3. September 2013

"Alle zeigten uns den Mittelfinger!"

Interview geführt von

2004 krempelte eine junge Band aus Glasgow die Rockszene um: Das selbstbetitelte Franz Ferdinand-Album wurde aus dem Stand zum Megaseller dies- und jenseits des Atlantiks. Nun erscheint das vierte Album "Right Thoughts, Right Words, Right Action".

Zwei Sommertage nahmen sich Franz Ferdinand in Berlin Zeit, um der deutschen Journaille Rede und Antwort zum neuen Album zu stehen. Vier Jahre nach ihrem letzten Werk "Tonight: Franz Ferdinand" lässt sich daran schon ablesen, dass das Interesse an den Innovatoren des Nullerjahre-Indierocks nach wie vor hoch ist.

Fangen wir mal vorne an: "Right Thoughts, Right Words, Right Action", wo kommt der Titel für euer viertes Album her?

Nick McCarthy: Der stammt vom ersten Song des Albums, der eigentlich ganz anders angefangen hat. Das war dann eine Reaktion auf den ersten Satz des Albums, der von einer Postkarte genommen ist, die Alex auf irgendeinem Markt gefunden hat. Da stand eine Adresszeile drauf und die Nachricht lautete: "Come home! Practically all is nearly forgiven", was auf deutsch heißt: "Komm nach Hause. Fast alles ist vergeben". Also im Endeffekt: Nichts ist vergeben, komm lieber nicht nach Hause! Wenn du nach Hause kommst, dann bekommst du eine gescheuert!

Der Chorus "Right Thoughts, Right Words, Right Action" meint, dass man klare Regeln braucht. So etwas kann man eigentlich immer anwenden im Leben, das ist schon fast buddhistisch. Ich will nicht sagen, dass das die Lösung ist: Wenn man diese drei Sachen bedenkt, dann würde immer alles passen. Deswegen haben wir auf dem Album drei Pfeile, die in eine Richtung gehen und mit Franz Ferdinand einen, der in die andere Richtung zeigt.

Also hat diese Phrase des Titels einen eher persönlich geprägten Hintergrund. Beim ersten Lesen hatte ich den Eindruck: Na gut, das könnte man auch politisch sehen.

Ja stimmt, es kann jeder sehen, wie er will. Es geht darum, wie man selber fühlt, wenn man das liest.

Wo du das Cover schon angesprochen hast: Ihr habt oft russische Avantgarde-Künstler zitiert. Wo kommt das jetzt her? Die Pfeile, die Typographie?

Die Schrift hat unser Drummer gemacht. Der hat die alle per Hand ausgeschnitten. Man sieht das auch daran, das alles so ein bisschen rough around the edges ist. Es passt auch zur Musik, dass nicht alles total poliert und synthetisisiert oder computerisiert ist. Sondern dass auch Handarbeit noch eine schöne Sache ist, aber trotzdem direkt. Und klar, diese Pfeile erinnern mich auch an alte politische Plakate und solche Dinge.

Gut, dann kommen wir doch zur Musik. Beim ersten Hören des Albums, gerade beim Song "Stand On The Horizon" ist mir das aufgefallen, klingt ihr ein wenig funky. Da sind String-Arrangements und so interessante Gitarrenpickings drin, dann wieder Synthie-Sounds, alles in einem Song. Wie habt ihr es geschafft, dennoch eine gewisse Leichtigkeit zu bewahren?

Ja, die Leichtigkeit war uns ganz wichtig. Dass es einladend ist, nicht ausladend. Das war viel Arbeit: Immer wieder etwas anzugehen, aber dann auch nicht zu lange dranzubleiben, da es sonst jede Spontaneität verliert. Wir haben viel vorbereitet, die eigentliche Ausführung ging aber immer ziemlich schnell. Und wenn es dann nicht geklappt hat, dann haben wir aufgehört, wieder vorbereitet, wieder ausprobiert, bis wir sagen konnten: Ja, jetzt haben wir's! Bei "Stand On The Horizon" hatten wir es sogar recht schnell. Wir haben ihn einmal ein bisschen verändert. Der hatte zunächst nur einen Akkord, jetzt hat er zwei. (lacht)

Aber ich finde, wir haben die zwei Akkorde clever eingesetzt. Wir haben es als akustisches Stück geschrieben und sie dann herumgeschoben: Den ersten Akkord als zweiten gespielt, den einen mal als Moll-, dann wieder als Dur-Akkord. Das als Band zu spielen hat extrem gut hingehauen. Dann haben wir den Hauptteil des Songs, es ist ja ein ziemlich langer Song, weiß gar nicht, wie lang er ist.

