laut.de-Kritik

Trent Reznor schließt Frieden mit der Industrie.

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Bis vor kurzem hätte man eher mit Fotos einer öffentlichen Versöhnung der Twitter-Streithähne Trent Reznor und Chris Cornell gerechnet, als mit der Rückkehr des Industriegegners in die Arme der Industrie. "An Omen EP" ist der zweite EP-Appetizer für das 2013 erscheinende How To Destroy Angels-Debütalbum, vorliegende EP die erste Veröffentlichung bei Sony Music.

Für den überraschenden Sinneswandel verantwortlich macht Reznor nun die Erfahrung mit der ersten, auch schon zweieinhalb Jahre alten 6-Track-EP seines Schlafzimmer-Projekts mit Ehefrau Mariqueen Maandig. Damals bot er die neuen Songs ausschließlich online an, in 320Kbps-Qualität gratis, als HD-Version für zwei Dollar. Welches Modell die Mehrheit bevorzugte, kann sich nun jeder selbst ausmalen.

Doch Reznor möchte erst gar keine Häme bezüglich vermeintlich gescheiterter Geschäftsstrategien aufkommen lassen. Ihm sei einfach klar geworden, dass auch ein kompletter Eigenvertrieb gerade für das Marketing enorme Nachteile mit sich bringe, so dass die Entscheidung pro Majorlabel letztlich einer sorgfältigen Kosten-Nutzen-Abwägung folgte. Kurios mutete allerdings an, dass der Kämpfer für neue Vertriebswege als Initialzündung ausgerechnet den Besuch eines Plattenladens in Prag anführte, in dem er kein Nine Inch Nails-Fach vorfand.

Bis Plattenläden ein How To Destroy Angels-Fach einrichten, dürfte noch etwas Zeit vergehen. Im Wesentlichen überraschen die sechs neuen Songs weder diejenigen, die bereits die letzte EP kannten, noch Reznors neuigkeitsfanatische Social Media-Fangemeinde. Denn die Grundkoordinaten bleiben bestehen: Ehefrau Maandig übernimmt die menschliche Melodieführung (was viele bedauern) und Reznor kümmert sich um die Maschinen (was kaum jemand bedauert).

"Keep It Together" fungiert als lässig-düsterer Opener, in dem sich Maandig in gewohnt träumerischer Pose hinter creepy Zwirbel-Soundscapes versteckt, die man so auch auf einem jüngeren NIN-Album oder auf "The Social Network" hätte finden können. Äußerst gelungen ist bereits hier der spätere Einsatz von Reznors Stimme, die dem Song zusätzliche Spannungsschübe verleiht.

Mit einem Song wie "Ice Age" war dagegen überhaupt nicht zu rechnen. Ein reduziertes, an 60er Jahre-Folk angelehntes Gitarrenpicking bildet das Grundgerüst des Songs, dem leider erst ziemlich gegen Ende ein bedrohlich wabernder Synth-Teppich untergeschoben wird. Vor allem Maandig nutzt hier die Chance, die Qualitäten ihrer bislang eher unaufgeregten Stimme voll auszubreiten.

Von "On The Wing" bleibt dagegen nicht viel in Erinnerung, außer dass Reznors Stimme die seiner Gattin fast in den Hintergrund drängt. Nette Beats, krachiges Geplucker, ein Break zur Steigerung der Laut-/Leise-Dynamik, verfremdete Vocals: alles dabei, was man in Abwesenheit mitreißender Melodieführung als Trent Reznor für gewöhnlich auf EPs packt.

Das Instrumental "The Sleep Of Reason Produces Monsters" gibt dann vor allem genug Zeit zum Luft holen, bevor "The Loop Closes" den Maschinenpark blinken lässt: Was in den ersten drei Minuten schon als Instrumental bestens funktioniert, bekommt gegen Ende noch die volle Ladung Reznor-Vocals verpasst. Ein güldener NIN-Moment mit leichtem "Year Zero"-Touch.

