laut.de-Kritik
Eine Collage der Lebensfreude.
Review von Mirco Leier"I’m still that mysterious bitch" stöhnt uns FKA Twigs in den eröffnenden Minuten ihres neuen Mixtapes entgegen. Als wolle sie gleich von vornherein klarstellen, dass man sich ja nicht von "Tears In The Club", der ersten und einzigen Single, aufs Glatteis führen lassen soll. Darauf hörte man eine andere, eine formellere FKA Twigs als die, die man auf ihren bisherigen Studioalben kennen lernte, keine Frage, aber "Caprisong" ist weit davon entfernt ihr grandioser Vorstoß in den Mainstream der Popmusik zu sein. Selbst im Mixtape-Format ist die Sängerin schlichtweg viel zu exzentrisch, um dies zuzulassen.
Schon das Konzept des Tapes ist ein eigenwilliges. Wie der Titel vermuten lässt, umspannt es ein spiritueller Überbau. Twigs glaubt an Aszendenten, an Sternzeichen, an Astrologie, weswegen sie sich auch dafür entschied, es inmitten der Zeitspanne ihres eigenen zu veröffentlichen. Songs öffnen und schließen vermehrt mit Gesprächen über das Universum, den eigenen Selbstwert und die Zukunft, die buchstäblich in den Sternen steht. "I wish you could see in you, what I see in you, what everyone sees in you. Cause that's the golden stuff right there", ermutigt sie eine Frau an einer Stelle. Das Klicken von Kassetten entreißt uns diesen Gesprächen immer wieder und wirft uns kopfüber von einem Klangbild in das nächste. Es entsteht eine Tracklist, die gleichermaßen in sich schlüssig, wie auch grundverschieden tönt.
Vorab tat Twigs kund, dass "Caprisongs" durch und durch ein Produkt seiner Zeit sei. Geboren aus der Isolation in den eigenen vier Wänden zu Beginn der Pandemie und dem Trauma ihrer letzten Beziehung, das sie bereits auf "Magdalene" exorzierte. Stück für Stück habe sie durch die vielzähligen Gespräche, die letzten Endes auch ihren Weg auf das Mixtape fanden, wieder neue Lebensenergie geschöpft und damit auch ihre Liebe zur Musik neu entdeckt. Das hört man. Noch nie traute sich Twigs, so konventionell zu klingen und dennoch so viel mit verschiedensten Klängen zu experimentieren. Noch nie klang ein FKA Twigs-Projekt so fröhlich und lebhaft, noch nie hörte man ihr den Spaß beim Musikmachen so sehr an.
Die düsteren und melancholischen Klanggebilde, die ihr unter anderem Produzent*innen wie Arca oder Jack Antonoff in der Vergangenheit auf den Leib schneiderten, weichen einer ganzen Palette an leichter bekömmlichen Sounds, die sich eher auf den Tanzflächen und Raves dieser Welt zuhause fühlen, als in den Stripclubs eurer Alpträume. Afro-Beats und Reggaeton evozieren auf "Papi Bones" und "Jealousy" Bilder von schwitzenden Körpern zwischen Palmen und gleißendem Sonnenlicht. Das bereits erwähnte "Tears In The Club" fährt mit triumphalen Vocals und scheppernd-euphorischem UK Bass die ganz großen Pop-Geschütze auf.
Im Kontrast dazu, halten Songs wie "Minds Of Men", "Meta Angel" oder "Lightbeamers" das 'mysterious bitch'-Versprechen des Openers ein. Die Songs sind nahe am klassischen Alternative R'n'B-Sound, den man von Twigs kennt und liebt, finden aber Kniffe und Wege diesen etwas zugänglicher aufzubereiten. Besonders "Meta Angel" gelingt das auf bezaubernde Art und Weise . Das Autotune verleiht dem Song emotionale Gravitas, das eruptive Instrumental verstummt und explodiert genau in den richtigen Momenten, um im Wechselspiel mit Twigs evokativer Stimme dem Song eine nahezu magische Aura zu verleihen.
Die Hip Hop-Crossover gebären wiederum einen solch wunderschönen Bastard aus Garage, Trap und R'n'B, wie ihn nur Twigs fähig ist, auf die Welt zu bringen. Hier wagt sie bisweilen die mutigsten und größten Schritte aus ihrer Komfortzone, was in den mitunter memorabelsten Momenten des Mixtapes resultiert. Das Call-and-Response mit Feature-Rapper Pa Salieu in der Bridge von "Honda" etwa, oder ihre gerappte Hook auf "Darjeeling" und deren Kontrast zu Jorja Smiths engelsgleichen Gesang: Alles per se kein Neuland für Twigs, aber in diesem Rahmen aufbereitet, bekommt man durchaus stellenweise das Gefühl, einer von Grund auf erneuerten Künstlerin zu lauschen.