Viereinhalb Minuten ist er lang.

Ach, das geht ja noch.

Aber für eure Verhältnisse schon lang.

Ist länger für uns, ja. Aber für mich hat er auch zwei Teile: Drei Minuten lang ist es ein Gitarrensong, wobei ich übrigens meine, dass wir so am Besten spielen. Wir haben dann mit Todd Terje zusammengearbeitet, dem hat der Song auch gut gefallen. Er wollte eigentlich einen Remix davon machen, kam aber am Ende mit dieser Klavier-Idee. Darüber haben wir die Vocals gelegt und das wurde dann das Ende. Totaler Zufall. Ich hätte den Song auch so auf die Platte getan, aber ich finde das Ende jetzt wunderschön. Das ist, wie du gemeint hattest, richtig Disco. Wir lieben das. Da kann man sich richtig drin vergessen, die Hände schweben lassen und abtanzen.

Gibt es viele Sachen, die ihr am Ende nicht auf die Platte genommen habt?

Ja, da gabs einen, den wir die ganze Zeit mit uns herumgetragen aber einfach nicht hinbekommen haben. Wir haben ihn geschrieben und uns gedacht: Der ist super! Wahnsinn! Aber als Band haben wir ihn dreimal aufgenommen, immer wieder und dachten irgendwann: Jetzt haben wir's! Nach einer Woche haben wir ihn uns wieder angehört und dachten: Scheiße! Irgendwie ... Das hat nicht hingehauen. Der ist dann nicht auf dem Album gelandet.

Hat der einen Namen? Kommt der noch, als B-Seite zum Beispiel?

Ja, wir wollen ihn immer noch knacken. Es ist fast zu schade. Wir haben ihn geschrieben und sogar mal irgendwo live gespielt, da war er echt super. Und den haben wir jetzt im Kopf als Supersong. Solche Sachen passieren halt. Wir hatten am Anfang auch zwanzig Lieder, jetzt sind es zehn.

Der fünfte Song klingt sehr nach den Beatles. Beim ersten Hören habe ich gar nicht auf den Titel geachtet, aber dann heißt der auch noch "Fresh Strawberries". War das so ein Lied, wo ihr dachtet: Wir machen jetzt einfach mal einen Beatles-Song oder hat sich das so ergeben?

Es hat sich so ergeben. Meistens entwickeln Alex und ich irgendwelche Akkordfolgen und die Grundidee von einem Song auf der akustischen Gitarre. Dann spielen wir das als Band und es wird ganz anders. Bei dem haben wir auch probiert, es in mehreren Versionen zu spielen, sozusagen Franz-Ferdinand-mäßig (lacht). Aber wir haben schließlich alle gedacht: So können wir wirklich nicht mehr spielen, das langweilt.

Also haben wir es anders aufgenommen. Wir wollten jetzt nicht Sixties-Pastiche-Musik spielen oder kopieren, es kam einfach so. Wir mögen natürlich die Musik. Normalerweise hören wir uns ja etwas dunkler an, aber das ist schon fröhliche, sehr positive Musik. Dafür sind die Lyrics wieder über Tod und Verderben. (lacht)

"Bei Francois Mitterrands Beerdigung standen auch all seine Ex-Freundinnen am Grab"

Das letzte Lied auf der Platte "Lovers & Friends", eine Verabschiedung an ebendiese, hat aus meiner Sicht einen stark ironischen Unterton. Auf wen ist das gemünzt?

Alex hatte etwas über den Tod von Francois Mitterrand gelesen. Bei seiner Beerdigung kamen ja die ganzen Heads Of States und haben ihm die letzte Ehre erwiesen. Doch nicht nur seine Frau war da, sondern auch seine ganzen Ex-Freundinnen und Affären und alle haben ihm noch eine Blume ins Grab gelegt. Alex fand die Idee faszinierend, zu ihnen quasi aus der Sicht von Mitterrand noch etwas zu sagen.

Eine andere Sache war, dass er auf einer Beerdigung war, wo sie ganz schlimme Mainstream-Popmusik gespielt haben. Es waren eben die Lieblingslieder des Toten. Aber alle empfanden das als eine absolute Tortur und total unpassend. Er hat sich dann eben vorgestellt, wie das auf seiner eigenen Beerdigung wäre. Und die "Lovers & Friends"? Im Endeffekt lacht er eigentlich über die.

Jetzt haben wir über die Entstehung und die Geschichten hinter dem letzten und ersten Song der Platte geredet und du hast erzählt, dass da immer kleine persönliche Geschichten oder Erlebnisse den Anstoß für die Texte gegeben haben. Lief das bei den anderen auch so ab?

Klar, das Persönliche geht schon immer rein, aber es sind meistens Geschichten von Freunden, die wir gehört haben. Die Sache mit der Postkarte hat zum Beispiel ein ganz eigenes Leben entwickelt. Die Adresse und der Name darauf waren die des Regisseurs von "Saturday Night And Sunday Morning", ein klassischer Kitchen-Sink-Film, den Alex absolut geliebt hat und das ist dann auch in den Song eingeflossen.

Welche musikalischen Einflüsse habt ihr in den letzten Jahren aufgenommen und wie haben sie das neue Album beeinflusst?

Wir haben mit vielen Leuten gearbeitet und da waren auch viele dabei, die wir einfach gut fanden, Todd Terje zum Beispiel. Wie er geedited hat, also das Wichtigste aus den Songs rausgeschnitten und für sich verwendet hat, das war super. Der hat einen unglaublich guten Rhythmus. Mit Hot Chip haben wir zusammengearbeitet, die sind als Live-Band unglaublich. Das sind so clevere Leute und auch so fein irgendwie, sehr beliebt auch bei den Leuten.

Wir haben natürlich Glück, dass wir nach Südamerika fahren und dort dann Cumbia-Musik kennenlernen. Für "Brief Encounters" haben wir einen Cumbia-Rhythmus als Installation genommen. Bei "Lovers And Friends" haben wir uns von türkischem Funk inspirieren lassen. Bei jedem Song ist irgendetwas dabei, aber ganz spezifisch ist es nicht. Wir haben ja auch etwas von Beethoven geklaut. Also nicht direkt geklaut, aber analysiert und geschaut, wie es funktioniert. Das mache ich sowieso die ganze Zeit: Wenn mir irgendetwas gefällt, dann spiele ich es nach und schaue, was da eigentlich los ist.

Ich nenne es zwar klauen, aber man lernt eigentlich von denen und benutzt es in seiner eigenen Musik. Die Siebte Sinfonie, ich glaube zweiter Satz, das hört sich an wie Ennio Morricone. Und ich bin überzeugt, dass er auch von Beethoven gelernt hat. Das haben wir bei "Lovers & Friends" auch angewendet und in dem Song, der es jetzt nicht geschafft hat.

Ihr habt ja schon 2010 angekündigt, am neuen Album zu arbeiten und zwischendurch Kollaborationen mit anderen Leuten gemacht. Wie ist es denn, an den neuen Sachen zu arbeiten, während ihr gleichzeitig die alten Sachen spielt, die euch, wie du sagtest, inzwischen ein bisschen langweilen?

Wir haben im vergangenen Jahr auch die neuen Sachen gespielt, einfach weil wir sie geschrieben hatten. "Stand On The Horizon" haben wir gespielt, "Right Action" auch. Das war ganz gut, denn mit der letzten Platte waren wir zwei Jahre auf Tour und haben darauf ein Jahr lang nichts gemacht, oder besser gesagt: andere Sachen.

Danach haben wir wieder angefangen als Band, waren aber etwas aus der Übung. Es ging einfach viel langsamer. Mir kam es vor, als würden wir die ganzen Songs wie The Band spielen. War aber auch geil, viel langsamer, amerikanischer. Wir haben ein paar Konzerte gespielt und gemerkt, dass wir einfach wieder aufwachen müssen. Und ich find das ganz wichtig: Wir sind einfach eine Live-Band. Wir sind am live am Besten. So haben wir es auch aufgenommen: Das ganze Album kommt mir schnell vor. Nicht zu schnell, aber da ist sehr viel Action drin.

