laut.de-Kritik
Verschroben muss kein Schimpfwort sein.
Review von Artur SchulzVerschroben - das muss kein Schimpfwort sein. Steht es doch für etwas Spezielles, etwas Eigenes. Und davon haben Erdmöbel immer ein paar Pfund im Gepäck. Was für den Freund deutschsprachiger Musik bedeutet: hier passiert was, hier wirst du als Hörer gefordert - und belohnt.
Gleichzeitig mit der Platte veröffentlicht Sänger Markus Berges seinen ersten Roman "Ein Langer Brief An September Nowak", und ebenso wortreich gestaltet sich der "Krokus". Aber nie auf die geschwätzige Tour.
Das aufmerksame Zuhören wird durch massig meisterlich zusammengefügter Gedankensplitter und Aphorismen belohnt. Mit dem letzten Song "September Nowak", einem Instrumental, stellen Erdmöbel ohnehin den endgültigen Brückenschlag zwischen Literatur und Platte her.
Die "77ste Liebe" atmet den für Erdmöbel typischen Wortwitz in Verbindung mit quirligem Sixties-Pop-Outfit. Heiter schwadroniert Markus Berges über "evangelische Kakteen" und die Momente, wenn "Barkeeper subtrahieren". All den liebenswert herumspinnenden Metaphern sitzt zwar oft der Schalk im Nacken, doch gleichberechtigt eine nachdenkliche Beobachtung der Dinge und eine große Portion Melancholie. Der Pop ist in allen Ecken zu Hause und fühlt sich in diesem gehobenen Ambiente spürbar wohl.
Schweineleberwurst, Rhabarbarbeete, Nordrhein-Westfalen, Adolf Hitler, Crackpfeifen, Palermos Polarlicht, Kleingeldschlüssel und die Stasi - all das weckt Assoziationen und scheint zunächst unvereinbar. Doch staunt man immer wieder, wie gerade rumpelige Adjektive und Begrifflichkeiten in einem runden, stimmigen Kontext zusammenpassen. Die "Ausstellung Über Das Glück" findet statt "im Hygiene-Museum Dresden", begleitet von launig torkelnden, lateinamerikanischen Beats.
All das bleibt "hängen an / was man nicht sehen kann" ("Emma") und bringt die Erdmöbel-Vorgaben auf einen trefflichen Punkt: Denn es dreht sich hier trotz viel Wohlklang nicht um reines, altbekanntes Konsumieren. Sondern um echtes Zuhören, und die Wiederentdeckung jener verschollenen Fähigkeit, im Kopf eigene Bilder dazu entstehen zu lassen.
Heiter und hochgradig tanzbar ruft das swingende und hymnische "Erster Erster" sogar auf den Dancefloor. "Ich bin vor mir da" erkennt Berges, und in dieser musikalischen Silvesternacht begegnen ihm "Sekt- und Schneeregen".
Fernab des Latin-Klischees wiegt sich "Brasilia" zwischen handgemachten Instrumenten zu einem leichtfüßigen Bossa Nova. Anrührend und unwiderstehlich romantisch: Das pianogetränkte "Snoopy-T-Shirt" - eine Nummer, der ungestraft Geistesverwandschaft mit Element Of Crime unterstellt werden darf. Sanfte Bläser und eine gegen Ende vorlaute E-Gitarre bilden das weitere Gerüst eines absolut stimmigen Arrangements.
Entdeckergeist ist gefragt - und die Expedition nach einem Hördurchgang noch lange nicht zu Ende. Da finden sich immer wieder übersehene, sonnendurchflutete Lichtungen. Manch bekannter Baum und Strauch schaut, zu anderer Tageszeit besucht, eben plötzlich ganz anders aus.
2 Kommentare
Huch, die können auch eigene Lieder?
Ja, klar