laut.de-Kritik
Melancholischer Pop voller Zweifel.
Review von Frieder HaagZuerst fällt die Produktion auf. Auf "Orca" bekommt jeder Gitarrenschlag Raum, jede Hihat klingt kristallklar durch den Mix. Dann der Gesang: Gus Dappertons leicht kratzige, volle Stimme schwingt sich zu Falsetthöhen auf, nur um sich zwei Takte später wieder flüsternd ganz nah ans Ohr heran zu lehnen.
Mit dem Dream-Pop von "Where Polly People Go To Read" hat "Orca" nur entfernt etwas zu tun. "Orca" ist melancholisch, fast düster, ein Manifest einer Adoleszenz voller Widersprüche und Zweifel. Entstanden aus der letzten Tour und geprägt von euphorischen Höhenflügen, depressiven Episoden und zu wenig Schlaf.
Bereits "Bottle Opener" behandelt die eigene Unnahbarkeit, die nicht immer beabsichtigt ist. Der Flaschenöffner zu den eingeschlossenen Gefühlen kommt in Gewand eines treibenden Indiesongs, die mehrstimmigen Harmonien zeigen Dappertons Gespür für bewegende, nicht kitschige Untermalung. "Bluebird" fügt der saturierten Stimme von Dapperton noch ein helles Klavier hinzu. Es schwingt etwas King Krule mit in dem sonst recht zugänglichen Lied, ein bisschen rotzige Jugend: "You've got heart / Boy do you got drive / It's not that far / It's worth a try".
Gus Dapperton zeigt eine intime Seite, die schon immer in seiner Musik zu finden war, jedoch noch nie so roh und ungefiltert auf Platte gepresst wurde. Der titelgebende "Orca" steht für die Käfige, in denen neben den Tieren auch viele Menschen leben. Die nicht sichtbaren Leiden, die den jungen Musiker plagen, bekommen hier ein Gesicht.
Nach der ersten Hälfte voller Gitarren ziehen sich "Palms" und "My Say So" wieder in gewohnteren Dream-Pop zurück. Letzterer stellt auch den einzigen Featuretrack des Albums dar, sonst zeichnet Gus Dapperton ganz alleine für Songwriting, Gesang und Instrumente verantwortlich.
Das schwer zugängliche "Grim" markiert einen Wendepunkt. Immer wieder unterbrechen Trommelsalven den Beat, richtig in Gang kommt der Song nicht. Trotzdem treibt die Gitarre den "Grim" spürbar weiter in die Ecke, der schwierige Song gipfelt in einem Befreiungsschlag gegen alle sichtbaren und unsichtbaren Dämonen.
Auf den letzten drei Songs des Albums offenbart sich die ganze Brillanz von Dappertons Musik. Zunächst sanfter Gesang auf dem sich aufschaukelnden "Antidote", unterstützt von hypnotischen Chören, die den Raum immer dichter füllen. Doch statt einer lösenden Umarmung wird der Hörer abrupt alleine gelassen. "Medicine" setzt diese Tragik fort, wieder zunächst sehr reduziert, gibt der Titel der Stimme von Dapperton den Rahmen, um ihr volles Potential zu entfalten. Der Sänger steigert sich in seinen Schmerz, um ihn dann kurz vor Ende fast überschlagend vollends von sich zu schreien. Die Gitarre hinkt dem Gesang zunächst etwas hinterher, um ihn dann psychedelisch einzufangen.
Nach dieser Ekstase beendet "Swan Song" ganz bodenständig das Album und schließt somit den Kreis zum Anfang. Verspieltes, rhythmisches Gitarrenspiel zeigt sich versöhnlich, Gus Dapperton schaut immer noch zweifelnd, doch auch mit einer gewissen Zuversicht in die Zukunft: "Yeah I need things to change / And I will not forget it".
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