laut.de-Kritik
Poes Geschichten als sinnliches Hörerlebnis.
Review von Jens BrüggemannEric Woolfson, über 30 Jahre von Edgar Allen Poe fasziniert, erfüllte sich mit diesem Album einen Traum. Die Fortsetzung von "Tales Of Mystery and Imagination", womit seine musikalische Karriere beim Alan Parson's Project begann, ist ein akustisches Kompendium zahlreicher Werke des amerikanischen Schriftstellers. Mit tatkräftiger Unterstützung eines Chors von 80 SängerInnen, einem 40-köpfigen Orchester, dem Sänger Steve Balsamo, sowie anderen namhaften Gastmusikern hat Woolfson die Platte entwickelt. So entstand in über sechs Jahren und mit über einer Million Euro Produktionskosten eine Art Musical-Album, das größtenteils ganz ansehnlich gelungen ist.
Mit dem Instrumental-Intro, das durch Gitarrensoli angeführt wird, schafft Woolfson zunächst einen gelungenen Einstieg in seine klangliche Interpretation von Poe. Der zweite Titel "Wings Of Eagles" zeichnet sich durch Tempowechsel und eine vielfältige Mischung von laut explodierenden bis zu vorsichtig tastenden Instrumenten aus. Besonders besticht aber die hier zum ersten Mal zu hörende, kraftvolle, aber wohl dosierte Stimme von Steve Balsamo. Trotzdem: nur etwas anders interpretiert, ist genau dieser Song nicht erst mit dem Refrain eine Softversion spät-achtziger Metals aus der Hamburger Helloween-Schmiede. Die übrigen Songs, zu denen Balsamo seine Kraftigallenstimme beisteuert, wirken (glücklicherweise?!) anders.
Man muss den musikalischen Einflüssen die hier verarbeitet wurden, kein allzu genaues Ohr schenken, um festzustellen, dass Eric Woolfson ein erstklassiger Komponist mit Musical-Erfahrung ist. "Freudiana", "Gambler" oder "Gaudi" gehen auf seine Rechnung und konnten ansehnliche Erfolge feiern. Und so scheinen einige Songs wie "The Bells" oder "Goodbye To All That" auch direkt für ein Bühnenstück komponiert zu sein. Fett orchestral arrangierte Musik mit einer vor allem durch Chorgesang getragenen Melodie lässt die Bühne direkt im Kopf entstehen. Wenn man die Augen schließt, kann man sie sehen.
Allerdings wär's schön, wenn man das innere Auge vor dem 'Bühnenbild', das sich bei "Train to Freedom" aufbaut, gelegentlich wieder schließen könnte. Eine tickende Uhr, Loops von Percussion-Samples und ein 'Uhuhuuh'-jaulender Chor-Background ist zu viel für das Schauspielhaus auf meinem Hals. Neben dieser groben Entgleisungen, die man nicht mehr als einmal hören möchte, ist der beste Track auch gleichzeitig der letzte. Sanfte Klangfarben und das Orson Welles-Zitat "All that we see or seem is but a dream within a dream" als Einstiegszeile für den Chorus schaffen ein tief sinnliches Hörerlebnis. Wieder einmal ist es Album-Joker Balsamo, der dem ganzen Titel am Ende mit einem eindringlichen Ausruf "I am immortal" die Krone aufsetzt.
'Immortal' vielleicht nicht und eine richtig große Krone auch nicht, aber um es einmal mit Poe zu sagen: "Nicht in der Erkenntnis liegt das Glück, sondern im Erwerben der Erkenntnis." Daher will ich hier nicht mit einem endgültigen Urteil schließen, sondern sage: ruhig mal reinhören und vielleicht dabei glücklich werden.
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