laut.de-Biographie
Felix Krull
"Führet meinen Schimmel her, ich will ausreiten. Hinaus in die Weiten, frei wie eine Blaumeise. […] Sattel auf, galoppierend stets weiter in die aufgehende Sonne, die mein Haupt erleuchtet, die Weinreben streift und dann mein Haus erleuchtet, gebaut durch Sklaverei und Ausbeutung. Deutsche Rapper, die jetzt dienen als Haushälter." Dem spätestens seit Kollegah auch hierzulande weit verbreiteten Imagerap fügt Felix Krull eine weitere Facette hinzu: die des Lebemanns der Münchener Schickeria und dekadenten Großgrundbesitzers, dessen Megalomanie im "Cäsarenwahn" mündet.
Im gleichnamigen Video präsentiert sich Krull im rosa Anzug, mit apathischem Blick und vom Kokainkonsum blutverschmiertem Philtrum. As Vertreter des gelangweilten Geldadels zieht er sein Vergnügen in Calvin-Candie-Manier aus den körperlichen Auseinandersetzungen hiesiger Rap-Kollegen: "Ich genieße ein' Brudingo-Kampf, paff, die Zigarre qualmt. Was ein wahrer Spaß, MoTrip gegen Ali As. Nach dem Kampf erhalt' ich Alis Zopf als Talisman und schenk' ihn meiner zarten Zofe Shalimar." Selbstredend verbirgt sich hinter dem flamboyanten Image eine Menge Humor.
Felix Krull wird in Dachau geboren, wächst jedoch in München auf. Als belesene Bühnenschauspielerin vermittelt ihm seine Mutter Affinität zur Literatur. Sein Vater arbeitet als Unternehmer und ermöglicht der Familie mit seinem Einkommen ein finanziell sorgenfreies Leben. Doch im Alter von 16 Jahren kommt es zum Bruch in der Biografie Krulls: Die Firma seines Vaters geht Konkurs, seine Eltern lassen sich scheiden und er sieht sich gezwungen, gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern in einen Plattenbau zu ziehen. Felix Krull erlebt einen Realitätsschock, wie er im Buche steht.
Genau genommen bezieht er seinen Künstlernamen auch aus einem solchen: In "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" von Thomas Mann frönt die Familie Krull einem vergnügungssüchtigen Lebensstil. Als es aber zum Bankrott des väterlichen Betriebs kommt, gibt der narzisstische Selbstdarsteller Felix weiterhin vor, verschwenderisch zu leben. "Felix Krull" erweist sich somit als adäquates Pseudonym, das sowohl auf die Kunstfigur als auch die dahinterstehende Person verweist.
Den Zugang zu Rap vermitteln ihm die "wirklich roughen" Ansagen 1 bis 3 von Aggro Berlin sowie die ebenfalls in München ansässigen Feinkost Paranoia. Felix Krull erhält sich auch in den folgenden Jahren seine Begeisterungsfähigkeit für das Genre und verteilt Belobigungen en masse. So sagen ihm vor allem Künstler zu, "die nicht alles so ernst nehmen", namentlich K.I.Z., SSIO, Der Plusmacher, Karate Andi und Deichkind. Doch auch "Russisch Roulette" und Celo & Abdi, Tory Lanez, Drake und Young Thug aus Übersee, Kollegah, Olson und Ali As, Live from Earth und Mundart-Rap von Crack Ignaz rotieren in seiner Playlist.
Um ähnliche Erfolge wie die Genannten zu feiern, lässt sich Krull zwecks Kontaktknüpfung häufiger in Berlin blicken. Obwohl seine Homebase in München liegt und die bayerische Landeshauptstadt eine essentielle Bedeutung für seine Kunstfigur aufweist, liegen die Standortnachteile auf der Hand: "Wenn du aus Berlin kommst, hast du einfach die Möglichkeit, in kürzester Zeit in die Szene einzusteigen. Du hast auch die Medien ziemlich gebündelt und kannst von anderen Rappern gepusht werden. Das gibt es in München halt gar nicht."
