5. Mai 2022

"Kein Mixer kann einen schlechten Song retten"

Interview geführt von

Call Me Little Sunshine: Wenige Stunden vorm Ghost-Arenadebüt in Köln trifft laut.de-Autor Alex Klug Ghost-Mastermind Tobias Forge zum Gespräch. Warum Setlists weit im Voraus geplant werden müssen, was genau Imagine Dragons richtig oder falsch gemacht haben und ob das neue Album einer Band immer das beste sein muss, lest ihr im Folgenden.

So richtig happy ist Tobias Forge nicht, nachdem er einen Blick auf die heutigen Vorverkaufszahlen geworfen hat. Als ich den Ghost-Chef in den Backstage-Katakomben der Kölner Lanxess Arena treffe, dreht sich das Gespräch erst einmal um die vermeintliche deutsche Übervorsicht beim Kauf von Konzerttickets. Und tatsächlich: Am Abend bleiben viele Ränge leer. An der Qualität des neuesten Stadion-Rock-Streichs "Impera" (Platz 1 der deutschen Charts) kann es nicht liegen. Und auch in Sachen Bühnenshow geben Ghost schwachen Verkäufen zum Trotz heute Abend wieder alles – und lassen sogar die Toten tanzen.

Zuallererst einmal: Wie geht es Papa Nihil? Mit den täglichen Reanimationen auf der Bühne (siehe Video oben) mutet ihr ihm ja einiges zu.

Das ist wohl so. Aber in manchen Momenten geht es ihm wirklich gut. Dieses Zurückkommen aus dem Jenseits, dieses Wiederbeleben, das ist bestimmt hart – aber auch nicht mein Problem.

Wie können wir uns den Transport vorstellen? Hat er private Sargträger oder wird er gelegentlich auch tagsüber reanimiert, um sein Saxofon zu polieren?

Nein, nein, wir haben Leute, die sich um sein Saxofon kümmern, er bleibt schön im Sarg. Alles andere wäre ja Folter. Denk mal an die Leichenstarre. Wir reanimieren ihn nur, wenn wir ihn brauchen.

Dann richte ihm mal meine Grüße und natürlich Glückwünsche zu "Impera" aus. Sag ehrlich: Muss das neue Album einer Band immer auch das beste sein?

Ah, wow, hahaha! Es sollte zumindest deine Intention sein, das beste Album zu machen, das du machen kannst. Niemand geht ins Studio, um ein okayes Album zu machen – auch wenn das Resultat am Ende vielleicht genau das ist.

Das fließt aber ja auch in den ganzen Promo-Talk ein: Selbst Bands, die seit 30 Jahren nicht mehr relevant sind, tischen dir regelmäßig auf, dass diese neue Platte nun wirklich die beste ihrer Karriere sei. Selbstreflexion ist natürlich auch nicht immer leicht.

So weit sind wir ja noch nicht, drum gehe ich da etwas pragmatischer ran. Wenn ich zurückschaue, denke ich mir natürlich, auf diesem hier haben wir dies und das falsch gemacht, und auf dem hier war jenes wirklich super. Klar, wenn du 15 Alben hast, kannst du nicht mehr so einfach die konkreten Qualitäten jedes einzelnen an einer Hand aufzählen.

Ich denke, Metallica haben das gut gemacht, da habe ich mal ein Interview gesehen, in dem es hieß: "'Ride The Lightning' ist unser bestes Album. Punkt." Ziemlich nüchtern, ich meine, sie hätten ohne Probleme sagen können: "Das schwarze Album ist das beste", einfach, weil es ihrer Karriere am besten getan hat.

Wenn ich ein neues Album anfange, gucke ich mir genau an, was mir auf dem vorherigen nicht gefallen hat. Es ist immer auch eine Reaktion auf den Vorgänger. Das soll jetzt nicht nur heißen: "Oh, das letzte Album war nicht heavy genug, also mache ich dieses härter." Auch praktische Dinge. Ich will, dass die Platte smooth klingt, ich will, dass die Hi-Hat vernünftig gemastert ist und mir im Mix gefällt.

Apropos Rückschau: Im Laufe der Jahre haben Ghost ja fast alle Songs von allen Studioalben live gespielt. Aus "Impera" sind heute Abend aber nur vier Songs zu hören. Was ist mit dem Rest, kommt der dann auf späteren Tourneen?

