laut.de-Kritik

Dissen als nostalgische Bringschuld.

Review von

Ich check's nicht. Farid-Fans erzählen mir, sie fänden "X" besser als "Asphalt Massaka 4" oder "Asphalt Massaka 4" besser als "X". Dort habe er geschwächelt, dann seine Form wieder gefunden. Wie bitte? Als jemand, der Farid Bangs Releases jetzt schon seit vielen Jahren verfolgt, frage ich mich, wie man etwas anderes als eine Abwärtskurve im langsamen Gleitflug nach unten diagnostizieren kann. Es ist ja nicht, als hätte der Mann in den letzten Releases auch nur einen einzigen Track lang etwas Neues probiert.

Farid macht so konsequent das Gleiche, dass er es selbst thematisiert: "Das ist kein Diss, das ist ein Deja Vu". Korrekt. Es sind die gleichen Lines gegen die gleichen Leute, gegen die du schon vor zehn Jahren geschossen hast. Ich habe ehrlich Angst, aus Versehen die gleichen Sachen zu sagen wie in den letzten zwei Reviews. Wieso gibt es Leute, denen das nicht so langsam langweilig wird?

Aber nein, wir machen wieder Abfahrt: Beat mit super-mega-doll-epischem Chor. Rap ist weich geworden, aber Farid macht ihn wieder hart. Hurr durr, die Leute gendern, oh nein, Bushido ist ein 31er. Meine Fresse. Rap muss Schokolade in einem Auto im Sommer sein, so wie er scheinbar nach 30 Sekunden weich wird, sobald Farid auch nur aus der Tür ist.

Textlich wäre damit auch schon behandelt, was zu behandeln ist. Soll ich noch arg viel mehr auf die Lyrics eingehen? An einer Stelle rappt er "Kinder lernen heute in der Schule 29, 30, Bushido, 32". Haha, versteht ihr? Bushido ist ein 31er. Wir schreiben nämlich gerade das Jahr 2014, haben uns von unserem Taschengeld "JBG2" im Müller gekauft, gleich klaut Paul noch eine Flasche Vodka im REWE, und dann gehts zur Kirchweihe im Dorf nebenan. Das Leben ist sorglos und schön und Farid bringt es jedes Mal zurück, wenn er so tut, als wären die letzten zehn Jahre nie geschehen. Hoffentlich disst er als nächstes Laas oder Fler oder Casper! Denkt ihr auch, Rap wird gerade zu poppig?!

Im Ernst: Wen juckt im Jahre unseres Herren 2024 Bushido?! Wann sind die sich das letzte Mal über den Weg gelaufen? Was sollen die denn gegeneinander haben? Disses auf "XII" passieren aus nostalgischer Bringschuld. Irgendwen muss man ja dissen, T-Low war nicht lange genug relevant, also zurück zu den Evergreens. Sogar Mok wird erwähnt, ein Name, den man außerhalb des komischen JBG-Kosmos das letzte Mal gehört hat, als Obama noch Präsident war. Shirin David bekommt ein paar der giftigeren Sticheleien ab, da glaubt man Farid immerhin, dass er wirklich etwas gegen sie hat. Ansonsten bleiben nur Hammer-Einsichten wie die, dass Farid nicht gendert. Woah, Bruder. Das melde ich sofort dem Düsseldorfer Presserat. Das gibt eine deftige Rüge!

Apropos JBG-Kosmos: Das wahrscheinlich Interessanteste an dieser halben Stunde Nothingburger ist die Theorie, dass wir es hier mit den sterblichen Überresten dessen zu tun haben, was wohl mal "JBG4" hätte werden sollen. Das klingt nicht unplausibel, denn mehrere Tracks wirken unfertig, nur ein Part lang, auf mehreren Hooks referenziert er "JBG" oder "Kollegah und Farid Bang". Wenn das stimmt, wäre es schon wirklich beeindruckend lieblos, nicht einmal die Stellen umzuschreiben, so dass sie als Soloalbum Sinn ergeben würden. Aber Lieblosigkeit scheint eh das erste Gebot von "XII" zu sein. Hört euch nur diesen belanglosen PA Sports-Part an. Zweckreim, Fillerline, "ihr werdet in Blei gebadet / präzise wie ein Soldat". Ein ganzer Part wie Halbschlaf, beendet mit dem Versprechen, dass er härter gegangen wäre, aber er ist ja Labelchef, da könne er das ja irgendwie nicht so gut. Schade. Auch hier in der Hook ein kleines Lament, dass in einer besseren Welt Kolle und Farid noch Musik machen würden.

Entschuldigung Farid, aber auch wenn diese Parts hier zu einem "JBG4" geworden wären, würde das die Welt nicht besser machen. "XII" (übrigens nicht für "12" sondern für "X2", verwirrend genug) ist ein extrem ermüdendes Album. Ich schätze mal, dass die Farid-Fans, die diese Alben untereinander ranken können, einfach nur grundsätzlich diesen Sound zum Pumpen brauchen. Und okay, stattgegeben, es klingt alles nicht komplett verkehrt, wenn man auf Chorbeats und Pömp stehen sollte. Ein paar schiefe Hooks, ein nicht ganz optimaler Vocalmix beiseite, das ist halt, was man von Farid erwartet.

Aber abgesehen von diesem inzwischen auch immens abgedroschenen Sound? Ich bin immens gelangweilt. Da hilft der Eindruck nicht, dass Farid zwischendurch damit angibt, dass er Alben in nur einer Woche machen würde und trotzdem total viel Geld verdient. Man merkt es. "XII" hat uns absolut nichts zu erzählen. Es ist ein Album um des Dissens willen, aber die Disse klingen wie ungelenke Formalien. Das Album klingt nicht einmal gemein oder giftig oder problematisch. Es klingt einfach nur sehnsüchtig nach einer Zeit, in der sich irgendwer außerhalb seiner komischen, kleinen Bubble ernsthaft um Farid geschert hat. Wenn er heute ein Album macht und jemanden disst, dann juckt das nicht. Dieses Dissen ist Content Sludge. Leute werden auch nicht darauf reagieren, wenn Juliensblog sie disst, oder? Hinter diesen Dissen steht gar nichts, auf das man reagieren müsste, außer Farids fadem, angestrengtem Versuch, irgendwie das Textblatt vollzumachen. Und irgendwie ist das an diesem Punkt doch vor allem bemitleidenswert.

Trackliste

  1. 1. Gangster
  2. 2. 911
  3. 3. Morgengrauen
  4. 4. Fuck U
  5. 5. Zenit
  6. 6. Keyboard Warriors
  7. 7. Multiverse (feat. PA Sports)
  8. 8. Prada, Louis, Chanel
  9. 9. Dejavu
  10. 10. Kamikaze
  11. 11. Geldwäsche
  12. 12. Stirb Beim Versuch (feat. Bobby Vandamme)

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