Auch die extensive Gästeliste ist untypisch für die Britin. Wo ihre bisherigen Outings weitestgehend auf Kollaborateure außerhalb der Produktion verzichteten, macht sie hier vollends vom losgelösten Medium des Mixtapes gebrauch, und lädt ganze neun befreundete Künstler*innen ein. Das geht, im Falle von Jorja Smith oder den Gast-Rappern Pa Salieu und Unknown T ausgezeichnet vonstatten. Sie variieren und werten mit ihrem Beiträgen das Klangbild ungemein auf. An anderer Stelle lassen die weitaus prominenteren Gäste jedoch durchaus den einen oder anderen Wunsch offen. The Weeknd hält sich mit seinem Verse auf "Tears In The Club" so sehr zurück, dass der Song ohne ihn besser dran gewesen wäre, und auch Shygirl und Daniel Caesar liefern bestenfalls Dienst nach Vorschrift.
Grundsätzlich lässt sich deshalb auch festhalten, dass "Caprisongs" in der zweiten Hälfte nicht mehr ganz das bis dato nahezu makellose Qualitätslevel aufrecht halten kann, besonders das Astrologie-Narrativ der LP treibt sie gegen Ende auf die absolute Spitze des Augenrollens. Eine Ärgerlichkeit, die das Grande Finale wenig später vergessen macht. "Thank You Song" beendet Twigs' erstes Mixtape mit einem emotionalen Crescendo, das uns, von Arcas überwältigender Produktion beflügelt, in den siebten Himmel aufsteigen lässt.
Nein, "Caprisongs" ist kein weiteres auditives Kunstwerk geworden, wie Twigs vorherige Projekte, aber das will es auch gar nicht sein. Waren "LP1" und "Magdalene" über Jahre akribisch perfektionierte, expressionistische Gemälde, dann ist dieses Mixtape eine in der Euphorie des Moments zusammengeschusterte Collage der Lebensfreude. Die offenbart vielleicht nicht mit jeder Minute die man darauf starrt neue Facetten, macht dafür aber schlicht gesagt einfach mehr Spaß.
7 Kommentare mit 11 Antworten
Herbe Enttäuschung. Vielleicht wird sie beim nächsten Mal wieder interessanter. Der Astrologie-Quatsch, die stumpfe Produktion, und die flachen Songs sind auf eher ekelige Weise anbiedernd an Social-Media-Teens/-Early-Twens.
Erklärt die 4 Sterne.
Schon. Wenn was super "hip" und "cool" klingt, muß es hier Sterne regnen. Soll keiner merken, daß der Altersdurchschnitt der Redaktion bei pi mal Daumen 49 liegt.
War die Dame nicht schon immer overerated mit Songs hart an der Unhörbarkeit?
ich fand sie immer schon masslos überbewertet. aber aus popmusikalischer hinsicht war da schon durchdachter bums mit bei. nichts was ich freiwillig hören würde natürlich, aber der hut vor dem produzententeam zieht man da durchaus.
Wow Mirko. Das Talent den Müll gross zu schreiben hat das Praktikum über die letzte Zeit aber massiv gefördert. Das hat ja beinahe schon Gölz-reviewt-KPop - Level.
Aww, thanks.
Für die Backxwash - Review gebührt ihm immer noch nichts als Dankbarkeit. Love that album
Ich konnte das Album/Mixtape/was-auch-immer bisher nicht mal bis zum Ende hören, weil ich immer vorher vor Enttäuschung ausmache. Ich werde die Existenz dieses Projekts einfach vergessen und hoffe auf einen richtigen Nachfolger ihrer großartigen Alben.
Total enttäuscht vom Album.
08/15 mucke fürs radio.
1/5
Ahahaha süß, wie sich alle hier aufregen, nur weil das Album anders ist. Album macht mega Spaß und schön, dass sie wohl das gemacht hat worauf sie bock hat. Gute Rezension.
Albung 2 war schon sehr anders als Albung 1. Vielleicht liegts ja an was anderem, daß die Scheibe als Enttäuschung empfunden wird...?
"I’m still that mysterious bitch" stöhnt der alte weiße Mann mit ekeligem Mundgeruch in den laut.de Kommentaren.
Und warum sollte der alte weiße Mann das stöhnen?
Dann geh halt mal zum Zahnarzt, Muppi!
Ich finde es auch deutlich schwächer als die beiden Alben, wenn auch nicht ganz so mies, wie hier behauptet wird. Musikalisch geh vieles absolut klar und es gibt einige Hits (Ride the Dragon, Careless, Meta Angel). Die Skits und diese ganze Eso-Sternzeichen, Healing Attitüde sind aber wirklich anstrengend, gerade weil sie so eine schöne Künstlerpersona hatte.