laut.de-Kritik

An diesem Wortpoeten kommt niemand mehr vorbei.

Review von

Und wieder Tobias Levin. Kaum hat man Kristof Schreufs tolles Album "Bourgeois With Guitar" verdaut, da erscheint die zweite Langspielplatte des großartigen Gisbert zu Knyphausen – ebenfalls in Levins Electric Avenue Studio produziert. Anstelle des Bourgeois nun also der Aristocrat with Guitar.

Der in Hamburg ansässige Sänger gehört ohne Zweifel zu den großen Entdeckungen der letzten Jahre. Lange war der heute 31-Jährige nicht mehr als ein Geheimtipp der Szene, spätestens aber seitdem eine große deutsche Musikzeitschrift vor einiger Zeit ihrer gedruckten Ausgabe die Live-Aufnahme eines Knyphausen-Konzerts beilegte, war sein Name virulent.

Verdächtig häufig allerdings kursierte ein Wort, das uns zuletzt aus Papas muffiger Plattenkiste entgegengenölt kam: Liedermacher. Wer musste da nicht an Reinhard Mey, Klaus Lage oder weit Schlimmeres denken? Auch jetzt.de benutzte das Unwort erst kürzlich anlässlich eines Interviews mit dem Künstler.

Konzentrieren wir uns also auf Knyphausens Wort- und Tonkunst. Nein, ein großer Vokalist ist er nicht, dafür schrammt sein Vortrag einfach zu oft haarscharf am Sprechgesang vorbei. Und doch versteht er es, mit seinen meist melancholischen Miniaturen auf seltsam eigentümliche Art zu berühren. Der Sänger und Songwriter beherrscht die akustische Gitarre, ja, er ist aber vor allem auch: Poet und Wortkünstler, ohne dabei je der Prätention anheim zu fallen.

Melancholie also, dazu aber eine Dringlichkeit, die den Barden mit dem schlingensiefesken Wuschelkopp und dem Achttagebart immer wieder und ganz plötzlich ergreifen kann. Man höre nur einmal das dritte Stück der neuen Scheibe, "Grau, Grau, Grau". Es ist diese Dringlichkeit, die Knyphausen stets davor bewahrt, in allzu larmoyante Bezirke abzudriften. Gleich im ersten, erstaunlich rockigen Stück "Hey" ist die Rede von "Gedanken aus Beton", "Staub in meinem Zimmer". Oder auch: "Ich laufe gegen Wände ... .

Mehr noch als bisher lassen einen die auf dieser Platte beschriebenen Situationen an Sven Regener denken, ohne dass Knyphausen freilich auch nur einmal die teils allzu rotweinselige Chansonhaftigkeit des Elementianers beleiht.

An einer Stelle ("Dreh Dich Nicht Um") ist dann gar eine angejazzte Trompete zu vernehmen. Überhaupt dürfen die starken Mitspieler nicht vergessen werden, die Knyphausen auf dieser Veröffentlichung so kongenial flankieren: Von Frenzy Suhr am Bass bis zu Jens Fricke an der Gitarre.

Immer wieder findet Knyphausen Bilder von großer Strahlkraft. So auch in "Kräne", dem wohl stärksten Song des Albums: Da liegt "die große Stadt" da, "wie ein verwundeter Vogel", die Kräne des Hamburger Hafens mutieren zu "Tiere(n), mit metallenen Krallen und Neonlicht-Augen", dass man die steife Brise der Waterkant fast zu riechen meint. Immer wieder auch dehnt er die Vokale bis zum Anschlag, was der oben erwähnten Dringlichkeit mehr zu- denn abträglich ist: "Lass mich loooooos ...".

Bei Gisbert ist die Welt stets "grässlich und wunderschön" zugleich. Kaum ein deutscher Künstler, der diese Alltags-Dialektik zurzeit in so treffende Worte zu gießen vermag wie der gebürtige Hesse. Zwei, drei Ohrwürmer mehr hätten der neuen Platte trotz alledem gut zu Gesicht gestanden. Stücke in der Art des tollen "Sommertag" vom 2008er Debütalbum.

Dafür schenkt uns Herr zu Knyphausen eine der schönsten Textpassagen des Jahres, seine ganze persönliche Abrechnung mit eben jenem Seelenzustand, dem er offensichtlich viel zu verdanken hat: "Fick dich ins Knie Melancholie, du kriegst mich nie klein", heißt es nach gut zwei Drittel des Albums. "Was hast du der Menschheit jemals Gutes gebracht"? Eine Frage, die zumindest bei uns, den Rezipienten seiner zweiten Platte, nur eine Antwort zulässt: Gisbert zu Knyphausen!

Trackliste

  1. 1. Hey
  2. 2. Seltsames Licht
  3. 3. Grau, Grau, Grau
  4. 4. Es ist still auf dem Rastplatz Krachgarten
  5. 5. Ich bin Freund von Klischees und funkelnden Sternen
  6. 6. Kräne
  7. 7. Morsches Holz
  8. 8. Melancholie
  9. 9. Hurra! Hurra! So Nicht!
  10. 10. Dreh dich nicht um
  11. 11. Nichts als Gespenster

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