"Speaking In Tongues" gelingt es danach nur noch in Maßen, die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Der zugegeben schöne, beinahe Tom Waits-artige Galeerenbeat bleibt das vorstechendste Merkmal der etwas zerfahrenen Komposition, auf der Mariqueen abermals nicht in Erscheinung tritt.

So liefert "An Omen EP", von der wahrscheinlich nur ein Song auf dem kommenden Longplayer vertreten sein wird, dank "Ice Age" zumindest den Beweis, dass Reznor auch nach zwei Jahrzehnten noch für eine Überraschung gut ist. Ansonsten lugt aus so ziemlich allen Ecken des How To Destroy Angels-Sounds die glorreiche Vergangenheit des Amerikaners hervor. Wem die atmosphärischen, eher sanften NIN-Momente früher zusagten, dürfte sich bei HTDA gut aufgehoben fühlen.

Trackliste

  1. 1. Keep It Together
  2. 2. Ice Age
  3. 3. On The Wing
  4. 4. The Sleep Of Reason Produces Monsters
  5. 5. The Loop Closes
  6. 6. Speaking In Tongues

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6 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Die EP werde ich mir wahrscheinlich auch kaufen, trotzdem hoffe ich, dass 2013 mal wieder was von den Nägeln raus kommt...
    Ideal wäre ja eine schmutzige Scheidung, da könnte Reznor seine ganze Wut an seinen Instrumenten auslassen, so wie früher!
    ;)

  • Vor 12 Jahren

    Tolle Kritik, die vertretene Meinung kann ich genau so nachvollziehen. Hoffentlich fällt der Longplayer etwas besser aus. So wie der Stil momentan ist, finde ich es zwar interessant, aber für ein ganzes Album wäre das zu belanglos.

  • Vor 12 Jahren

    Ich weiß gar nicht was alle an der Stimme der Gattin auszusetzen haben. Klar liefert sie kein Gesangsfeuerwerk ab das einem vor lauten Emotionen die Tränen in die Augen treibt, sondern singt eher unaufgeregt. Die Songs allgemein sind aber auch eher zurück gelehnt und grade für solche Songs find steuert sie wunderbare Melodien bei.
    Insgesammt solide Ep find ich. Es wird aber für meinen Geschmack ein bisschen zuviel geloopt, die Songs bauen sich zwar auf aber am Ende kommen sie irgendwie nicht auf den Punkt.

  • Vor 12 Jahren

    Ice Age ist eine absolute Granate! Gefällt mir richtig gut, genau wie Keep It Together. The Loop Closes blieb bei mir irgendwie nicht hängen, weil da die Stimme von Frau Maandiq unangenehm auffällt. Davon hätte ich lieber eine düstere Version mit besseren Lyrics und Sologesang von Trent. Ohne richtiges Album weiß ich immer noch nicht, wie ich HTDA einschätzen soll. Irgendwie warte ich immer auf einen Ausbruch beim Gesang, weil der durchweg nur "nett" bleibt. Sobald Trent einsetzt habe ich seine Frau komplett verdrängt, weil der Unterschied enorm ist.

  • Vor 12 Jahren

    Ice Age ist eine absolute Granate! Gefällt mir richtig gut, genau wie Keep It Together. The Loop Closes blieb bei mir irgendwie nicht hängen, weil da die Stimme von Frau Maandiq unangenehm auffällt. Davon hätte ich lieber eine düstere Version mit besseren Lyrics und Sologesang von Trent. Ohne richtiges Album weiß ich immer noch nicht, wie ich HTDA einschätzen soll. Irgendwie warte ich immer auf einen Ausbruch beim Gesang, weil der durchweg nur "nett" bleibt. Sobald Trent einsetzt habe ich seine Frau komplett verdrängt, weil der Unterschied enorm ist.

  • Vor 11 Jahren

    @The Great Destroyer (« Die EP werde ich mir wahrscheinlich auch kaufen, trotzdem hoffe ich, dass 2013 mal wieder was von den Nägeln raus kommt...
    Ideal wäre ja eine schmutzige Scheidung, da könnte Reznor seine ganze Wut an seinen Instrumenten auslassen, so wie früher!
    ;) »):

    Und Mariqueen wäre wieder zu haben :hoho: