laut.de-Kritik

Apokalypse mit Ansage.

Review von

Brauchen wir ein weiteres Album, zu dem Musikjournalisten Überschriften wie "der perfekte Lockdown-Soundtrack" aus dem Ärmel schütteln müssen? Igittigittigitt, nein, bitte nicht. Trotzdem wird der innere Kalenderspruch-Produzent natürlich hellhörig, wenn Godspeed You! Black Emperor neuen Output ankündigen, die Band also, die bereits seit zweieinhalb Dekaden die Apokalypse herbeipredigt (oder herbeipredigen lässt).

Statt auf tumben Weltuntergangscrescendos herumzureiten, schreit "G_d's Pee AT STATE'S END!" vielmehr: Wir haben's euch ja gesagt. Staaten und Wirtschaftsmodelle sind überfrachtete, fragile Konstrukte, und ein kleines verdammtes Virus genügt, um das zu beweisen. Ihr wusstet es, kommt euch jetzt bei uns ausheulen und bestellt unsere Platte trotzdem wieder bei Amazon. Schwach.

Trotz Stilbruch im simplifizierten Artwork und plumpem Albumtitel folgt das erneut auf eine 12''- und eine 10''-Platte verteilte Album dem Post-Hiatus-Konzept der letzten drei Alben: Zwei bereits live erprobte Langtracks treffen auf zwei kürzere, monothematische Stücke. Gute Nachricht: Bei Letzteren handelt es sich – anders als zuvor – nicht einfach um trostlose Drone-Fragmente. Zwar ist "Fire at Static Valley" ohne Zweifel ein noisiges Ambient-Werk, doch lassen sich unter den zahlreichen Streicherschichten immer wieder repetitive Motive ausmachen.

Die beiden Longtracks hören diesmal auf die ausgesprochen prägnanten Namen "A Military Alphabet (five eyes all blind) (4521.0kHz 6730.0kHz 4109.09kHz) / Job’s Lament / First Of The Last Glaciers / where we break how we shine (ROCKETS FOR MARY)" und "“GOVERNMENT CAME” (9980.0kHz 3617.1kHz 4521.0 kHz) / Cliffs Gaze / cliffs’ gaze at empty waters’ rise / ASHES TO SEA or NEARER TO THEE". Keine Pointe. Hier gibts im weitesten Sinne klassische GY!BE-Kost, erstmals seit Langem sogar wieder mit Samples und Field-Recordings. Dem Kurzwellenfunk sei Dank: Godspeed You! Black Emperor horchen in die Welt hinein.

"Government Came" mäandert dabei zunächst etwas orientierungslos durchs Funkloch, baut jedoch nach und nach bedrohliche Endzeit-Atmo auf. Die zitternden Percussion-Spielereien verbinden sich mit stotternden Gitarreneinwürfen und sorgen für einen ungewohnten Western-Touch. Mit üblich monströsem Sound gesegnet atmet auch "A Military Alphabet" wieder denselben eruptiv-pulsierenden Post-Rock-Geist, der "Lift Yr. Skinny Fists Like Antennas To Heaven!" einst Höchstnoten (nur nicht bei laut.de) einfahren ließ.

Diese anschwellenden Zappelmomente, in denen sich die ganze Wucht der sechs surrenden Saiteninstrumente entlädt, sorgen wieder einmal für eine überdurchschnittliche Kopfhörererfahrung, von denen die kanadische Gruppe zum Glück gar nicht genug liefern kann. (Shoutout Sophie Trudeau – die Violinistin stiehlt mal wieder allen die Show.)

Auf "G_d's Pee AT STATE'S END!" gelingt es Godspeed vielleicht nicht, jede Stärke der immer noch überragenden "Asunder, Sweet And Other Distress" auszuspielen – andererseits merzen sie mit einer wiedergefundenen Leichtigkeit jegliche Schwächen der kompositorisch zu braven "Luciferian Towers" aus. Doch vielleicht liegt die Qualität des verflixten siebten Albums genau darin: dass überhaupt keine Vergleiche und Einordnungen nötig sind. Denn statt mit zynischem Besserwissertum aufzuwarten, malen ausgerechnet die Berufsnihilisten hier ein schockierend harmonisches Bild. Die Crescendos enden nicht im Fegefeuer, sie geben den Blick in die Zukunft frei: Und plötzlich klingen Godspeed erschreckend versöhnlich – beinahe lieblich.

Oder anders gesprochen: Wenn uns der neunte Höllenkreis mit so betörenden cineastischen Streichern wie in "OUR SIDE HAS TO WIN (for D.H.)" in Empfang nimmt – dann darf die Welt gerne untergehen. Mal wieder.

Trackliste

  1. 1. A Military Alphabet (five eyes all blind) (4521.0kHz 6730.0kHz 4109.09kHz) / Job’s Lament / First of the Last Glaciers / where we break how we shine (ROCKETS FOR MARY)
  2. 2. Fire at Static Valley
  3. 3. “GOVERNMENT CAME” (9980.0kHz 3617.1kHz 4521.0 kHz) / Cliffs Gaze / cliffs’ gaze at empty waters’ rise / ASHES TO SEA or NEARER TO THEE
  4. 4. OUR SIDE HAS TO WIN (for D.H.)

1 Kommentar

  • Vor 3 Jahren

    "After twenty-four years, Godspeed You! Black Emperor have changed their tone. I don’t mean that musically; their seventh LP, G_d’s Pee AT STATE’S END! is as floor-shakingly loud as any other release of theirs, but their tone, the overriding emotion they are trying to convey, has changed."

    Hat sich schon zu Luciferian Towers abgezeichnet, springt einer hier aber fast schon ins Gesicht die Erkenntnis.

    Hoffentlich nochmal live zu sehen vor dem Weltuntergang.