laut.de-Kritik
"David Guetta und Tiesto sind die besten"? Ach, Giorgio.
Review von Martin TenschertGiorgio Moroder ist fast schon so etwas wie ein Fabelwesen. Sagenumrankt ist sein Wirken im München der 80er Jahre, der Südtiroler Bauernbub, der es der Welt mit seinem "Sound Of Munich" gezeigt hat, der Mann, der Leute wie Donna Summer zu Stars gemacht hat und mit Soundtracks wie "American Gigolo" eigentlich unsterblich geworden ist.
Ein Schnauzer, eine Sonnenbrille to rule them all. Seitdem Daft Punk den mittlerweile 75-Jährigen mit einem Hommage-Track wieder ins Bewusstsein riefen, begab sich Hansjörg auch wieder selbst ins Studio, um an einem Solowerk zu arbeiten. Im selben Atemzug brachte sich der rüstige Nichtmehrrentner als "Finger-In-Die Luft-DJ" ins Spiel und verwirrte mit Täterä-Sets auf mehreren Festivals.
Ein neues Album nach langer Zeit bedeutet im besten Fall ja die 'Phönix aus der Asche'-Nummer, birgt aber immer auch das Risiko von enttäuschten Erwartungen und der Demontage des eigenen Images. Allein schon die im Vorfeld getroffenen Entscheidungen für Kollaborationen (Britney Spears, hallo!?) und Aussagen wie "Guetta und Tiesto sind die besten!" ließen altgediente Fans aufhorchen. Sollte hier etwa der wegbereitende Sound für Labels wie Munk oder Disco-Helden wie Wolfram zunichte gemacht, ja zum Ausverkauf feilgeboten werden?
Keine Spur von Anknüpfen, Modifizieren, Weiterentwickeln des eigenen Trademark-Sounds. Wir hätten uns einen leicht veränderten, verbesserten Porsche 911 gewünscht und keinen beuligen Disco Panamera! Leider wird diese Angst beim Hören von "Deja-Vu" bitter bestätigt.
Beim Anblick des schreiend pinken Covers inklusive der unvermeidbaren Brillenbart-Ikonographie hat man noch die winzige Hoffnung, der musikalische Inhalt möge synästhetisch nicht mit dieser Kaugummiverpackung verknüpft sein. Nach eigener Aussage soll Moroder früher nächtelang am Radio gesessen sein, um die Anatomie des Hits zu durchleuchten und für die eigenen Belange einzuspannen.
Dagegen ist auch grundsätzlich nichts zu sagen, so lange man der Musik einen eigenen Stil mitgibt, sie vom reinen Konsumgut zum Kunstwerk erhebt, anstatt sich zum Sklaven der Hitmaschinerie zu machen. Genau das hat Moroder ja auch überhaupt nicht nötig, er muss doch niemandem mehr etwas beweisen. Dennoch hat er sich bedauerlicherweise für den glattgebügelten EDM-Highway entschieden und den rauhen Discopfaden den Rücken gekehrt.
Bloßes Kalkül, eine Absage an den Sound von früher, der in belanglosen Düdel-Liedchen wie "4 U With Love" aus der Ferne zitiert wird, ist die Konsequenz. Das Gespür für das, was funktioniert, hat Moroder sicherlich noch, nur hat er sich eben nicht die besten Vorbilder gesucht, um seinen neuen Sound zu formen.
"Diamonds" etwa wartet mit jenem unsäglichen Bass auf, den selbst die unsäglichsten Trance-Produzenten aus ihren Plugin-Listen schon vor Jahren gelöscht haben. Ein weiteres Minus: Der Klang als solcher. Wo Giorgios Produktionen früher nur so vor Wärme, Funk und Sexyness sprühten, wird heute einfach die digitale Bratenbratz-Sauce drübergekippt. "Back And Forth" mit seiner uninspirierten Kickdrum und 0815-Vocals hätte man irgendwo zwischen Guetta und Ami-EDM eingeordnet, aber von Giorgio Moroder sind hier nur noch Spurenelemente vorhanden.
Den Titel "Right Here, Right Now" hätte man auch mal lieber Fatboy Slim gelassen, mit so einer seelenlosen Radiopopnummer will man nun wirklich nicht in Verbindung gebracht werden. Wenn man krampfhaft sucht, findet man hier und da nette Elemente (schöner Blubbersynth in "La Disco"), die aber sogleich von absolut vorhersehbaren Arrangements und dem Rest des Tracks zerstört werden. Dem amerikanischen Markt, auf den Moroder hier sicher auch schielt, wird's gefallen, Knicklichter und Spring Break Ahoi.
Schade, dass die Ikone der Disco-Musik sich nun so dem klanglichen Junk Food gewidmet hat. Dieses "Deja-Vu" hat man nun wirklich nicht kommen sehen. Wenn man es überhaupt gesehen hat. Jetzt ist es an Leuten wie Munk oder DJ Hell, den Sound Of Munich würdevoll weiterzuführen und zu vertreten.
4 Kommentare mit einer Antwort
Torque. Zu der Platte müssen wir im Whirlpool aber unseren Popo durchsprudeln lassen und Schampus dazu trinken.
Wenn das Album von irgendeinem infantilen DJ zur Dorfdiscobeschallung gemacht worden wäre ok, nicht meins aber ich hätte es nicht kommentiert, weil es eh nicht meine Musikrichtung ist. Aber Giorgio Moroder der viele meiner Lieblingsfilme mit Musik unterlegt hat, das er so etwas herausbringt, außgerechnet ein Mann von 75 Jahren, in einem Genre das er selber mitgeschaffen und mitbeeinflusst hat. Einfach nur traurig.
Ich hoffe depeche mode hauen mit 75 auch noch rein
Dieser 4 jahre zyklus gibt aufjenfall noch was her
Bei der Vorab-Single "74 is the new 24" hatte ich noch Hoffnung. (Album-Highlight) Dann kam der kitschige Kylie-Track... dann der wenig eingängige Sia-Track...
Das Album ist aus meiner Sicht reines Kalkül (ala Guetta) - fast jeder Track auf radio-freundliche Länge zurechtgeschustert. Eigentlich schade
Genau so sieht das aus. "74" ist durchaus okay.