laut.de-Kritik

Rhythmische und soulige Musik, die entspannt und luftig daher fließt.

Review von

Wie heißt es so schön im Intro, "I'm the Producer, I Understand Everything". Das trifft wie die Faust aufs Auge. Denn I.L.L. Will ist eigentlich Produzent und Remixer solcher Hamburger Größen wie Nico Suave, Eins Zwo, Deichkind und den Broten sowie anderer Rap-Acts aus deutschen Landen. Deshalb ist "L.P. Nicht vollständig" auch keine Platte im herkömmlichen Sinne. Nicht Will selber schwingt sich vom Produzentenpult ans Mikro, statt dessen hat er sich erlesene Gastrapper ins Studio geholt, um dies Mini-LP zu kreieren.

Da triftt sich die kleine, aber feine Ansammlung von Zora, Nico Suave, Eins Zwo, Square One, Curse und den Blumentöpfen. Die Tracks sind von den Protagonisten selber komponiert, Will ist der, der alles zusammen stellt und produziert. Eine runde Sache könnte man meinen, aber ein Großteil der Platte sind Interludes und Skits, eingerahmt von einigen Tracks. Es ist halt nur eine Mini-LP, kein großes ganzes Werk. Aber der Kauf lohnt sich trotzdem. Die Tracks selber sind wie ihre Schöpfer A-Klasse. Angefangen bei "Kein Stress" mit dem suaven Nico, der auf sehr sympathische Weise andere Möchtegern-Rapper anmault und sich selber lobt. Normalerweise nicht seine Art, aber was sein muss, muss wohl sein. Mit Tiefen und bassigem, unrhythmischem Beat, der gut reinhaut. Curse ist auf "Feuchte Aussprache" so, wie man ihn aus "Von Innen nach Aussen" kennt: real, ehrlich, offen und direkt. Mitten ins Gesicht und ohne Rücksicht, aber genau darum verdient der Mindener sich so viel Respekt. Das ist eine Referenz an den Stand des deutschen Hip Hop und die Einstellung der Wannabe-MCs, die nur karrieregeil sind. Ein tighter Track, der einen fast souligen, groovigen Rhythmus hat und einen hundert-prozentig eingängigen jedoch ruhigen Beat.

Ganz im Gegensatz dazu präsentiert sich der wilde Dendemann von Eins Zwo erst als Announcer im Interlude, um dann in "Cro & Pontra" vor einem überraschend jazzigen Hintergrund zu rappen. Man stelle sich vor, da klimpert ein Pianospieler in einer Bar und Dendemann rappt mit seiner unverkennbaren Stimme. Im Hintergrund klatscht ein lebhaftes Publikum und ein Gitarrensolo lässt mitwippen und ist schön anzuhören. Dazu Dendemanns humorvoll-kritische Texte und fertig ist "Cro & Pontra". Den eingespielten tosenden Applaus am Ende verdient sich der Track wirklich, denn es ist ein ganz anderer, frischer Hip Hop. "Save The Children" ist von den Lyrics her nachdenklich und bietet nicht die nervende Seichtheit. Mit Saxophon- und Vibraphon- und Trompeten-einlage ist der Track wie ein Ruhekissen, bis der Beat zum Ende hin lauter wird und stärker durchschlägt.

Auch "Strandgut" macht Laune und weckt durch den Sound von rauschenden Wellen im Hintergrund Visionen vom Urlaub am Strand. Kombiniert mit einem melancholischen Text zum Nachdenken besticht der Track durch große Lyrics mit Tiefe und Symbolkraft. Den Song der Töpfe kennt man zum Teil schon von ihrem letzten Album her kennen. "Liebe & Hass" wurde viel gespielt und sehr gelobt. Teil zwei des Tracks klingt sehr groovy mit großartig-humorvollen und verständlichen Lyrics, die Ernst und Humor verbinden. Sehr kreativ, sehr sympathisch, super storytelling. Dazu die klingende Posaune, und ab geht die Feier und der Liedspaß. Am Schluss ist nochmal Zeit zum Ablachen. "Frag Kalle" ist eine grandiose Interlude, da man kann den Hamburger Humor einfach nur lieben. Ganz zum Ende wird es heiß in Altona, denn die 70er sind eingefallen und Shaft ist im Haus. Die Melodie ist nur eine Spur zu schnell, doch Saxophon und Schlagzeug geben dem Ganzen 70ies-Flair. Ein Sample von "Boulevard" aus den 70ern und wenn dann das richtig lange, schöne, funkige Saxophonsolo anfängt, hört alles auf ... nicht wirklich zum Tanzen, aber Mitgehen und -schnippen ist auch hier immer drin.

Alles in allem ist "L.P, Nicht Vollständig" nicht nur wegen des Titels eine Ausnahmeproduktion. So etwas hört man im deutschen Hip-Hop eher selten. Rhythmische, soulige, jazzige Musik, die sehr entspannt und luftig daher fließt, die mit ehrlichen, direkten Texten gespickt ist, mit Nachdenklichkeit und überschwappendem, begeisternden Humor. I.L.L. Will ist wahrhaftig ein Top-Produzent, und die Gastrapper haben sowieso einiges auf dem Kasten. Anhören ist die Devise, und zwar vollständig!

Trackliste

  1. 1. The Producer Pt. I
  2. 2. Kein Stress(von & mit Nico Suave)
  3. 3. Chaos Total(Interlude)
  4. 4. Feuchte Aussprache(von & mit Curse)
  5. 5. The Producer Pt. II
  6. 6. Cro & Pontra(Interlude)
  7. 7. Cro & Pontra(von & mit Eins,Zwo und Ladi Geisler)
  8. 8. Lia(Interlude)
  9. 9. Save The Children(von & mit Square One und Wolfgang Schlüter)
  10. 10. Mundstück
  11. 11. Strandgut( von & mit Zora)
  12. 12. Liebe & Hass Teil II (von & mit Blumentopf und Rainer Sell)
  13. 13. Frag Kalle
  14. 14. B-Boys On The Boulevard(Shaft In Altona)
  15. 15. See You

Videos

Video Video wird geladen ...

Noch keine Kommentare