2011 debütiert Felix Krull mit seiner EP "Vom Koksstein Zur Freiheit", um "das Erbe von Gunter Sachs, Rolf Eden und all den anderen Beaus und Bonvivants anzutreten". Ein Jahr später folgt das Tape "Tage Des Stemmers". Inhaltlich frönt er der prunkvollen Lebensweise, behandelt aber auch die "Schattenseiten der Schickeria". Die ersten Gehversuche fallen zwar noch etwas cheesy aus, warten jedoch bereits mit Gastbeiträgen von Olson, Kitty Kat und Ali As auf. Letztgenannter holt Krull zum Gegenbesuch auf seine EP "EMWIMO".
2014 erscheint Krulls Debütalbum "Xanadu". Der sagenhafte Ort gleichen Namens symbolisiert Wohlstand und stand bereits in Orson Welles "Citizen Kane" Pate für das mit wertvollen Besitztümern ausgestattete Anwesen Charles Foster Kanes. Mit dem Album zeichnet Krull den Weg zum Reichtum nach. Ein weiterer Wink in Richtung des "Lebens und Leidens des Felix Krull".
Ende 2016 macht sich Felix Krull mit seinem zweiten Album auf, das staubige Image des "Kitsch" aufzupolieren: "Für mich ist Kitsch ein Lifestyle und bezieht sich auf alles, was das Goodlife ausmacht. […] Die Schickeria, die High Society – das ist Kitsch. München an sich ist auch schon sehr kitschig, allein das Oktoberfest und die Trachten. Nicht abwertend gemeint, sondern nice." Robert Philip liefert den musikalischen Unterbau des Albums, den Krull als "80s Cocaine Funk gepaart mit aktuellen Beatelementen aus den States" charakterisiert. Zu den zeitgeistigen Strömungen auf "Kitsch" gehören Trap und Cloud Rap.
Mit Nicky Nice und Guliano bildet Felix Krull im Frühjahr 2017 die Kitschgang und veröffentlicht das Mixtape "Kappa Gamma". Erneut finden sich mit Prinz Pi, Grosses K, Pretty Mo und Nuro einige namhafte Gastrapper in der Titelliste wieder. Bereits im August legt Krull nun wieder solo das "Alman Tape" nach, auf dem "jeder Song etwas typisch Deutsches mit einem bayerischen Touch thematisiert und persifliert". Philip Klett visualisiert mit "Grillen" und "Bier" zwei Beiträge des Tapes.
Für die Zukunft setzt sich Felix Krull hochgesteckte Ziele: "Mir geht es nicht lediglich darum, Geld zu haben. In meinen Augen, geht es vielmehr darum, ein erfülltes Leben im Überfluss zu leben, wozu natürlich auch Geld gehört." Mit seinem Ansatz rücken diese Ziele in greifbare Nähe. Das Konzept "Fake it to make it" führte immerhin schon bei ganz anderen zum gewünschten Erfolg.
Seine Youtube- und Instagramserie "99 Dinge, die (k)ein Rapper macht" wird 2019 ein viraler Hit, die Klickzahlen jedoch nicht ansatzweise so krass wie der Inhalt: Mit dem Sperma eines Freundes die Haare kämmen, auf Schnee pinkeln und diesen essen, ein Kastanienmännchen aus Kot bauen, Scherben einer Glühbirne essen. Von da aus ist es zu dem Porno, den Krull Anfang 2021 auf seinen Social Media-Accounts ankündigt, auch nur noch ein kleiner Schritt.
Im März 2024 erscheint eine Dokumentation von Y-Kollektiv mit dem Titel: "Felix Krull - Geschichte eines Absturzes". Krull kommt darin selbst zu Wort, zeigt sich reumütig über seine Vergangenheit. Er habe häufig zu Drogen und Alkohol gegriffen, um mit der steigenden psychischen Belastung durch die immer härteren Internet-Challenges klarzukommen - eine Abwärtsspirale, die auch ein kurzer Aufenthalt in der Psychiatrie nicht aufhält.
Erst nach mehreren drogeninduzierten Psychosen und einem Gerichtstermin wegen häuslicher Gewalt schafft Krull endlich den Entzug und begibt sich in eine Anti-Aggressionstherapie. Sein früheres Ich bezeichnet er heute als "Wrack".
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