Der kommt später, auf jeden Fall. Es gibt einen ziemlich einfachen Grund dafür, warum die Setlist ist, wie sie ist: Band und Crew sind über die ganze Welt verstreut. Das ist was anderes als fünf Dudes, die in einer Stadt wohnen und jeden Montag proben. Wir mussten ein bisschen da weitermachen, wo wir mit unserer US-Tour aufgehört haben – auch wenn das zu Lasten anderer Songs geht. "Watcher In The Sky" etwa, da freuen wir uns sehr drauf. "Twenties", den wollen zumindest ein paar Leute hören, haha! Vielleicht auch "Respite On The Spitalfields". Ein paar davon nennen wir "gag songs", weil wir für die ein paar spezielle Dinge geplant haben – die uns aber aktuell noch nicht möglich sind.

"Wir müssen ziemliche viele Leute entertainen"

Interessant, denn ich habe das Gefühl, viele Bands sortieren bereits zur Releasetour offenkundigen Überschuss aus, der dann auch niemals live gespielt wird. Gibt es keinen Song, den du nicht mehr hören kannst oder im Nachhinein für zu schwach oder nicht gelungen hältst? Oder könnte jeder einzelne Song eines Tages wieder in der Setlist auftauchen?

Ich würde sagen, so 95 Prozent, ja. Der Rest sind Songs, die live einfach nicht gut funktionieren würden.

Zum Beispiel? "Deus In Absentia" [Schlusstrack auf "Meliora"]?

"Deus" ist definitiv ein sonderbarer Song, aber das hängt auch davon ab, wo du ihn im Set platzierst. Dieses Start-Stopp-Ding ist sehr speziell, aber das könnte schon noch mal klappen. Ein Song, der live überhaupt nicht funktioniert hat, obwohl wir es wirklich versucht haben, ist "Depth Of Satan's Eyes" [von "Infestissumam"]. Ich weiß nicht warum, ich mochte ihn immer. Ich glaube, es ist die Geschwindigkeit, vielleicht ist er einfach zu langsam.

Es hat halt einfach nicht so einen geilen Swing wie "Zombie Queen" vom selben Album.

Ja, genau! (lacht) Es gibt also durchaus ein paar Songs mit Sternchen dahinter, aber das bedeutet nicht, dass wir sie nie wieder spielen werden. Wir müssen ziemliche viele Leute entertainen, da muss die Bühnenshow eben fließend sein.

Ist das auch der Grund, warum euer Closer "Monstrance Clock" rausgeflogen ist? Habt ihr den zu oft gespielt?

Den haben wir verdammt oft gespielt. Aber wir denken eben auch über eine alternative Tour nach, wo wir die Sachen unterbringen, die wir gerade nicht spielen. Wir enden im Moment mit "Square Hammer", das ist halt so ein Banger, dass er keinen Raum für mehr lässt. In einem alternativen Setting spielen wir dann wieder "Monstrance Clock" – das sind eben zwei ganz verschiedene Enden.

Was mich ehrlich interessiert, ist die Rolle der externen Songwriter bei Ghost. Auf "Impera" gibt es mehr Songwriting-Credits denn je für Salem Al Fakir und Vincent Pontare, unter anderem bekannt als Songwriter von und für Avicii. Wie funktioniert das Ganze: Du hast eine Songidee und sie geben den Harmonien den letzten Schliff?

Meistens komme ich mit ein oder zwei Songs an und sage: "Schaut mal, ich habe hier Song A und ich habe hier Song B. Sagt mir: Welcher ist der interessantere?" Und dann warte ich einfach mal die Reaktionen ab. Sobald ich etwas jemand anderem präsentiere, sind es die Reaktionen, die mich zum weiteren Arbeiten animieren. So wie bei dir als Autor, bei dem noch mal ein Lektor drüberschaut und sagt: "Schau mal, ich weiß, was du hier sagen willst, aber kannst du das nicht noch besser auf den Punkt bringen? Sonst verliere ich als Leser das Interesse. Versuch doch diesen anderen Part ein bisschen mehr hervorzuheben, der ist spannender."

Mir hilft es total, mich mit sehr guten Songwritern auszutauschen, um selbst daran zu wachsen. Das hilft mir auch zu erkennen, wo ich auf meine Intuition vertrauen kann und wo nicht. Manchmal versuche ich neue Dinge einzubringen, um mich konkret von meiner Intuition abzugrenzen – bekomme dann aber zu hören: "Nein, nein, du solltest es auf deine Art angehen, das funktioniert hier einfach besser."

"Ein Positivbeispiel? Aerosmith!"

Aber es ist nicht so, dass deine Partner konkrete Melodien oder Teile der Songs schreiben?

Man spielt sich natürlich den Ball zu, natürlich gibt es Input, gerade wenn es dann um Arrangements geht. Meine Gesangslinien sind meistens sehr intuitiv. Aber wenn du dich dann hinsetzt und überlegst, wie baue ich jetzt eine dritte Stimme dazu, dann kommst du an den Punkt, an dem Musik fast schon mathematisch wird. Es darf nicht komisch oder traurig klingen, auch wenn es harmonisch korrekt sein mag. Viel solcher Kram.

