig verwandelt. Das ist ne sehr interessante Band.Interessant und sehr schön finde ich bei der Zusammenstellung deine Trompete. Ich habe den Eindruck, früher kam die mehr zum Tragen als in den letzten, sehr textfokussierten Jahren. Wer bist du in solchen Momenten? Eher Chet oder Miles oder doch der namenlose Trompeter aus den Morricone-Filmen?
Na ja, ganz ursprünglich war ich Louis Armstrong-Fan. Deshalb habe ich mit Fuffzehn angefangen, Trompete zu spielen. Morricone? Passt schon auch. Nach Armstrong habe ich begonnen, mexikanische Sachen zu machen. Texmex und so. Man kann doch gar nicht Trompete spielen, ohne beeinflusst zu sein. Ich meine, Miles Davis, dessen ganze Sachen mit der gestopften Trompete sind da doch das Brot und die Butter. Ein riesengroßer Einfluss. Gar keine Frage.
Kannst du dir denn vorstellen, der Trompete zukünftig eine größere Rolle auf den Alben zu geben?
Och, das tut sie eigentlich immer. Das fänd’ ich schon ok. Aber man muss ja immer gucken, was für Songs man da hat. Das soll ja auch zusammen passen. Und dann muss ich ja auch gucken beim Liveauftritt. Da muss ich singen, Trompete und Gitarre spielen. Und das eine geht nur, wenn ich das andere gerade nicht mache und so weiter.
Wo du gerade die Gitarre ansprichst: Weills Ballade "Von Der Unzulänglichkeit" und Alexandras "Zwei Gitarren" haben diese dramatische Note plus Zeitlupen-Gitarreneruption vom guten Ilja. So etwas war immer geil bei euch, sollte da nicht wieder mehr von dieser ursprünglichen Energie kommen, statt der Countryfizierung der letzten Jahre?
Damals als wir so was machten, wurden wir ja am meisten gefragt, ob das überhaupt Rockmusik ist. Ich denke mal, das verteilt sich immer irgendwie. Die letzte Platte "Immer Da Wo Du Bist Bin Ich Nie" finde ich aber schon sehr rockig. Nur auf eine andere Art. Dieses düstere Ding kommt noch immer mal wieder hoch. Das hängt ja auch immer mit dem jeweiligen Songmaterial zusammen. Als wir dieses "Death Kills" für Leander Haussmann gemacht haben spielte das plötzlich wieder ne große Rolle.
Zum Glück macht ihr da keinen Plan oder fühlt euch zu erwachsen für solche Noise-Elemente.
Nein, nein, das wäre auch komisch, oder? Die Songs kommen einfach. Erst kommt die Musik, dann der Text. Danach gucken wir mal, was jeder Song braucht. Verschiedene Songs brauchen verschiedene Behandlungen. Jedenfalls unserer Meinung nach. Das passiert spontan. Und so klingt es dann am Ende auch.
"Hamburg 75" als Onkel Pö-Hommage – wo ist denn da euer Szenebezug? Ihr seid da doch eigentlich etwas zu jung dafür.
Ja, aber das ist doch so ein Stück, an dem man diebische Freude hat. So was Seltsames aus den 70er Jahren macht einfach Spaß. Einfach sehr reizvoll. Der Gottfried Böttger ist ja immer noch zugange, auch bei "3 Nach 9" als Pianist. Da werden wir das mit dem im Fernsehen demnächst mal zusammen spielen. Das wird lustig. Das kommt im Januar oder so.
Hamburg bekommt damit sein Denkmal. Nix für Bremen oder Berlin?
Bremen, ja klar Bremen. Es gibt ja immerhin schon mal das Lied Delmenhorst.
Ich bitte dich, Sven. Das sind doch Niedersachsen. Etwas völlig anderes. Muss ich dir doch nicht sagen.
(gut gelaunt) Ja gut, klar. Aber Moment: Huchting kommt immerhin auch drin vor.
Ok, mit dem Getränke Hoffmann. Das ist ein Anfang. Gebe ich zu. Es gibt hier übrigens inoffizielle Stadtführungen, die man privat bei Studenten für ein paar Euro bekommt. Da tourt man dann u.a. durch die Kneipen aus deinem "Neue Vahr Süd"-Buch. Quasi ein Best of EOC-/Frank Lehmann-Ding.
