laut.de-Kritik
"Mobiltelefone, Fotos und Videoaufnahmen sind unerwünscht".
Review von Giuliano Benassi"Patti chiari, amicizia lunga", besagt ein Sprichwort aus Italien. Was so etwas bedeutet wie "bei klaren Verhältnissen währt die Freundschaft lang". Dass sich Gianmaria Testa diese Volksweisheit zu Herzen genommen hat, beweist der Beginn der CD: Mobiltelefone, Fotos oder Videoaufnahmen seien unerwünscht, erklärt eine Stimme vom Band auf Italienisch und Englisch. Dann betritt der Künstler die Bühne – und es folgt ein selten intimes Konzert.
Alles, was der Mann aus Piemont benötigt, um sich das Publikum zum Freund zu machen, sind seine Stimme und eine Gitarre. Natürlich auch die Geschichten, die er erzählt, schließlich ist Testa ein klassischer "Cantautore". Also ein "singender Autor", der bei diesem Konzert im Juli 2008 in Rom von den vertrauten Gebieten Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen abgekommen ist, um sich einem schwierigen Thema zu widmen: Den Tausenden Menschen, die jedes Jahr das Mittelmeer überqueren, um in Italien den ersehnten EU-Boden zu betreten.
30.000 sollen es 2008 allein auf dem Inselchen Lampedusa südlich von Sizilien gewesen sein. Wie viele bei der gefährlichen Reise ihr Leben lassen, lässt sich kaum ermitteln, doch dürften es Hunderte, wenn nicht Tausende sein. Ein Drama, das zwar immer wieder in die Schlagzeilen gerät, aber kaum die Hintergrundbeleuchtung erfährt, die dringend nötig wäre.
Wir alle wissen: Mauern bringen nichts. Wir müssen uns die Welt eher wie kommunizierende Behältnisse vorstellen. Man geht dort hin, wo man hofft, überleben zu können. Ansonsten würde man sich nicht zu 70 auf ein Irgendetwas begeben, das maximal für 15 gebaut ist und zu riskieren, zu ertrinken, nach Hause geschickt oder misshandelt zu werden. Keiner weiß es besser als wir, die Italiener: Seit 1870 sind 70 Millionen Italiener ausgewandert. Die größten italienischen Städte befinden sich im Ausland, erklärt Testa vor "Forse Qualcuno Domani", das wie viele der hier vertretenen Stücke aus dem vorausgegangenen Album "Da Questa Parte Del Mare" (2006) stammt.
Darin erzählt er Geschichten von Menschen, die voller dunkler Gedanken aufbrechen ("Forse Qualcuno Domani"), nachts das Meer überqueren ("Una Barca Scura"), auf Sizilien landen und sich schließlich in alle Winde verteilen. Bis einer von ihnen nach Lampedusa zurückkehrt, um nach einer Frau zu suchen, die mit ihm im Boot saß und an deren Augen er sich erinnert ("Il Passo E L'incanto"). Er findet sie nicht, schreibt aber ein trauriges Liebeslied für sie ("3/4").
Auch unter Einwanderern geht es zum Glück nicht immer trostlos zu, wie das fröhlich-freche, an Fabrizio De André angelehnte "Al Mercato Di Porta Palazzo" zeigt. Schließlich wollte Testa nicht eine herzzerreißende Flüchtlingsode schreiben, sondern sich selbst Klarheit verschaffen. Das Album sei für "diejenigen, die auf dieser Seite des Meeres leben", besagt der Titel.
Mit seiner rauen tiefen Stimme erinnert Testa stellenweise an Paolo Conte. Oder an Leonard Cohen, mit dem er den Sinn für poetische Formulierungen teilt. Dennoch ist "Solo Dal Vivo" auch Hörern zugänglich, die des Italienischen nicht mächtig sind. Schließlich muss man nicht unbedingt dieselbe Sprache sprechen, um sich zu verstehen.
3 Kommentare
Tolles Album
und das sag ich als eingeborener deutscher ...
aber... schließlich muss man nicht unbedingt dieselbe Sprache sprechen, um sich zu verstehen.
frohe ostern an alle gute-musik-möger
Dir auch!
Die Sache mit dem Verstehen der Sprache - da bin ich anderer Meinung; ich habe mir u.a. SOTTOSOPRA und 20 MILA LEGHE übersetzt, und jetzt weiß ich, was ich ohne Textverständnis verpasst hätte. Genial die Texte und congenial die Musik!