28. Oktober 2020

"Joe Biden ist in vielerlei Hinsicht dumm"

Interview geführt von

Jason Aalon Butler lädt via Zoom zum Gespräch ins heimische Los Angeles: Bei Fever 333 steht die aktuelle EP "Wrong Generation" sowie eine anschließende sechsteilige Livestream-Tournee an. Doch mehr denn je steht jedes künstlerische Bestreben im Schatten des politischen Kampfs.

Der Countdown läuft. Wenige Tage vor der wegweisenden Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten veröffentlicht Fever 333 ihre EP "Wrong Generation", die unter dem Eindruck des Todes von George Floyd und den folgenden Protesten gegen Polizeigewalt entstand. Frontmann Butler möchte seine Band explizit als politisches Projekt verstanden wissen, immer der Parole folgend: "Die Bewegung ist größer als die Musik."

In Anbetracht der dramatischen Lage zwischen Pandemie, Rassismus, Naturkatastrophen und einem freidrehenden Präsidenten vermittelt Butler im persönlichen Gespräch einen geradezu optimistischen Eindruck. Mit ausgeglichener Freundlichkeit spricht er über die nahende Revolution, das Zwei-Parteien-System, sein Verständnis für Trump-Wähler, und warum er Joe Biden für alles andere als großartig hält.

Wie erlebst du die aktuelle Corona-Lage in Kalifornien?

Ich kenne tatsächlich einige Leute, die es hatten. Ich versuche, so vorsichtig wie möglich zu sein, weil meine Mutter ein wenig vorbelastet ist. Aber der Shutdown war interessant. Zum ersten Mal ging es in L.A. wesentlich langsamer zu. Es war cool, dass wir keinen Straßenverkehr hatten. Und dann wurde alles wieder geöffnet. Es fühlt sich so an, als würde der Wahnsinn in L.A. wieder zunehmen.

Lass uns direkt auf deine Hauptthemen eingehen. Du hast mal gesagt: "Wir versuchen einen Soundtrack für die Revolution zu schreiben, von der wir wissen, dass sie kommen wird". Auf der anderen Seite wissen wir, dass jede Revolution, die angekündigt wird, nicht stattfindet. Wie kannst du so sicher sein, dass sie zustande kommt?

Es geht nicht einmal darum, ob es passieren wird oder nicht. Sie ist bereits auf dem Weg. Es passiert gerade. Ich beobachte, wie auf eine Weise für LGBTQ-Rechte gekämpft wird, wie ich es in meiner Generation noch nicht gesehen habe. Ich beobachte, wie die Rechte der Schwarzen und People of Color bei den meisten Diskussionen in den Vordergrund treten. Es geht also wirklich nur darum, Teil von etwas zu sein, das bereits da ist und sich für etwas einsetzt.

Wie soll das Ergebnis der Revolution aussehen, sobald sie fertig umgesetzt ist?

Wenn wir verstehen, dass wir mit unseren Unterschieden koexistieren können, sollte es viel aufgeschlossener zugehen. Ich fordere die Menschen nicht dazu auf, ihre Kultur oder ihren kulturellen Hintergrund vollständig zu integrieren oder aufzugeben. Ich sage nur, dass ein Wert darin besteht, zwischen verschiedenen Kulturen zu existieren und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu erlauben, auf ihre eigene Weise zu gedeihen. Ich denke nicht, dass wir uns selbst aufgeben müssen, um Platz für andere zu schaffen. Es geht mehr um Verständnis. Ich denke, dass eine progressive Denkweise Teil der Evolution und Anpassungsfähigkeit ist.

Revolution ist ein großes Wort. Es gab im vergangenen Jahrhundert zwar einige gewaltfreie Revolutionen, aber für gewöhnlich verlaufen sie nicht friedvoll. Welche Rolle spielt Gewalt bei deinen Bemühungen?

Ich setze mich nicht für Gewalt ein, aber ich bin auch nicht naiv genug, um zu glauben, dass sie keine Rolle spielt und in der Revolution, von der wir sprechen, nicht involviert sein wird. Als Kreaturen, als Menschen sind wir animalisch und noch immer ziemlich primitiv. Obwohl ich Gewalt nicht unbedingt fördern möchte, falls es einen Weg ohne gibt, bin ich nicht naiv genug, um zu glauben, dass sie keinen Platz darin findet. Wenn sie auf Gewalt stoßen, sollen sie nicht zögern, sich zu schützen und zu verteidigen.

Hast du Angst davor, dass die Republikanische Partei von der Gewalt auf den Straßen profitieren könnte?

Natürlich, in solchen Situationen profitiert immer eine politische Ideologie oder Partei. Es hätte einen Einfluss, aber es ist auch eine Frage des Kontexts und ob wir in der Lage sind, den Kontext zu erklären, in dem Gewalt auftritt. Aber nochmal, ich sage nicht, dass wir gewalttätig führen sollten. Wir reagieren nur auf den gewalttätigen Ansatz unserer Gegner.

Du hast gesagt: "Die Bewegung ist größer als die Musik." Warum ist es notwendig, eine eigene Bewegung zu gründen, anstatt sich anderen politischen Gruppen anzuschließen?

In erster Linie hat in Amerika das Zwei-Parteien-System versagt. Wir beobachten, wie das gerade in Echtzeit passiert. Ich glaube in keiner Weise an die Ideologie des Amerikanismus oder Nationalismus. Nicht nur in Amerika, sondern global gibt es alternative Wege, an Freiheit zu glauben und diese zu erlangen. Historisch betrachtet, haben wir Menschen Erfolge gesehen, wenn wir uns zumindest auf eine radikale Ideologie gestützt haben. Es gibt nicht viele politische Bewegungen innerhalb des Zwei-Parteien-Systems, die über die Veränderungen sprechen, die meiner Meinung nach für die Menschen in diesem Land geschehen müssen und die sich auf den Rest der Welt auswirken, weil Amerika auf Gedeih und Verderben eine Weltmacht ist.

"Wir verwandeln den Kapitalismus in etwas so Abstraktes, dass die Menschen ihren Anteil daran nicht erkennen können"

Du hast das Zwei-Parteien-System erwähnt. Siehst du die Chance, dass eine dritte Partei aufsteigt?

Sicher nicht bei dieser Wahl, aber ich sehe Anzeichen dafür angesichts des scheiternden Zwei-Parteien-Systems. Die Tatsache, dass Bernie Sanders bei dem diesjährigen Wahlen an Fahrt aufgenommen und eine Bekanntheit erlangt hat, die ich vor zwei Jahren für fast unmöglich hielt, weckt Hoffnung in Leuten wie mich. Aber im Moment sehe ich das nicht, und deshalb spreche ich über eine Bewegung, in der du der Bundesregierung das Vertrauen entziehen musst. Man muss anfangen, lokaler und gemeinschaftsbasierter zu denken.

Ist es heutzutage auch effektiver, politischen Einfluss außerhalb der Parlamente auszuüben?

Ja, zu 100 Prozent, besonders in größeren Ländern. Um unmittelbare Ergebnisse deiner Handlungen, deiner Arbeit und deiner Bemühungen zu sehen, ist es viel effektiver. Die Wirksamkeit der Bemühungen ist viel höher, wenn sie regional konzentriert sind und nicht auf das nationale Regierungssystem. Es ist statistisch erwiesen, dass man deutlich schneller Resultate sieht. Und das ist sehr ermutigend und bringt die Leute dazu, sich mehr einzubringen.

Der Slogan eurer neuen EP scheint zu lauten: "You fucked with the wrong generation". Wir beide gehören zu den Millennials. Die meisten aktuellen Bewegungen wie Fridays for Future oder die Proteste gegen die NRA gehen aber von der sogenannten Generation Z aus. Welche Meinung hast du dazu?

[Breit grinsend] Ich liebe sie wirklich. Sie greifen viel auf, was bei uns irgendwie zu kurz gekommen ist. Sie greifen das auf und wenden es nicht nur auf ihre Ideologie an, sondern auch auf ihr Alltagsleben und ihre Erfahrungen. Ich mag es wirklich, die neue Generation zu beobachten. Ich hoffe, dass sie in ihrem Glauben daran, diese Änderungen erwirken zu können, jugendlich naiv bleiben.

Wenn ich Interviews mit dir sehe, bekomme ich den Eindruck, dass dir in deinen Bemühungen vor allem Identitätspolitik wichtig ist. Was müsste sich denn im Allgemeinen im kapitalistischen System ändern?

Das kapitalistische System befindet sich derzeit in einer sehr gefährlichen Position, weil die Menschen das Vertrauen fast aufgegeben haben. Der Kapitalismus ist auf den Konsumenten angewiesen. Menschen müssen Dinge kaufen und Handel treiben. Wir verwandeln den Kapitalismus in etwas so Abstraktes, dass die Menschen ihren Anteil daran nicht erkennen können. Deshalb sehen sie auch nicht die Macht, die sie hätten, wenn sie etwa das Geld zurückhalten würden. Erst Geld und Handel erlauben es dem Kapitalismus zu existieren.

In der modernen Welt oder zumindest in der modernen westlichen Welt, in der der Kapitalismus eine der wichtigsten Säulen des Erfolgs darstellt, ist die Verteilung von Einnahmen und Wohlstand völlig unausgeglichen. Der Kapitalismus belohnt Menschen dafür, egoistisch und gefühllos zu sein. Das wächst immer mehr an und wird irgendwann explodieren. Ich denke, diese Explosion wird dem, was wir sehen, sehr ähnlich sein. Es wird zivilen Ungehorsam geben, der zu Unruhen führt, die zu Aufständen führen, die wiederum zu völliger Zersetzung führen. Die Leute werden verstehen, dass es ein Nullsummenspiel ist. Wenn diese Milliardäre Milliardäre bleiben wollen, müssen sie verstehen, dass die Leute verärgert sind.

Ich denke, es ist schwierig, die Einstellung zu ändern, da viele arme Leute denken, dass sie es selbst zum Milliardär bringen, wenn sie nur hart genug arbeiten.

Das ist auch ein großes Problem. Es ist der Trugschluss des American Dream. Wir haben derzeit statistisch nachweisbare, schriftlich festgehaltene Richtlinien, die die Menschen davon abhalten, dies zu erreichen. Du kannst es nachlesen, du kannst es studieren. Führende politische Analysten können es dir bestätigen. Die Leute lügen dich an und sagen dir, dass du es weit bringen wirst, wenn du nur hart arbeitest. Sie machen das, weil sie deine Arbeitskraft benötigen. Sie sind darauf angewiesen, dass du glaubst, wie sie sein zu können, damit sie selbst an der Spitze bleiben können. Das müssen wir verstehen.

Erlebst du Widerstand von Trump-Anhängern wegen deines Engagements?

Ja, die ganze Zeit. [lacht] Aber ich habe auch einige wirklich sehr gute Gespräche mit Trump-Anhängern geführt. Einige Menschen vertrauen diesem Mann blind, weil er Persönlichkeitsmerkmale aufweist, die eigentlich ziemlich zerstörerisch sind. Sie wünschen sich, auch immer sagen zu können, was sie wollen. Dabei schauen die Anhänger Trumps nicht wirklich auf seine Politik und welche Auswirkungen sie auf sie hat, was ich verrückt finde. Ich hatte einige Gespräche mit Leuten, die buchstäblich nur die Tatsache mögen, dass er kein typischer Politiker ist.

In gewisser Weise finde ich das ziemlich interessant, weil es auf seine eigene Weise disruptiv ist. Es widerspricht Teilen des Systems, die errichtet wurden, um bestimmte Arten von Menschen als politische Vertreter abzuhalten. Ich kann das nachvollziehen. Manchmal führe ich Gespräche mit Menschen von der anderen politischen Seite und wir beginnen, uns gegenseitig zu verstehen. Dafür bin ich wirklich dankbar. Und manchmal wollen die Leute überhaupt nicht hören, was ich zu sagen habe. Sie halten mich dann fast schon für einen radikalen Terroristen, der die Idee zerstören will, die sie für Amerika halten.

"Ich glaubte nicht daran, dass mein Land einen Mann wählen würde, der sich als rassistisch, sexistisch, völlig patriarchalisch, frauen-, islam- und fremdenfeindlich herausgestellt hatte."

Ronald Reagan fragte die Wähler 1980: "Are you better off than you were four years ago?" ("Geht es Ihnen heute besser als vor vier Jahren?"). Wenn man von außen auf die USA blickt, scheinen nur sehr wenige Menschen von Trumps Präsidentschaft profitiert zu haben. Warum verteidigen ihn seine Anhänger so leidenschaftlich?

[lacht] Wir Amerikaner wurden in diese gefährlich nationalistische Arroganz hineingeboren. Uns wurde beigebracht, sie bis zum bitteren Ende aufrechtzuerhalten. Wer uns repräsentiert, den müssen wir unterstützen. Aber es ist interessant, dass du 'von außen' sagst, denn wenn du derzeit durch Amerika gehst, stellst du fest, dass es nicht Trump ist, der die meisten von uns in Amerika repräsentiert. Wenn du dir rein statistisch die Anzahl der Personen ansiehst, die danach befragt werden, wen sie als Vertreter bevorzugen, dann liegt er nicht in Führung. Ich habe viel Familie in Großbritannien und Neuseeland. Für mich ist es einfach faszinierend, mit ihnen darüber zu sprechen, wie es von außen aussieht. Als er gewählt wurde, sagte ich mir, dass ich Teil des Problems gewesen bin, weil ich nur mit Personen in meiner Echokammer gesprochen hatte, die an dasselbe glauben wie ich.

