laut.de-Kritik
Elektrisierender Blues aus Bristol auf Suzi Quatros Spuren.
Review von Philipp KauseElles Baileys Stimmfarbe wird man unter hunderten zweifelsfrei herausfiltern. Der große Pluspunkt der Bluesrock-Britin aus Bristol: Dass sie frisch und so gar nicht nach Whiskey und Kokain klingt, sondern clean, unangestrengt, sanft, zutraulich, schillernd, brillant in der Phrasierung, präsent aber unaufdringlich, ab und zu dramatisch-exaltiert, aber dabei authentisch und nicht übertrieben, geerdet, aber nie langweilig, recht interessant, sympathisch, sensibel aber nicht hysterisch ... Hier steckt viel drin und kein Klischee: keinerlei Cowgirl-Keckheit oder Feminismus-Posing. Elles artikuliert deutlich, will aber nicht in die Glieder fahren. Bei aller Gefühlsbetontheit überwiegen Understatement und vor allem das sehr saubere Treffen der Töne.
Nur ein Mal zitiert sie die heutigen Blues-Kolleginnen vokaltechnisch mit Röcheln, Krächzen, rau, kehlig, in "Colours Start To Run", dem einzigen Song mit einem zumindest etwas mehr als soliden Gitarrensolo. Bei guter Orgel-Grundierung bedient der Stil im Detail und spieltechnisch eher Standards aus Hardrock/Rock-Disco (z.B. in "The Game") - und das, ohne dass nun Klangtiefe oder Saiten-Technik überwältigen würden. Die Spanne reicht von etlichen behutsamen Stücken bis zu Rock'n'Roll-Untertönen in der rotzigen Lead Guitar in "Sunshine City". So oder so herrscht angenehme Nebenbei-Musik vor.
Überzeugen heißt hier also nicht in jedem Lied 'mitreißen'. Einmal gestartet, wird die Platte zwar nie nervig; andererseits löst sie nichts aus, berührt oft nur auf Ebene der Vocals. Mehr gibt es in "Riding Out The Storm", in dem phänomenale Gesangsleistung und rhythmische Leichtigkeit sich miteinander vermählen. Eine satte Minute Outro kostet die intensive und gelungen inszenierte Stimmung aus.
Aus jeder Zeile hört man heraus, dass Elles diese geschaffen hat und mit tiefer Beteiligung vorträgt. Pluspunkte sammelt die Singer/Songwriterin zwar am laufenden Band, doch sie kommt kaum auf das Level, an dem sie wahrhaft Ungehörtes ausprobieren oder die große Hit-Hook auffahren würde.
Alles fließt, bei aller erkennbaren Spannbreite, doch recht homogen. Schöne abstrakte Bilder von einem "in-between"-Spalt, kalt-grasgrün leuchtet und wo man sich in einem "utopischen Traum" verliert, zeigen etwa im Titelsong "Shining In The Halflight", dass Elles nicht die üblichen Pamphlete herunter rattert. Eher pflanzt sie dem Bluesrock einen lyrischen Stil ein, den man aus dem Prog- und Psychedelic Rock kennt, dabei super geschmeidig.
Und erst bei diesem "Shining In The Half Light" elektrisiert sie wirklich mit einer mellow-perkussiven Klaviernummer, die nicht wie oft gehört wirkt. Alles zuvor ist nettes, durchaus gut gemachtes, Aufwärmprogramm, und beim Highlight hört dann das Album zu früh auf. Darunter: "Different Kind Of Love", ein tolles Lied für Fans von Elton John-Harmonien und Keyboard-Classics von McCartneys Wings, hier als balladige Unterbrechung in der CD-Mitte. Der in den '70ern verhaftete Track schielt am meisten auf den Pop-Markt, ohne aber im 'Heute' anzukommen.
Man wird den Eindruck nicht los oder bekommt ihn mehr und mehr, dass diese Stimme noch so viel mehr verkörpern könnte, als auf diesem skizzenhaften Streifzug durch Stehblues ("Cheats And Liars"), Gospel-Rockpop ("Colours Start To Rain") oder in der Akustik-Country-Blues-Ballade ("Halfway House") zum Vorschein kommt. Diverse Stimmungen, Tempi hat sie drauf. Bailey könnte durchaus noch zu einer Sängerin vom Format einer Suzi Quatro reifen.
Anspieltipps: alle, eigentlich! Ob man die Platte haben muss und sich Ende des Jahres 2022 noch daran erinnert, dass man sie im Schrank stehen hat, steht und fällt damit, wie sympathisch man die Stimme findet, die man als dezent aber auch als schnell vertraut spüren kann. Unter Gitarren-Gesichtspunkten so stringent wie ein hoppelndes Häschen, tastentechnisch eine bärenstarke Leistung, bleibt Elles Baileys fünftes Album ambivalent.
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