"Wenn der Erfolg ausbleibt ist es auch egal"

Ihr hattet im Vorfeld der neuen Platte angekündigt, über den Fortschritt in der Produktion des Albums nicht dauernd reden zu wollen, weil ihr das bei der letzten gemacht und ein bisschen bereut hättet. Was war denn damals das Problem für euch?

Wenn man über Songs spricht, die noch nicht fertig sind, stellt man sich selber mehr darunter vor. Dann meint man: Ja, das ist jetzt die neue Single oder sowas. Es läuft für uns aber am Besten, wenn wir einfach Spaß haben an der Musik, wenn wir lachen und unser Bestes geben. Wenn man die ganze Zeit darüber nachdenkt, was der jetzt wieder geschrieben hat über die Zukunft von Franz Ferdinand oder irgendwas, ist das nicht so schön.

Also habt ihr selbst quasi unnötigen Druck aufgebaut.

Ja, Ängste oder Druck. Und über unfertiges Zeug zu reden ist immer schwierig, weil man ja eigentlich nix zu sagen hat.

Welche Erwartungshaltung hinsichtlich Erfolg habt ihr mit diesem Album?

Wir haben das intern schon besprochen, weil klar war, dazu muss man halt was sagen. Alex meinte dann: Eigentlich isses wurscht! Wir fühlen uns so gut mit dem Album, wir haben das hingelegt und ich bin jetzt einfach glücklich im Kopf. Ich weiß, dass es gut ist. Ich muss gerade an ein Konzert zurück denken, dass wir in New York gespielt haben. Wir wurden zu so einem Radio-Ding eingeladen und die haben gemeint, wir wären eine Rock-Band, weswegen wir dann zwischen Velvet Revolver und Papa Roach gespielt haben und alle haben uns den Mittelfinger gezeigt.

Aber es war eines der besten Konzerte, die wir je gespielt haben, weil wir wussten, wir sind gut und die können uns alle mal am Arsch lecken. Wenn der Erfolg kommt, ist es super, aber wenn er ausbleibt, ist es auch egal. Und was ganz wichtig ist: Wir sind ja keine Promis. Wir sind Musiker und wir wollen nicht über irgendeinen Scheißdreck labern, sondern über unsere Musik.

Zu Beginn eurer Karriere gab es ja einen extrem starken Hype: Ihr habt da etwas angestoßen und wart im Mittelpunkt einer Bewegung, die ja nun vorbei ist. Wie geht ihr als Band mit dieser Entwicklung um?

Dass es vorbei ist? Klar, da reden wir drüber, aber es macht für uns keinen wirklichen Unterschied. Es war eine extreme Zeit, weil wir zunächst nicht und plötzlich sehr bekannt waren. Aber jetzt sind wir ja trotzdem noch bekannt und auf den Konzerten macht es keinen Unterschied: Leute mögen uns auf der ganzen Welt, wir können herumreisen und ich bin immer wieder überrascht, wie bekannt wir überhaupt noch sind.

Ich denke manchmal auch, dass wir überhaupt keinen Status mehr haben – was auch okay wäre, dann fangen wir halt wieder von vorne an – aber gerade waren wir in Südamerika und haben vor 50.000 Leuten gespielt. Aber ich spiele genauso gerne vor hundert Leuten.

War das für euch als Band auch ein Prozess? Man ist ja nicht gleich so locker, sondern hat Angst vor solchen Prozessen, vor Relevanzgewinn und Verlust. Gab es da einen Punkt, an dem die Erkenntnis kam, dass es eigentlich wurscht ist, wie du sagtest?

Angst hatten wir nicht, es war einfach extrem aufregend. Davon hatten wir alle immer geträumt: Dass man in einer Band spielt und davon leben kann. Ja und dann ging es auch voll ab und wir konnten um die Welt reisen. Klar, dann ging es auch wieder abwärts ... Aber es war auch logisch, denn wo kann man noch hin nach solch einem Erfolg wie dem des ersten Albums? Viel mehr geht ja nicht. Ab dem dritten Album hat der NME uns dann runtergeschrieben. Der fand das überhaupt nicht toll. Aber ein Jahr später haben sie dann geschrieben, sie finden es jetzt doch super.

Ein bisschen spät, oder?

Ja, aber damals haben wir auch schon gesagt: Lasst uns damit in Ruhe.

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