Das gab es hier in Berlin auch mal ne Zeit lang. Quasi Herr Lehmann Reise durch Kreuzberg.
Das stimmt und führt mich zu einer kritischen Frage: Auf den Sampler schafften es auch Allerweltsevergreens wie "My Bonnie Is Over The Ocean" oder Dylans "Baby Blue". Auf der einen Seite wurden die tausendfach von Künstlern durchgenudelt und sind im Radio noch immer so präsent, dass man sie nur schwer ertragen kann. Da frage ich mich schon, wie man auf die Idee kommt, die 1001 Coverversion dem Publikum vorzusetzen. Und nimm es mir bitte nicht übel, aber deine sehr deutsche Art, englische Texte zu singen, macht es nicht besser. Das ist in der Aussprache im Vergleich zu den deutschen Sachen ja nicht halb so charismatisch.
Das musst du wissen. Das ist mir egal. Wir haben vier Langspielplatten in Englisch aufgenommen. Also was ist das für'n Quatsch hier?
Kein Quatsch. Genau deshalb frage ich ja. Viermalige Wiederholung macht es ja nicht zwingend richtiger. Ist ja auch nicht böse gemeint. Aber die Frage ist legitim und wird von nicht wenigen EOC-Fans ähnlich gesehen.
Deutsch klingt natürlich anders. Die Sprache hat ja auch einen anderen Klang.
Ja ... und?
(eisiges Schweigen) Ja! Eben!
Verstehe. Ok, nächste Frage: Du hast vorhin selbst den kommenden Fernsehauftritt erwähnt. Es ist für den EOC-Freund aber doch schon ein wenig schade, dass es in 25 Jahren keinen einzigen Gig fürs Wohnzimmer gibt. Keine DVD oder VHS. Wann ändert sich das denn?
(brummig) Nö, finde ich eigentlich nicht. Das ist ganz ok so. Wir sind ja schon öfters mal im Fernsehen. Jetzt geht es bald in die Schweiz. Da passiert was im Fernsehen. Jetzt war gerade die Rolling-Stone-Weekender-Geschichte. Da hat der Rockpalast mitgeschnitten.
Aber das kann man nur anschauen, wenn es läuft. Das muss zeitlich doch nicht unbedingt mit dem eigenen EOC-Konzert-Bedürfnis einher gehen. Man möchte das doch selbst entsceiden, wann und wie.
(sehr ernst und leicht genervt) Nein, ich finde auch nicht, dass es erstrebenswert ist, sich live ein Konzert ins Wohnzimmer zu holen. Es ist völlig in Ordnung, wenn man für ein Livekonzert den Arsch hochkriegen und ins Konzert gehen muss. Wir haben zu DVDs wenig Beziehung. Außerdem ist das sehr teuer in der Produktion. Das lohnt sich doch nur, wenn man jetzt wahnsinnig viel davon verkaufen würde. Ich bin bei dem Medium auch nicht so ein affiner Typ. Mich da selbst auf der Leinwand zu sehen, ist nicht mein Ding.
Ansehen sollten es ja auch die anderen und nicht du. Aber ich verstehe schon: Du willst die Einmaligkeit des Moments in der Erinnerung konservieren.
Ja, genau, zum Beispiel.
Ich erinnere mich an mein erstes Element-Konzert. Das war 1993 auf der "Weißes Papier"-Tour. Du hast während des gesamten Gigs kein Wort an das Publikum gerichtet. Einige um mich herum tönten bereits: Der Typ ist total arrogant. Ganz zum Schluss, vor der letzten Zugabe sagtest du fast zärtlich: "Ja dann, Leute, kommt gut nach Hause." Diese Art und Weise des Nicht-Kommunizierens hast du als Mann des Wortes aber schon im Wesentlichen beibehalten, oder?
Ach, weißt du, das ergibt sich mal mehr und mal weniger. Ich plane ja nicht, dort eine Ansprache zu halten, sondern Musik zu spielen. Ich weiß, das geht vielen Musikern nicht so. Es gab auch mal eine Zeit, in der es zum guten Ton gehörte, viel zu sprechen. Ich mache das nicht so gerne. Das ist ja auch nicht wirklich Kommunikation, sondern eher einseitig.
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