laut.de-Kritik

Die tiefe, sanfte Melancholie am Ende einer Beziehung.

Review von

"Ich lese unsere Namen im Abspann / Ich schreibe Abschiedszeilen auf Papier / Auch wenn wir uns verlieren durch den Abstand / Du bleibst ein Teil von mir." Mit seiner zweiten Platte verarbeitet Songwriter Enno Bunger das jähe Ende einer langen Beziehung. Kein Wunder also, dass seine deutschsprachigen Stücke mit wenigen Ausnahmen eine tiefe, sanfte Melancholie in sich tragen.

Bei der musikalischen und lyrischen Selbsttherapie steht Pianist und Sänger Enno Bunger seine gleichnamige Band zur Seite. Bassist Bernd Frikke und Drummer Niels Dietrich ergänzen das Trio, das nicht nur in Stammformation sondern auch auf "Wir Sind Vorbei" meist auf Gitarrenklänge verzichtet. Doch gerade die Piano-lastige Begleitung verleiht den Liedern einen emotionalen Mehrwert und hebt sie darüber hinaus von handelsüblicher Singer/Songwriter-Kost.

"Ich fühle mich gar nicht wie ein Frontmann, weil ich mich immer hinter meinem Klavier verstecke", verriet Enno kürzlich bei TV Noir. Seine schnörkellose Stimme und die liebevolle Tastenarbeit stellen dennoch das Herzstück der Band dar. Obwohl sich das Thema verflossene Liebe immer wieder in den Vordergrund drängt, schlittern dabei weder Musik noch Text jemals in die Kategorie Herzschmerz-Pop.

Bei der Songauswahl verzichtete das Trio auf Quantität und beschränkte Bungers Selbstreflexionsphase auf zehn Schritte. Um so höher gerät auf "Wir Sind Vorbei" die Dichte an gelungenen und ergreifenden Momenten.

Schon der Opener "Blockaden" zieht den Hörer trotz ungewöhnlichem Fünf-Achtel-Takt nach wenigen Sekunden in seinen Bann. Auch die Pianoballade "Regen" erscheint gleich auf den ersten Eindruck wie ein absoluter Lieblingssong, entpuppt sich aber bald als nur einer von vielen Höhepunkten.

Wie ein "Roter Faden" zieht sich durch das komplette Album Bungers Seelenzustand, den er im gleichnamigem Song treffend umreißt: "frei und doch gefangen." Voller Möglichkeiten hinsichtlich der Zukunftsgestaltung und dennoch fest umschlungen von der Erinnerung an die Vergangenheit.

"Leeres Boot" und "Ich Möchte Noch Bleiben, Die Nacht Ist Noch Jung" stellen sich als stille Melancholiker heraus, wirken jedoch trotz aller Sanftmut nie flach. Beim abschließenden "Präludium" bleibt der Sänger ausnahmsweise stumm, lässt den Hörer in Zweisamkeit mit seinem Kopfkino zurück und erschafft dennoch einen instrumentalen Ohrwurm.

Bunger erklärt: "Nicht jeder Schmerzstich führt zur Melancholie, mancher auch zu Wut. Und die erhöht die Taktfrequenz." Zu diesem jähen Aufbäumen kommt es bei "Die Flucht", bei dem die Musiker das Tempo ausnahmsweise in den Bereich des Tanzbaren hieven. Hier und da gesellen sich Verzerrungseffekte hinzu, auch auf diesem Level scheint sich das Trio äußerst wohl zu fühlen.

"Man ist kreativer, wenn es einem gerade nicht so gut geht", weiß Enno. "Wenn man gute Laune hat, geht man lieber ein Bier trinken, als sich ans Klavier zu setzen." Der ein oder andere glückselige Song hat es aber trotzdem aufs Album geschafft.

"Euphorie" avanciert mit wohltuenden Harmonien und hymnischen Chorgesängen zu einer Art Kontrapunkt zum Rest der Platte. Denn hier steht der Entschluss zum Neuanfang einmal deutlich über der Vergangenheitsbewältigung: "Ich kratze an den Fugen / und reiße Wände ein / bis auch die letzten Mauern / all meiner Ängste fallen."

Wenn eine ostfriesische Band über eine beendete Beziehung schreibt, erwarten viele entweder einen schwerverdaulichen Brocken oder rosarote Kitschwolken. Im Falle von Enno Bungers Zweitling stellen sich zum Glück beide Befürchtungen als komplett falsch heraus. Ohne übertriebene Schwarzmalerei oder pseudo-tiefgründe Phrasen gelingt es dem Trio, den Hörer auf lyrischer wie auf musikalischer Ebene zu berühren und sich zudem eine ganz eigene Ecke in der deutschsprachigen Musiklandschaft einzurichten.

Trackliste

  1. 1. Blockaden
  2. 2. Euphorei
  3. 3. Regen
  4. 4. Abspann
  5. 5. Leeres Boot
  6. 6. Roter Faden
  7. 7. Die Flucht
  8. 8. Ich Möchte Noch Bleiben, Die Nacht Ist Noch Jung
  9. 9. Ein Astronaut
  10. 10. Präludium

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3 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    ich bin überrascht. hört sich verdammt gut an. könnte seit langem mal wieder ein deutschsprachiges album werden, was ich mir kaufe.

  • Vor 12 Jahren

    Schön! Wahrscheinlich wird sich "Die Zeit" bestätigt fühlen, wenn junge Männer sowas hören :)

  • Vor 12 Jahren

    Jaja, ich weiss, Doppelposts sind böse etc. Aber das hier verlangt einen erneuten Eintrag. Ich hoffe schwer, dass das Album seine Hörer findet. Was die Jungs hier abgeliefert haben, ist der Wahnsinn. Songs wie "Regen" sind für die Ewigkeit, selten hat Musik ein Gefühl so sehr ausformuliert wie dieses Stück Musikgeschichte. Ich bin absolut sprachlos. Schon jetzt mit etwas vom besten von diesem Jahr, wenn nicht Jahrzehnt. Entschuldigt die Superlativen, aber sie mussten hier angeführt werden.