laut.de-Kritik
Stolz tanzt der Berliner auf dem Kneipentresen.
Review von Kai ButterweckDie beiden Haudegen Hagen Stoll und Sven Gillert sind Berliner mit Herz und Schnauze. Durch und durch verwachsen mit dem kratzbürstigen Charme ihrer Heimatstadt tingeln die zwei Ganzkörpertätowierten seit sechs Jahren durch die Republik, und hinterlassen überall ein Hauch von Hauptstadt-Luft.
Damit nun auch der letzte Haudegen-Fan in Oberursel mitbekommt, wo Sven und Hagen ihre Wurzeln hegen und pflegen, legt das Duo ein besonderes Album vor: eine Platte vollgepackt mit "Altberliner Melodien". Und von Bolle bis Zille sind alle dabei: die großen und kleinen Geschichtenerzähler, die Spelunken-Heroen und die imaginären Maskottchen einer Stadt, die sich seit Jahrzehnten täglich neu erfindet.
Haudegen kramen alle hervor: den raufboldigen Proletarier ("Bolle Reiste Jüngst Zu Pfingsten") genauso wie den "Pinselheinrich" Zille ("Das War Sein Milljöh"). Auch dabei: Grüße aus dem Jenseits von Berlins Revue- und Kabarett-Legende Willi Kollo ("Es Gibt Nur Ein Berlin", "Die Hauptsache Ist") sowie das einzigartige Organ eines Mannes, der fast jeden zweiten Samstag im Jahr die Ostkurve im Berliner Olympiastadion zum Beben bringt - Frank Zander. Gemeinsam mit Sven und Hagen schaltet das Schlager- und Comedy-Urgestein in den schunkelnden Mitgröl-Modus ("Es Gibt Nur Ein Berlin"). Zu satten Gitarren und scheppernden Drums wird klargestellt: "Icke bin Berliner! Wat icke kann, kann keener!".
Neben partytauglichem Punkrock ("Es Gibt Nur Ein Berlin", "Die Hauptsache Ist", "Bolle Reiste Jüngst Zu Pfingsten") kommen Haudegen aber auch mit zahlreichen Radio Teddy-Sounds um die Ecke ("Ach Marie, Tu Mir Bloß Den Gefall'n", "Icke Dette Kieke Mal", "Paula, Mach Die Bluse Zu"). Das Kaschemmen-Piano, der vom Zigarettenrauch vergilbte Trommelbesen und die pointiert eingestreuten Fidel-Klänge wecken bei älteren Berlin-Semestern Erinnerungen. Mit der Kippe im Mund und dem Glas Futschi in der Hand träumt man sich zurück in Zeiten, in denen an jeder Berliner Straßenecke noch überdimensionale Schultheiss- und Kindl-Lichtreklameschilder die Nächte erleuchteten.
Stolz wie Bolle tanzt der Berliner auf dem Kneipentresen, während im Hintergrund ein Dialekt seinen dritten Frühling erlebt, den all die Hipster und Zugezogenen in Prenzelberg und Friedrichshain nur vom Hörensagen kennen. Und mittendrin liegen sich die beiden Bierkutscher Hagen Stoll und Sven Gillert in den Armen und lassen sich vom Geiste Harald Juhnkes auf die Schultern klopfen. "Allet richtich jemacht?", fragt der eine. "Uff jeden!", antwortet der andere.
1 Kommentar
Die Musik von Haudegen war mir völlig unbekannt. Dann hab ich die beiden Jungs zufällig kennengelernt und wurde zur record-release-Party eingeladen. Ich wurde ausgesprochen positiv überrascht, tolles Album, unfassbar nette Typen, grandiose Stimmung. Schön, dass sich mal jemand dieser alten Musik annimmt und sie einer Generation vorstellt, die sonst nie in den Genuss altberliner Melodien gekommen wäre.