laut.de-Kritik
Der neue Diabetes Typ 3.
Review von Franz Mauerer"Bicstan", der Acid-Überhit von Hudson Mohawkes neuem Album "Cry Sugar" ist der Sound, zu dem Brandenburger Mittvierziger mit Zigge im Mund auf ihren versifften Nikes moonwalken, während ihr zuschaut und in Mountain Dew aufgelöste Zuckerwatte schlürft. Sieben Jahre mussten wir auf ein neues Album von Mohawke warten, gelohnt hat es sich allemal. Der Schotte und langjährige LA-Einwohner Ross Birchard ist seit mindestens einem Jahrzehnt Trendsetter in allem Elektronischen von Club bis Rapproduktion, wie es sonst wohl nur Flying Lotus für sich reklamieren kann. Nicht zuletzt dank TNGHT ist er kommerziell jedoch erfolgreicher.
Auf "Cry Sugar" hat er ein offenes Ohr für Hyperpop gefunden, stellenweise fühlt es sich an wie eine Soul-getränkte Weiterentwicklung seiner Hip Hop-Produktionen - der gute Mann mit der beeindruckenden Kundenliste arbeitet nach wie vor für Kanyes Very Good Beats. Am stärksten merkt man das neben den zahlreichen Soul-Samples bei "Dance Forever", in dem Hudson die Hoover-Synths in Formation zu einem Beat aufmarschieren lässt, und in "Bow", das zu Beginn von "Yeezus" stammen könnte, bevor er sich Richtung Neptunes orientiert.
Gleichwohl bleibt die Verbindung aus Hyperpop und House das prägende Element von "Cry Sugar", nachzuhören im hochgepitchten Werbejingle-Pop "Behold", zu dem man bei PC Music applaudieren wird, ebenso im Loli-Level süßen "Come A Little Closer". Der klassischste House-Track versteckt sich gleich hinter dem R'n'B-Opener "Ingle Nook", nämlich "Intentions", ein hervorragendes Sample-Fest im astralleichten Housegewand. Auch zu Happy Hardcore finden sich einige Querverweise, allerdings atmet "Cry Sugar" eine ganz andere, schwangerere Luft als Fracus & Darwin, hier ist nichts mechanisch und Techno weit weg. Selbst wenn Hudson Mohawke schon immer Sympathie für Happy Hardcore und vor allem Darren Styles durchschienen ließ, passt er nach wie vor nicht in die Ecke, dafür denkt er viel zu sehr in Harmonien.
Die Abwechslung auf "Cry Sugar" ist bemerkenswert, auf das dunkle "Bow" folgt die fröhliche Sommer-House-Fingerübung "Is It Supposed", deren dunkles Gegenstück "Tincture" weiter hinten lauert, und der sorgfältig arrangierte Streicherreigen von "Lonely Days". Was alle Songs auf diesem Album eint, ist ihre Unverwechselbarkeit, ihr Mut, alle Ideen konsequent zu Ende auszuführen. "Stump" klingt wie ein klirrend kaltes Outro, ist aber der sechste Song dieses 19-Stück-Molochs. In seiner epochalen Klarheit erinnert es an Niklas Paschburg, kaum eine Spielart elektronischer Musik, die auf "Cry Sugar" nicht zumindest angerissen wird.
Mit Ausnahme vom eintönigen "Come A Little Closer" sind alle bislang genannten Songs nicht nur handwerklich perfekt, sondern musikalisch abwechslungsreich, gleichzeitig detailversessen und mitreißend. Die Stilblüten werden vom harzigen Karamell des Albums zusammengehalten, eine solche Überdosis Emotionalität gab es im Club bislang selten. Und da beißt die Maus keinen Faden ab, Mohawke macht nach wie vor Musik für die dunklen Tempel dieser Welt. Die Sattheit dieses Werks muss man riechen, fühlen, schmecken, wie im tollen und wie so viele Songs auf "Cry Sugar" im positiven Sinne nicht enden wollenden "Rain Shadow", das in seiner Exaltiertheit an Orlando Higginbottom erinnert.
Doch selbst Birchard gelingt nicht alles: "Redeem" bleibt der Gospel im Hals stecken, "KPIPE" ist mehr Echolot als Song und "Some Buzz" nicht viel mehr als eine soulige Skizze. "3 Sheets To The Wind" gerät etwas eindimensional, der Bass in der zweiten Hälfte macht Spaß, die zündende Idee fehlt aber. Mohawke versteckt auf diesem Album keinen noch so kleinen Flecken, alles wird dem Hörer quasi gleichberechtigt unmittelbar vorgesetzt, alle Muskeln gezeigt, die paar Schwächen aber auch bloßgelegt.
Im Endeffekt ist das Album nur etwas zu lang, sonst würde es für noch höhere Weihen reichen. "Cry Sugar" ist vor allen Dingen wahnsinnig unterhaltend, so wie man sich als junger Mensch vom Land ein Festivalerlebnis wie das Pangea vorstellt (bevor man dort war), alles zu viel und von allem will man mehr, sogar wenn er den Vangelis gibt auf "Ingle Nook Slumber". Mohawke ist auf "Cry Sugar" noch mal deutlich gewachsen und man wird das Gefühl partout nicht los, dass es für ihn doch nur eine Fingerübung war.
3 Kommentare mit 8 Antworten
Die Rückkehr der 90er Cheese. Könnte man stellenweise auch locker Dunes Hardcore Vibes reinmixen. Letztes Album fand ich besser, aber es gibt schlimmeres.
*des
Was gibt's denn an Hardcore Vibes auszusetzen?
Latürnich bloß, dass da Verena von Strenge noch nicht mit von der Partie war und erst durch ihren Einstieg konnten Dune ihr volles Potential entfalten und zu der Happy Hardcore-Übermacht auf Europas Tanzfluren reifen, die sie eben erst deutlich nach "Hardcore Vibes" wurden.
Mindestens künstlerisch und bestimmt auch vong kommerziellen Erfolg und der Ästhetik her wird der Dünen-Oli ihrem Abgang sicher bis heute täglich kräftig hinterher weinen.
Daher selbstredend "Rainbow to the stars" ftw.
https://invidious.namazso.eu/watch?v=MXjGx…
♥ Verena ♥
Der Dune-Oli ist aber immer noch aktiv, meine ich.
Mir war aber gar nicht bewusst, dass die nur 2 Jahre lang Erfolg hatten...Hardcore Vibes kam ja 1995 und diese Orchester-Platte mit dem Cover von Who Wants To Live Forever schon Ende 96, danach war's das! (zumindest mit Verena ) Hatte da immer ne längere Zeitspanne im Kopf, schon schade eigentlich.
Lieb das Album. Stellenweise ultra andstrengend siehe KPIPE. Aber meistens pure freude wie come a little closer, behold, bicstan, 3 sheets.
9/10
Ist halt die Frage bei Hyperpop, ob ironische Kacke nicht trotzdem Kacke ist.
Ach, diesmal zur endgültigen Gewissheit für alle Be(nach)teiligten:
HAHAHAHAHA, User X, voll die gute Retourkutsche!!! Da haste es mir so richtig gegeben! Vernichtung durch Verwandeln einer einfachen Vorlage!! Superklug und gewitzt, hahahaha!
Wirst du das von nun an unter jeden deiner Beiträge schreiben?
Wer seine Verteidigung erklärt, offenbart Schwäche. Gleichnis 50 v. L.
Scheint hier nötig zu sein, und für Benachteiligte mach ich immer gern ein paar Kompromisse