laut.de-Kritik

Über nukleare Bedrohung und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

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Die kasachisch-britische Geigerin und Komponistin Galya Bisengalieva thematisierte vor drei Jahren auf ihrem Debüt "Aralkum" eine der schlimmsten Naturkatastrophen des Planeten, nämlich die Austrocknung des Aralsees. Nun widmet sie sich auf dem Nachfolger "Polygon" einem weiteren schwierigen Thema ihres Heimatlandes: Dem Atomtestgelände Semipalatinsk in der Steppe im Nordosten Kasachstans, auf dem die damalige Sowjetunion zwischen 1949 und 1989 456 Atombombentests durchführte. Die Tests haben immer noch Auswirkungen auf die anliegende Bevölkerung und das Ökosystem.

Semipalatinsk war in den 1910er- und 20er-Jahren das Zentrum für Wissenschaft und Kultur in Kasachstan und hieß damals Alash-Kala. "Alash-Kala" lautet auch der Name des Openers, in dem sowohl akustische als auch manipulierende Geigenklänge das Herzstück bilden, die mit dunklen Drones verschmelzen und sich immer wieder sakral in die Höhe schrauben.

"Saryzhal", das nach einem Dorf im Osten Kasachstans benannt ist, welches immer noch mit den Auswirkungen der Tests zu kämpfen hat, stellt ein elektroakustisches Stück dar, das von einem pulsierenden Rhythmus, tiefen Bass- und gezupften Streichertönen sowie einer sphärischen Melodie lebt. Philip Hatcher-Moore hat das Dorf besucht und die blauen, melancholischen Farben des Himmels eingefangen, als die Sonne unterging. Das Foto bildet auch ein Teil des Artworks des Albums. Genau die Stimmung dieses Bildes fängt der Track wunderbar ein.

Im Titelstück schleicht sich immer wieder die Ahnung einer nahenden Katastrophe ein, wenn die verzerrte Elektronik wie das nervöse Schlagen eines Herzens klingt und dramatische Streicher bedrohlich anschwellen. Hier entwickelt die Platte einen geradezu cineastischen Ton. Etwas Bedrohliches schwingt auch in den folgenden Tracks mit. "Sary-Uzen" lässt mit hohen, sphärischen Geigenklängen und sich verdichtender Elektronik an Komponisten wie György Ligeti denken. In "Chagan" kommt mit repetitiven Rhythmen und Schlägen sowie dissonanten Streichern eine geradezu horrorartige Stimmung auf.

Für etwas Auflockerung sorgt danach "Balapan", das mit hüpfenden Beats, verspielten Rhythmen und sakralen Einschüben auf den ersten Blick ausgelassen erscheint, jedoch eine Prise Sarkasmus zum Ausdruck bringt. Es geht darum, dass Menschen in einer sich wiederholenden, zyklischen Bewegung damit beschäftigt waren, etwas zu bauen oder zu erschaffen, ohne zu wissen, wozu es diente oder welche Auswirkungen es haben könnte. Zum Schluss schimmert in "Degelen", benannt nach dem gleichnamigen Bergmassiv, mit verfremdeten Geigentönen zu Beginn doch noch etwas Zuversicht mit. Danach sorgen die Streicher in Zusammenspiel mit atmosphärischen Ambient-Klängen für einen ruhigen Abschluss, der zum Nachdenken anregt.

Galya Bisengalieva, die bereits mit Sigur Ros und Frank Ocean kooperierte, erinnert uns mit ihren eindringlichen Sounds daran, dass die nukleare Bedrohung alles andere als der Vergangenheit angehört. Vielmehr ist sie immer noch so allgegenwärtig wie früher. Dennoch weckt ihre Musik die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Trackliste

  1. 1. Alash-Kala
  2. 2. Saryzhal
  3. 3. Polygon
  4. 4. Sary-Uzen
  5. 5. Chagan
  6. 6. Balapan
  7. 7. Degelen

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