laut.de-Kritik

Dis is a positive movement. Juhu!

Review von

Ach, Herrje. Gentleman, der gefühlt seit mindestens zehn Jahren immer wieder das gleiche Album aufnimmt, spielt jetzt auch eine MTV-Unplugged-Show. Da weiß man doch genau, was man kriegt. Zur Genüge bekannte Songs, zu sachten Akustik-Versionen umarrangiert und im Kreise höflicher Gäste einem handverlesenen, wohlgesonnenen Publikum dargeboten: Das kann ja nur strunzlangweilig werden. Zum Glück hat uns das Label nicht mit der Doppel-CD-Version bemustert.

Manchmal sollte man seine gesammelten Vorurteile nehmen, ordentlich bündeln, eine hübsche Schleife rundherum binden und das ganze Paket tief in der Mülltonne versenken. Zusammen mit seinen Musikern und den geladenen Gaststars legt Tilmann Otto für "MTV Unplugged" nämlich eine durch und durch gelungene Vorstellung hin. So viel Spaß hatte ich mit einer Gentleman-Platte seit "Journey To Jah" nicht mehr, und die hat immerhin bereits satte zwölf Jahre auf dem Buckel.

Von den ersten bedeutungsschwangeren Klavier- und Streicherklängen im "Intro" an stimmt einfach alles: Innerhalb einer knappen Minute errichten die Herrschaften an den Instrumenten einen Spannungsbogen, der gekonnt die Brücke vom klassischen Kammerkonzert-Gefühl hin zu den voluminösen Trommeln, den quakenden Bläsern und dem Backgroundgesang von "Superior" schlägt: schlicht wundervoll.

In diesem edlen Ambiente operiert der Gastgeber so natürlich und ungezwungen, dass man meint, er bewege sich in seinem eigenen Wohnzimmer und begrüße dort Familie und alte Freunde. Beinahe so verhält es sich ja auch tatsächlich: Die Frau Mama sitzt im Publikum. Ihr widmet Gentleman "Send A Prayer" und wendet sich mit dem nächste Tune, "Intoxication", an seine Frau Tamika. "Music is life", der intime Konzertrahmen unterstreicht noch, wie eng beides miteinander verwoben sein kann.

Gästeparaden bei derartigen Unplugged-Sessions erwecken oft den Eindruck, das Label habe des Namedroppings wegen jeden herbei zitiert, der gerade keine gute Ausrede parat hatte. Aus Gentlemans ungekünstelten Anmoderationen klingt dagegen ehrliche Freude, etwa wenn er einen Kollabo-Partner mit den Worten empfängt: "It's the great Shaggy ina da place!" Der wiederum betritt die Bühne mit einem flotten "Salute, salute!" auf den Lippen und legt gleich voll los. Spielfreude, Spaß und vor allem Energie springen aus jeder Note.

Die Setlist setzt auf Abwechslung, vermeidet aber allzu harsche Brüche in der Stimmung. Dynamischere Nummern wie "To The Top" und "Warn Dem" folgen unmittelbar aufeinander, ehe "Tranquility" und "It No Pretty" wieder leisere, nachdenklichere Töne anschlagen. Für "No Solidarity" gesellt sich Marley-Spross Ky-Mani in die Runde: Auch hier stimmt die Chemie, beider Gesang harmoniert prächtig.

Mit der Mattafix-Nummer "Big City Lights" und Marlon Roudette kommt eine Prise Pop ins Spiel, allerdings nicht genug, um die Reggae-Suppe zu verwässern. Band und Orchester vollziehen unterdessen eine virtuose Gratwanderung, spielen opulent auf, ohne dabei die filigranen, zarten, zerbrechlichen Momente über den Haufen zu geigen. Gentleman lässt den Blick im balladesken "You Remember" noch einmal rückwärts schweifen, ehe er mit Tanya Stephens die nächste jamaikanische Größe willkommen heißt.

"Dem Gone" oder "Leave Us Alone", beides im Original durchaus Dancehall-taugliche Nummern, funktionieren in den neuen Versionen mit Streichern, Bass und Percussion und (im ersten Fall) mit einem Saxofon-Solo, das zur Abwechslung einmal nicht klingt, als sei es aus den 80ern übrig geblieben, problemlos und entfalten sogar einen ganz neuen, massiven, dunklen Vibe. "Memories" greift noch einmal tief ins Balladen-Fach.

Zum fulminanten Finale treten erneut Ky-Mani Marley und außerdem Campino an, um Gentleman dabei zu helfen, "these songs of freedom" anzustimmen. Für den Tote Hosen-Frontmann ringt sich der Kölner, dem das Patois inzwischen in Fleisch, Blut und Knochenmark gesickert sein muss, am Ende sogar noch eine deutschsprachige Verabschiedung ab.

Das kleine "Juhu!", das Gentleman ganz zum Schluss noch entschlüpft, möchte ich doppelt und dreifach unterschreiben. So freundlich von Musik und guten Vibes habe ich mich schon lange nicht mehr umarmt gefühlt. Hätte er diesmal auch (wie vor sehr, sehr vielen Jahren bei einem Auftritt in Ravensburg, damals allerdings mit auf Kniehöhe herabgezogenen Mundwinkeln) in die Runde behauptet: "Dis is a positive movement!", er hätte hier unter Garantie kein harsches "Ja, so schaust du aus!" aus dem Auditorium zurück gerotzt bekommen. Wieso hat uns das Label eigentlich nicht mit der Doppel-CD-Version bemustert?

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Superior
  3. 3. Send A Prayer
  4. 4. Intoxication
  5. 5. Walk Away
  6. 6. To The Top feat. Christopher Martin
  7. 7. Warn Dem feat. Shaggy
  8. 8. Tranquility
  9. 9. It No Pretty
  10. 10. To The Top feat. Ky-Mani Marley
  11. 11. Big City Life feat. Marlon Roudette
  12. 12. You Remember
  13. 13. Another Melody feat. Tanya Stephens
  14. 14. Dem Gone
  15. 15. Leave Us Alone
  16. 16. Memories
  17. 17. Redemption Song feat. Ky-Mani Marley & Campino

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