laut.de-Kritik
Mit musikalischer Vision und Interesse an der Welt.
Review von Stefan MertlikEin halbes Jahrzehnt ließ sich Hozier für sein zweites Album "Wasteland, Baby!" Zeit. Aus Angst vor dem Vergessenwerden hätten andere Künstler_innen derweil vier weitere Platten (inklusive Best-Of) rausgeballert und unter öffentlichem Desinteresse ihre Karrieren schon wieder beendet. Hozier sammelte stattdessen Kräfte, wärmte sich 2018 mit einer EP auf und liefert nun ab.
Die Nachwehen der "Nina Cried Power"-EP sind deutlich zu spüren. Deren Titeltrack eröffnet auch "Wasteland, Baby!": An der Seite von Gospel-Sängerin Mavis Staples singt Hozier über Menschen, die sich lautstark gegen Ungerechtigkeiten einsetzen. Inspiration für das Lied fand er in der Musikerin und Aktivistin Nina Simone: "And I could cry power / Power has been cried by those stronger than me / Straight into the face that tells you to rattle your chains / If you love being free."
Ob Gospel, Blues oder Folk: Der Ire verbindet seine musikalischen Vorlieben mit politischen und gesellschaftskritischen Inhalten sowie einem Gespür für hochwertigen Pop. Das bewies er schon 2014, als er mit "Take Me To Church" einen Welthit schrieb, der im dazugehörigen Video Kritik an Russlands Umgang mit der LGBT-Gemeinschaft übte. Auch auf "Wasteland, Baby!" wird er nicht müde, Missstände wie die nukleare Bedrohung, den Umgang mit Menschen auf der Flucht und den allgemeinen Verlust von Moral anzuprangern.
Dem optischen Eindruck zum Trotz ist Hozier kein moderner Jesus. Sein Fokus liegt verstärkt auf der Musik statt auf den Inhalten. "Almost" steckt mit einem verspielten Riff und Klatsch-Snares an, "Shrike" beruhigt mit einem akustischen Arrangement, und "Be" gerät dank einer verzerrten Gitarre zum Rockmoment der Platte. Mal euphorisch, mal melancholisch, ohne den roten Faden zu verlieren, wechselt er immer wieder die Stimmungen.
Hoziers charakteristische Baritonstimme hält das Album zusammen. Die setzt er gekonnt ein, was er auf "To Noise Making (Sing)" sogar in Kombination mit einem Gospelchor beweist. "You don't have to sing it nice, but honey sing it strong / At best, you find a little remedy, at worst, the world will sing along", spricht er auch seinen Hörer_innen Mut zum stolzen Einsatz ihrer Gesangsstimme zu.
Für "Wasteland, Baby!" haben sich fünf Jahre Wartezeit gelohnt. Hozier kennt seine Stärken, besitzt eine musikalische Vision und hat ein Interesse an der Welt. All das verwandelt er in hervorragende Popstücke. Einzig und allein der Mangel an frischen Ideen, die "Wasteland, Baby!" vom Debütalbum abheben, ist ihm zur Last zu legen. Spätestens 2024 erfahren wir, ob Hozier hier nachbessert.
Noch keine Kommentare