laut.de-Kritik

Mitreißendes Material, aber auch der eine oder andere Füller.

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Dem ein oder anderen wird der Albumtitel vielleicht falsche Hoffnungen machen, denn ein musikalischer Neubeginn klingt wahrlich anders. Für Tilmann Otto persönlich stellt diese sechste Platte aber durchaus einen kleinen Meilenstein in seiner mustergültigen Karriere dar. Nie zuvor kam er komplett ohne Featuregäste aus. Und, noch wesentlicher: Erstmals fungierte er selbst als Produzent und Komponist.

Gentleman vereint auf "New Day Dawn" ganz unauffällig zwei Welten - indem er sein aufgenommenes Material zwei grundverschiedenen Mixern anvertraute: Für die Roots-Tracks zeichnet mit Errol Brown ein jamaikanisches Urgestein verantwortlich, das unter anderem für Bob Marley & The Wailers die Regler bediente. Die Dancehall-Tracks mischte hingegen Moritz Enders (Thees Uhlmann, Bakkushan, Bosse), ein vergleichsweise junges Gesicht aus Köln.

"Das war auch ein bisschen meine Sorge: Hoffentlich klingt es nicht zu unterschiedlich", erklärte Gentleman im laut.de-Interview, zeigte sich mit dem Resultat aber sehr zufrieden. Zurecht, denn "New Day Dawn" klingt in der Tat überraschend homogen. Die moderne und die traditionelle Hälfte, in die der Rheinländer sein Schaffen seit Jahren bewusst aufteilt, fügen sich auch diesmal problemlos zusammen.

Eher zur neumodischen Partition zählt fraglos die bestechende, von theatralischem Streicher-"Interlude" angebahnte Vorabsingle "You Remember", die im eingängigen Refrain immer wieder mit dezenten "Fields Of Gold"-Zitaten spielt. "You Remember / when we used to write letters / and we never used to send text messages? (...) when there was no Facebook, no YouTube / never invade the colleges?"

Auch wenn Gentleman betont, er sei froh, im Jahr 2013 zu leben, klingt hier doch eine gewisse Nostalgie an. "Technology's a good thing / but many misuse it and cause pier damages", mahnt Deutschlands Reggae-Export Nr. 1. "The future is so great, but we can't forget the past."

Ähnlich Dancehall-lastig kommt mit "In My Arms" die obligatorische, diesmal aber leider missglückte Hommage an seine Frau Tamika daher. Nichts gegen Liebeslieder - in der Abteilung herrscht bei Gentleman wie auch im gesamten Reggae-Genre bekanntlich eine überdurchschnittliche Treffsicherheit. Der Refrain katapultiert die potenzielle Single aber leider in die Kategorie 'ungenießbar weil überzuckert': "Jah Jah will take us to the stars / and even when it's cold outside, I'll be there to keep you warm."

Zur ausnahmslos gelungenen Roots-Abteilung hingegen erübrigt sich mal wieder jeglicher Kommentar. Das "Superior"-ähnliche "Road Of Life", das hymnische "Heart Of A Rub-A-Dub und insbesondere der euphorische Opener "The Journey": Mitreißendes Material für die anstehende Headliner-Show bei Europas gigantischstem Reggae-Festival, dem Summerjam in Köln.

"New Day Dawn" reiht sich daher erwartungsgemäß problemlos in Gentlemans durchweg solide Diskographie ein. Den ganz großen Wurf, auch das keine große Überraschung, verhindern aber mal wieder der ein oder andere Füller ("Push Comes To Shove") sowie gelegentliche Ausflüge aufs Kitsch-Glatteis.

Trackliste

  1. 1. The Journey
  2. 2. In My Arms
  3. 3. Interlude
  4. 4. You Remember
  5. 5. Walk Away
  6. 6. New Day Dawn
  7. 7. Memories
  8. 8. Wings To Fly
  9. 9. Road Of Life
  10. 10. Where Is The Love
  11. 11. Another Drama
  12. 12. Humanity's Glory
  13. 13. Push Comes To Shove
  14. 14. Heart Of A Rub-A-Dub
  15. 15. Homesick

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