laut.de-Kritik

Wie ein Virus, der dich langsam befällt.

Review von

Kennt ihr das, wenn ihr das Hören einer Platte konsequent vor euch her schiebt? Nicht weil ihr keinen Bock auf die Musik habt, im Gegenteil, ihr habt oft lange auf sie gewartet. Aber ihr wisst eben auch genau, dass die folgende Stunde, die ihr mit der Platte verbringen werdet, auch eine Qual sein wird. Weil die Musik so verstellt und verschroben, so gewaltig und gewalttätig ist, dass es unmöglich ist, sie wirklich zu genießen. Das intermediale Anschauungsbeispiel wären die Filme des österreichischen Filmemachers Michael Haneke, der Gewalt immer so schonungslos und real inszeniert, dass sie – obwohl wir im Kino an allen Formen und Farben der Gewalt gewohnt sind – absolut keinen Spaß macht. Trotzdem sind Hanekes Filme eine besondere, eine fast reinigende Erfahrung.

Und weil ihr die Überschrift und das Thema dieses Artikels bereits kennt, wisst ihr auch, dass ich dieses Bild jetzt auch auf Future Of The Left anwenden werde. Denn mit den Mclusky-Nachfolgern verhält es sich ähnlich: Ihre Platten sind radikal. Hart. Real. Sie schmerzen und schmettern. Ohne Rücksicht auf Verluste. So auch das neueste Machwerk ”The Peace and Truce Of Future Of The Left”.

Das Album beginnt mit einem sägenden Soundriff, das den Weg in das markante Eröffnungsstück "If AT&T Drank Tea What Would BP Do" weist, das dann sogleich um sich beißt wie ein tollwütiger, aber angeleinter Hund. Der Song mit dem irritierenden Namen reißt an den Ketten und schnappt stetig zu. Irgendwie hypnotisch und wild, irgendwie anders und gefährlich. Und doch erkennt man abseits der schieren Aggressivität doch wohlbekannte Strukturen und Harmonien, die unter den grellen Tönen noch dezent durchscheinen. So entsteht ein Sound, der an die frühen Nirvana-Demos erinnert, als die noch mehr Punk als Grunge waren. Besonders markant rutscht hier Andrew Falkous Stimme in den Vordergrund, der sich endgültig von klassischen Gesangspuren löst und sich auf dem nachfolgenden "In A Former Life" wie ein Spoken-Word-Artist oder wahnwitziger Bandpriester inszeniert. Falkous bellt sich durch undurchsichtige, vertrackte Textfragmente und schreit sie uns, dem staunenden Publikum, entgegen. "In a former life, everyone was a performer!" Ab diesem Moment hat mich das Album in seinen nikotingelben Griffeln.

Falkous ist Performer und Showman. Er gibt sich als die überzeichnete Comicversion eines Entertainers (ich verweise auf den Joker oder den Comedian), der dir das Lachen auch immer wieder im Halse ersticken lässt. Der Waliser ist ein fantastischer, ein ambivalenter Songschreiber, dessen strange Texte zunächst hinter der Performance verschwinden und erst bei genauerem Hinhören ihre wahre, aber auch irrsinnige Kraft entfalten. Der Frontmann entwirft Narrative, die kaum noch zu entziffern sind, springt in verschiedene Rollen, nutzt deren Slang und wirft ihn alsbald wieder über Board. Da kommt man sich beinahe vor wie in einem Thomas Pynchon-Roman, der sich der Leserschaft zunehmend entzieht, aber doch so dicht daher kommt, dass man jedes Wort zweimal umdrehen möchte, weil man auf keinen Fall Gefahr laufen will, einen entscheidenden Wink oder zumindest Witz zu verpassen. Auch "The Peace And Truce Of Story Of The Left" ist kompakt und lückenlos, aber eben auch anstrengend und überladen. Oberflächlichen Spaß werdet ihr hier nicht finden, das ist garantiert. Aber vielleicht mehr.

Dabei arbeitet die Band traditionell in Höchstgeschwindkeit. Die zwölf Songs der neuen Scheibe wurden in wenigen Wochen runtergerotzt. Für lange experimentelle Findungsprozesse hat vor allem Falkous nur wenig übrig. Die Lyrics schreibt der Frontmann nach Fertigstellung der Songs in weniger als einer halben Stunde. Dieser Umstand erklärt die Rohheit und magnetische Unausgegorenheit, die Future Of The Left stetig ausstrahlen. Vor allem ist es aber spannend, dass das musikalische Grundgerüst zuerst da ist, ehe sich die Textfetzen darüber stülpen und den Strukturen eine vermeintliche Bedeutung geben. Dabei müsste es doch eigentlich anders sein. Oder?

"Back When I Was Brilliant" tönt hymnischer als die anderen Stücke der Scheibe, Vergleiche mit Queens Of The Stone Age drängen sich förmlich auf. Auch wenn das Szenario, das hier entworfen wird, weniger an die glühende Hitze der kalifornischen Wüste erinnert, als viel eher an einen aus dem Ruder gelaufenen Abend in einem abgeranzten britischen Pub. "Proper Music" dreht sich zunächst im Kreis, entwickelt dann eine fast schizophrene Kraft, die dich als Hörer irgendwie mit in den aufgezeigten Abgrund reißt, wieder ausspuckt und nach nicht einmal zwei Minuten Musik sprachlos zurücklässt. "No Son Will Ease Their Solitude" ist das abschließende Highlight der Platte. Der Song reißt das Ruder noch einmal rum und spritzt in die mittlerweile akzeptierten Strukturen aus Wahnsinn, Irrsinn und Power einen Schuss Zerbrechlichkeit, der das Gesamtgebilde am Ende in einem anderen Licht erscheinen lässt.

"The Peace And Truce Of Future Of The Left" ist ein unberechenbares Stück Musik. Es ist wie ein Virus, der dich langsam befällt, der dir den Rücken hinauf schleicht und – wenn du es zulässt – sich zunächst sanft und später gewaltsam in deinem Kopf einnistet. Future Of The Left fordern zu einem wilden Tanz mit dem Teufel, der gleichermaßen kosmisch und kleinteilig, ausgereift und unfertig daher kommt. Ich kann euch nur empfehlen euch auf dieses Album einzulassen, auch wenn ihr die Stoptaste nie aus den Augen lassen solltet.

Trackliste

  1. 1. If AT&T Drank Tea What Would BP Do
  2. 2. In A Former Life
  3. 3. Running all over the Wicket
  4. 4. Miner´s Gruel
  5. 5. Grass Parade
  6. 6. The Limits of Battleships
  7. 7. Back When I Was Brilliant
  8. 8. Eating For None
  9. 9. White Privilege Blues
  10. 10. Reference Point Zero
  11. 11. 50 Days Before the Hun
  12. 12. Proper Music
  13. 13. No Son Will Ease their Solitude

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