Um ehrlich zu sein, glaubte ich nicht daran, dass mein Land einen Mann wählen würde, der sich als rassistisch, sexistisch, völlig patriarchalisch, frauen-, islam- und fremdenfeindlich herausgestellt hatte. Ich habe es einfach nicht geglaubt, dass wir jemanden wählen, der buchstäblich zeigte, dass der die meisten Menschen angelogen hat, um sein Geld zu bekommen. Ich möchte ihn nicht als Gangster bezeichnen, weil Gangster kalkulierter vorgehen. Viele Menschen der Linken und der Mitte haben immer wieder gesagt, dass es nicht passieren werde. Deswegen glaube ich, dass wir nicht so aktiv waren, wie wir hätten sein müssen, um zu verhindern, dass er an die Macht kommt. Und hier sind wir nun. [lacht]

Kannst du Joe Biden vorbehaltlos unterstützen?

Nein, ich halte ihn überhaupt nicht für großartig. Um ehrlich zu sein, würde ich es bevorzugen, wenn Jill Biden, Joe Bidens Ehefrau, kandidieren würde. Ich verstehe aber, was jetzt in einem Zwei-Parteien-System passieren muss. Wenn wir Trump aus dem Amt entfernen, wird es bereits besser aussehen. Nicht zu wählen, ist zu diesem Zeitpunkt eine Stimme für Trump. Aber wenn es um Biden geht und all die Gesetze, die er geschrieben und unterstützt hat, dann gibt es eine Menge Reformen, die wir von diesem Mann sehen wollen. Dieser Mann muss eine Menge für Menschen tun, die aussehen wie ich! Und die schwarze Community vereint einen Großteil seines Stimmanteils auf sich. Ich weiß, dass ich gerade mit Deutschland spreche, aber ich muss einfach sagen, dass die schwarze Gemeinschaft verstehen muss, wie viel Macht wir besitzen, und wie wichtig wir für Amerika und den Rest der Welt sind. Afroamerikanische Kultur mag keine große Rolle in Deutschland spielen, aber an die Farbigen in Deutschland, die dies lesen, möchte ich sagen: Versteht eure Macht und euren Einfluss auf der ganzen Welt. Wir müssen verstehen, dass wir in einem Amerika unter Joe Biden und insbesondere einer halb indischen und halb jamaikanischen Vizepräsidentin mehr für uns verlangen müssen.

Ich versuche, nicht arrogant zu klingen, aber der Kampf für die Rechte der Schwarzen hat von den LGBTQ- bis zu den Frauenrechten so viele Türen geöffnet. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Aber nein, ich unterstütze Joe Biden nicht. Ich denke, dass er in vielerlei Hinsicht dumm ist. Er hat einige wilde Scheiße gesagt, für die er sich entschuldigen muss. Aber ich könnte nie für Trump stimmen.

In der Single "Supremacy" singst du: "When time turns into history/the story that we will tell will be/when we were marching for our lives/you stood on the other side". Handelt es sich dabei um eine Warnung an die 'andere Seite', dass die Geschichte sie nicht gut beurteilen wird?

Ja, ist es. [lacht] Irgendwann müssen sie ihre Einfühlungsvermögen erweitern und verstehen, dass bestimmte Entscheidungen, die sie jetzt oder in der Zukunft treffen, andere auf eine Weise negativ beeinflussen, die schädlich und unumkehrbar ist. Diese Leute müssen verstehen, dass sie in Betracht ziehen müssen, ihre persönlichen Interessen loszulassen, wenn sie andere damit negativ beeinflussen, damit wir als Gemeinschaft weiterkommen.

Wird die Geschichte deiner Band enden, wenn die Revolution erfolgreich stattgefunden haben wird?

Ja, das könnte sein. Aber andererseits habe ich das Gefühl, dass wir als Menschen dazu neigen, die Dinge zu versauen, weil wir gierig werden. Wenn die Revolution so stattfindet, wie wir es für richtig erachten, dann wird meine Band vielleicht weitermachen, um die Menschen an die Geschichte zu erinnern, damit wir diese Scheiße nicht nochmal machen. Vielleicht werden wir deshalb noch da sein.

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