Ohne den Sound zu stark zu beeinflussen?

Wenn du als Popmusiker mit externen Songwritern zusammenarbeitest, nehmen sie für gewöhnlich mehr die Produzentenrolle ein. Sie bauen den Sound. Bei Ghost war das nie so. In der Demophase spiele ich alle Gitarren, den Bass, die Keyboards und singe. Gerade Salem [Al Fakir] aber ist ein unglaublich talentierter Keyboarder, auf den ich mich immer verlassen kann, wenn ich einen guten Pianopart brauche. Aber die Instrumentierung ist immer dieselbe: Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Piano, Orgel, vielleicht Mellotron.

Meiner Meinung nach gibt es viele Negativbeispiele aus dem Rockbereich, wenn es um die spätere Einbeziehung externer Songwriter geht – Ghost ist da für mich ein absolutes Positivbeispiel, gerade was den Ohrwurm-Faktor betrifft.

Was wäre denn ein Negativbeispiel?

Das letzte Linkin Park-Album ("One More Light"). Die haben sich sechs Alben lang sehr gut entfaltet und ausprobiert und sich dann mit externen Leuten einfach im Ton vergriffen. Ich meine das nicht auf eine "die müssen heavy sein und fette Gitarren haben"-Art, denn sie hatten ja auch vorher schon interessante elektronische Popmusik gemacht. Aber das Ergebnis war einfach nicht homogen.

Ich habe das Album leider gerade nicht im Kopf, aber ich glaube, das ist der typische Fehler. Ich bitte niemals jemanden darum, mir einen Song zu schreiben. Das funktioniert einfach nicht. Aber ich glaube, andere Leute denken sich: "Oh, ich hole mir einfach Greg Kurstin [Sia, Adele, Twenty One Pilots] dazu, er wird uns einen Sound geben".

Und dir gelingt es aber sicherzustellen, dass das Endergebnis immer noch durch und durch Ghost ist?

Ja, das hoffe ich. Ich gebe dir ein Beispiel: Es gibt Bands, die werden über Nacht zur Sensation. Nehmen wir Imagine Dragons. Labels, Medien – plötzlich wird das ganze Business wach. Man fragt sich: Was haben gerade die richtiggemacht? Und im Laufe der Jahre kommen dann diese Gespräche auf: "Du, vielleicht solltet ihr euer Album von Produzent XYZ mischen lassen." – "Ähm, warum?" – "Der hat auch Imagine Dragons gemacht." Ja, wow, er hat Imagine Dragons gemischt. Sonst nichts. Ich möchte gar nicht böse über sie reden, versteh mich nicht falsch. Aber die Basis deiner Rezeptur liegt doch nun mal in den Zutaten. Wenn du mit vergammelten Kartoffeln ankommst, kannst du sie nicht durch die Art und Weise der Zubereitung retten. Kein Mixer kann deinen Song retten.

Warum funktionieren sie deiner Meinung nach dann so gut?

Ein Grund, warum Imagine Dragons so gut funktionieren, ist dieser. (Tobias stampft und klatscht den "We Will Rock You"-Rhythmus.) Queen, wenn du so willst, aber auch ... [Er singt "Halo" von Beyoncé und "Apologize" von OneRepublic.] Beide wurden vom selben Typen [Ryan Tedder] geschrieben. Sein Ding war immer dieses Drum-Fundament. Und genauso ist es bei "Radioactive, Radioactive" (singt). Das ist das ganze Ding.

Wenn du wie Imagine Dragons klingen willst, dann musst du deine Songs so schreiben. Du brauchst niemanden, der dir an einer Stelle ein Tambourin einfügt, sondern du musst es direkt so schreiben. Also wenn Leute wie Greg Kurstin oder Ryan Tedder auftauchen und zeigen, dass sie einerseits für Sia schreiben, aber auch mit den Foo Fighters arbeiten können, dann musst du aufpassen, was genau du von ihnen willst. Denn wenn du nicht aufpasst, schreiben sie dir Songs, die genau so klingen.

Aber um auch mal ein Positivbeispiel zu nennen: Aerosmith. Sie haben in den Siebzigern erstklassige Songs geschrieben und hatten aber auch später noch einmal eine großartige Karriere mit Songs, die von anderen geschrieben wurden. Und das hat richtig gut funktioniert.

Es ist nie schwarz-weiß. Ich glaube, wir bewegen uns da auch in einer Grauzone, irgendwo in der Mitte. Schreib deine Songs mit anderen, klar, aber sei in der Mitte des Geschehens. Geh nicht hin und sag: "Schreib mir 'nen Ghost-Song."

Vielen Dank, Tobias.

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