laut.de-Kritik
Große Hand, kleiner Tellerrand.
Review von Sebastian BerlichInternationaler Titel, Produktion in Spanien und Zeilen wie "Alles ist so neu / Die Welt liegt vor ihr": Keine Frage, Georg auf Lieder möchte mit seinem zweiten Album runter vom piefigen "Alexanderplatz", weg vom Image des Straßenmusikers, raus in die weite Welt. Geschichten erzählen, die Gitarre auch mal elektrisch verstärken, zurück zu den vorab proklamierten Punk-Wurzeln. Schon mit dem Opener "Sie" stößt er dieses Tor energisch auf – und direkt an seine Grenzen.
Ähnlich eindimensional wie der Titel geraten nämlich Musik und Text. Zu Pop-Punk-Riffs und mit angerauter Stimme berichtet der Sänger von der Fangirl-Erfahrung einer jungen Frau, deren abendlicher Aufbruch bereits am nächsten Morgen im Tourbus ihrer Lieblingsband endet. Keine Pointe, keine Bewertung, kein doppelter Boden, stattdessen die Reduzierung der Protagonistin auf ein abgeschmacktes Rockstarklischee.
Anscheinend gehen derlei sexistische Anflüge mit der Nutzung verzerrter Gitarren einher, jedenfalls trumpft auch der Westentaschen-Stoner-Rock-Song "Frau Müller" mit einem solchen auf. Zeilen wie "Ich frag sie nach einem Tanz / Sie schaut nur auf meinen Mund" krönen die pubertäre Masturbationsphantasie. Glückwunsch, das ist Humor auf "Polonäse Blankenese"-Niveau, 35 Jahre nach Gottlieb Wendehals.
"Mano Grande" möchte nach dem Debüt ein ambivalenteres Bild des Künstlers zeichnen, nicht immer nur melancholische Singer/Songwriterkost servieren. Leider scheitert Georg auf Lieder an seinem eigenen Anspruch, da er zwar verschiedene Facetten zeigt, aber stets an Oberflächen hängen bleibt. Im mit kitschigen Streichern versehenen Trennungslied "Verschwommen" trifft er den Nagel ironischerweise selbst auf den Kopf: "Eine gut gemeinte Floskel / Die ich nicht mehr hören kann".
"Pinke Strähnen" beschreibt die Selbstentfremdung einer jungen Frau in der Großstadt eben mit dem Bild der gefärbten Haare, scheitert aber an der Banalität seiner Geschichte. Mit dem innerhalb des Songs erwähnten "Schwarz zu blau" hatte Peter Fox bereits 2008 vorgemacht, wie man ein vielseitiges und dennoch hittaugliches Berlin-Bild entwirft, ohne in solch seichten Gewässern zu stranden.
Sein Gegenkonzept zur kalten Hauptstadt findet Georg im umliegenden "Brandenburg" - was genau ihn an der Region anspricht, verschweigt das Lied jedoch. Noch dünner wird es, wenn es um die eigenen Befindlichkeiten geht: "Verloren" thematisiert erneut die Hektik einer Großstadt und die Position des Individuums darin, ohne neue Aspekte zu eröffnen, "Dich an mich" ist ein schlichtes Liebeslied voller dutzendfach gehörter Sprachbilder und "Frosch" berichtet von unglücklicher, mit Komplexen beladener Liebe, ohne zündende Metaphern für das zu Genüge bearbeitete Sujet zu finden.
"Mano Grande" bedient sich an Pop, begreift ihn aber nicht als Chance zur großen Melodie, sondern als Ausrede, Genres wie Punk oder Folk zu entkernen und als leere Hülle über simple Songs mit unterkomplexen Reimen zu stülpen. Selbst die Stimme erinnert immer nur, mal an Ex-Jupiter-Jones-Sänger Nicholas Müller, mal an Marcus Wiebusch, nur ohne deren markanten Wiedererkennungswert oder Gespür für Melodien.
Georg auf Lieder wollte große Songs schreiben, das hört man spätestens der Kombination aus schwelgerischer Gitarre und Kinderrufen auf dem letzten Stück "Bausparvertrag" an. Thema ist hier die Zerrissenheit des Protagonisten zwischen der belastenden Unbeständigkeit des eigenen Lebens und der erdrückenden Sicherheit des Lebens der anderen Endzwanziger, die die eigenen Tage und die ihrer Kinder bis zur endgültigen Unbeweglichkeit durchplanen.
Dabei erkennt Georg auf Lieder nicht, dass er selbst ebenfalls auf der sicheren Seite agiert: Das hier ist Bausparrock, schunkeliger Lagerfeuerfolk mit Texten, die niemandem vor den Kopf stoßen wollen, die niemanden fordern, die immer schön innerhalb der eigenen Grenzen bleiben. Wenn "Mano Grande" für Georg auf Lieder schon als Blick über den Tellerrand durchgeht, dann handelt es sich wohl um den kleinsten Teller der deutschen Rockszene.
1 Kommentar
Dann doch lieber Lecko Grande von HGich.T.