laut.de-Kritik
Lee Hazlewood ist tot. Es lebe Gruff Rhys.
Review von Michael SchuhIst er es? Nein, ist er nicht. Geht ja gar nicht, Lee Hazlewood ist seit 2007 tot. Und jetzt kommt da dieser Gruff Rhys, ein Mann, dessen Name sich nur korrekt auszusprechen bemüht, wer vor 20 Jahren mal von der Band Super Furry Animals gehört hat. Und wer hat das schon, wo die Manic Street Preachers und die Stereophonics scheinbar schon die komplette Rock'n'Roll-Landschaft des Küstenwunders Wales abbildeten?
Rhys ist es egal. "Babelsberg" ist bereits sein fünftes Soloalbum, auch die Animals existieren noch. Die Platte ist streng genommen schon zwei Jahre alt, aber Rhys war nach den drei Studiotagen mit seiner Band (darunter Flaming Lips-Drummer Kliph Scurlock) seinerzeit nicht ganz zufrieden, er wollte ein großes Orchester für seine zehn neuen Songs. Die Wahl fiel auf das 72-köpfige BBC National Orchestra Of Wales, wodurch sich der Aufnahmeprozess deutlich in die Länge zog. Das Ergebnis gibt ihm recht.
Der Western-Folk-Auftakt "Frontier Man" zieht gleich mal Spät-60er-Hazlewood auf Lunge ("The Bed") und ergänzt ausladende Streicher- und Bläser-Arrangements, die eine Epoche heraufbeschwören, in denen man eine E-Zigarette noch als unerhörtes Science-Fiction-Gimmick betrachtet hätte. "The Club" und "Oh Dear!" schreiten tempotechnisch im Galopp voran, letzteres in den Strophen auch mit auffallender Ähnlichkeit zu "Sunny Afternoon" von den Kinks - Vergleiche, gegen die wohl niemand etwas einzuwenden hat.
Denn Rhys ist niemand, dem man Vorhaltungen machen will, zu routiniert und leichtfüßig seine Songstrukturen, zu fesselnd die Melodien, die jeden Singer/Songwriter-Fan mit Vorliebe für etwas Melancholie und einer narkotischen Gesangsstimme rumkriegen sollten. Zumal die eingängigen Melodien eher düstere Themen transportieren. Zuletzt hörte man von Rhys, als er 2016 zur Brexit-Wahl eine Liebeserklärung an die Europäische Union ("I Love EU") verfasste.
Auf "Babelsberg" widmet er sich eher dem Verfall, angeführt von Naherlebnissen wie dem Abriss des Studios, in dem er seine letzten Alben aufgenommen hatte, um an selber Stelle nun ein Luxushotel vorzufinden. "When the future isn't broken why fence the people in", singt er im Opener und zieht uns gleich hinein in die Weltpolitik,
wo Grenzen wieder hochgezogen werden und die Show höher gewichtet als die zu transportierenden Inhalte.
Das erwähnte "Oh Dear!" zählt ebenso zu den Highlights wie das waidwunde "Limited Edition Heart". Das leise "Drones In The City" gerät textlich und musikalisch etwas langatmig, hier scheint ihn vor allem der Gegensatz von Inhalt und Umsetzung interessiert zu haben. In "Same Old Song" und vor allem das Duett "Selfies In The Sunset" mit Sängerin Lily Cole, die wie Rhys Remain-Wählerin war, legt der Musiker noch einmal all seine Qualitäten offen.
Anhänger von Belle And Sebastian und Serge Gainsbourg sollten sich auf "Babelsberg", das nicht auf den Potsdamer Stadtteil, sondern auf den Turmbau zu Babel anspielt, ebenfalls angesprochen fühlen. Dankenswerterweise singt Gruff Rhys ja heute nicht mehr auf walisisch wie beim ersten Super Furry Animals-Album. Der Titel damals lautete "Lianfairpwllgywgyllgoger Chwymdrobwlltysilio-goygoyocynygofod (In Space)".
1 Kommentar
starkes album!
den B&S bezug habe ich bis eben noch garnicht so gehört.
"oh dear!", richtig feine sommernummer, macht den aber schnell klar.
8 von 10 nackensteaks