laut.de-Kritik

Gelungene Mischung aus Neugierde und Nostalgie.

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Tears For Fears gelang in den 1980ern die nahezu perfekte Trilogie. "The Hurting", "Songs From The Big Chair" und "The Seeds Of Love" stehen als Meilensteine der Pop-Musik in Leuchtbuchstaben über dem Jahrzehnt. Schaut man einen Hauch über die Dekade und die Musik hinaus, kann man sie in ihrer Perfektion mit den "Star Wars"-Episoden IV bis VI vergleichen. Wobei die Beatles auf "The Seeds Of Love" als ihre Ewoks dienen.

Der zunehmend von Orzabals Perfektionismus angetriebene Größenwahn führte letztendlich jedoch zum Streit, und so gingen Smith und er ab Beginn der 1990er vorerst getrennte Wege. Zwei gute Alben lang hielt Orzabal die Band alleine am Leben. An die Glanzzeiten reichte er mit ihnen jedoch nicht heran. Zu sehr leben Tears For Fears auch von den beiden so unterschiedlichen und sich doch so gut ergänzenden Stimmen und Charakteren.

Erst 2004 kam es auf "Everybody Loves A Happy Ending" zur Wiedervereinigung der einstigen Streithähne. Der Sound schloss an "The Seeds Of Love" an, der Erfolg nicht. Auf dieses Lebenszeichen folgte: Nichts. Mit ganzen achtzehn Jahren verging mehr Zeit als während der Trennung, bis 2022 "The Tipping Point" erschien. Eine gelungene ruhigere Neuinterpretation der Band, auf der Orzabal den Tod seiner Frau verarbeitete.

Man könnte nun ein weiteres Best-of veröffentlichen, aber 2024 planen die Briten etwas ganz Verrücktes. Etwas, das es in den 43 Jahren ihres Bestehens noch nicht gab. Ihr erstes offizielles Live-Album. Dabei sorgte das mit AI erstellte Cover, das mit seinen Sonnenblumen zeitgleich in die "The Seeds Of Love"-Phase zurück führt, für eifrige bis eitrige Diskussionen.

Dinge, die man auf einem solchen Live-Release erwartet: Eine Art Greatest-Hits mit schlechterem Sound und ekstatisch jubelnden Massen. Vielleicht schmuggelt sich gar der ein oder andere Verspieler ein und lässt den Act menschlich wirken. Wenn es ganz famos läuft, kitzeln die Künstler neue Facetten aus ihren alten Kamellen, anstatt sie nur möglichst nah an der Studio-Version runter zu nudeln. Was man nicht erwartet: Zuerst von vier neuen Studio-Aufnahmen begrüßt zu werden. "Songs For A Nervous Planet" geht aber genau diesen Weg.

Das wirkt ein wenig, als würden Tears For Fears dem Konzept des Live-Albums nicht ganz trauen, weswegen sie als weiteren Kaufanreiz noch eine EP oben drauf setzen. Zusammen finden diese beiden Bestandteile aber nicht, bleiben sich fremd. Nachdem der Longplayer mit dem schauderhaften "Say Goodbye To Mum And Dad" beginnt, hat man aber wenigstens das Schlimmste sofort hinter sich: Einen süßklebrigen Schlager voll euphorischem Pfeifen, der wohl zu dem Schlechtesten gehört, was Orzobal und Smith bisher veröffentlichten.

Mit "The Girl That I Call Home" gelingt jedoch eine schnelle Wiedergutmachung. Kein weltbewegender Track, aber eine Umarmung zur richtigen Zeit. "Emily Said" und das Highlight "Astronaut" fallen dagegen psychedelischer aus. Die optimistischere Produktion scheint als Gegenpol zu "The Tipping Point" zu dienen, fällt aber zeitgleich auch zu pompös aus. Insgesamt dürfte den vier Songs aber ein ähnliches Schicksal bevor stehen wie all den anderen Stücken da draußen, die als Best-of-Extra das Licht der Welt erblickten.

Hinter den vier Liedern versteckt sich letztlich der Grund, für den wir uns heute hier versammelt haben: Die Live-Aufnahmen. Diese entstanden allesamt am 11. Juli 2023 im FirstBank Amphitheater Franklin.

Bereits bei den ersten beiden Stücken "No Small Thing" und "The Tipping Point" fällt ein eher ungewöhnlicher Umstand auf. Während andere so lang bestehende Acts ihre Shows schnell zu einem Potpourri ihrer größten Gassenhauer verkommen lassen und neue Longplayer eher am Rand Erwähnung finden, setzten Tears For Fears voll auf ihren neusten Release. Ganze sechs Songs von "The Tipping Point" schaffen es auf "Songs For A Nervous Planet". Von "The Hurting" gelangen immerhin noch vier Stücke in die Auswahl, während sich Fans von "Songs From The Big Chair" und "The Seeds Of Love" mit dreien begnügen müssen. Jedoch findet selbst die Smith-Freie Zeit mit "Break It Down Again" von "Elemental" Erwähnung. Nur "Raoul And The Kings Of Spain" bleibt außen vor. Am Ende steht eine eine gute, ausgeglichene Playlist.

Zeigt sich Orzabal nach wie vor gut bei Stimme, wird es bei Smith oft eng. In der ersten Hälfte halten sie sich noch weitestgehend an den Studio-Vorlagen fest. Mit dem auf den Kopf gestellten "Suffer The Children" ändert sich dies jedoch abrupt. Von dem Synth-Pop-Stück bleibt bis auf die Melodie nur wenig. Stattdessen entwickelt sich daraus eine Klavierballade, die die Vorlage deutlich überragt. Anstelle von Orzabal übernimmt die Sängerin Lauren Evens die Vocals. Auch in den folgenden "Woman In Chains" und "Badman's Song" übernimmt sie die Gesangsrolle, die einst Oleta Adams inne hatte.

"Badman's Song" breitet sich über zehn Minuten aus und stellt im Jazz-Rock-Mittelteil die Klasse der Konzertband beeindruckend unter Beweis. Eher in die Hose geht dagegen das neue "Change"-Arrangement, das krampfhaft den Anschluss an aktuelle Elektro-Produktionen sucht. Am Ende grölen wir dann alle noch einmal "Shout" mit und gehen dann von einer Nostalgie-Glückswolke umgeben nach Hause.

Trotz manch seltsamer Entscheidung liefern Tears For Fears mit "Songs For A Nervous Planet" auf hohem Niveau ab. Ihnen gelingt das Kunststück, zeitgleich Vergangenheit und Gegenwart zu bedienen und bereits einen Blick in die Zukunft zu wagen. Eine gelungene Mischung aus Neugierde und Nostalgie.

Trackliste

  1. 1. Say Goodbye To Mum And Dad
  2. 2. The Girl That I Call Home
  3. 3. Emily Said
  4. 4. Astronaut
  5. 5. No Small Thing
  6. 6. The Tipping Point
  7. 7. Everybody Wants To Rule The World
  8. 8. Secret World
  9. 9. Sowing The Seeds Of Love
  10. 10. Long, Long, Long Time
  11. 11. Break The Man
  12. 12. My Demons
  13. 13. Rivers Of Mercy
  14. 14. Mad World
  15. 15. Suffer The Children
  16. 16. Woman In Chains
  17. 17. Badman's Song
  18. 18. Pale Shelter
  19. 19. Break It Down Again
  20. 20. Head Over Heels
  21. 21. Change
  22. 22. Shout

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