laut.de-Kritik
Die Meme-Rapperin aus der Nachbarschaft greift nach den Sternen.
Review von Yannik GölzEs ist eine Weile her, seit wir einen amtlichen Meme-Rapper hatten. Schaut man bei Ice Spice in die Kommentare, wird man regelrecht erschlagen - da will jeder witziger als der nächste sein. Damit steht die New Yorker Rapperin in Tradition mit Lil Nas X oder Babytron, unterscheidet sich von denen aber in einer Tatsache: So ein richtig offensichtliches Gimmick hat die Drillerin eigentlich nicht. Das, wofür sie verarscht wird, ist das, was ihre Musik für andere ziemlich cool macht: Sie rappt einfach nur wie irgendein Mädchen von nebenan.
Das hat zumindest gereicht, um ihren großen Song "Munch (Feelin' U)" immens viral gehen zu lassen. Hört man sich den an, rafft man schnell, warum gerade die Fachpresse wie Pitchfork darauf so durchgedreht ist. Drill hatte lange nicht mehr ein richtiges Pop-Gesicht, zumindest nicht, seit Pop Smoke gestorben ist. Und Ice Spice macht einen ganz anderen Stil an Drill; Sample-Drill, der die letzten Jahre besonders Brooklyn im Griff hielt, also richtig cheesy Liebes-Balladen mit dieser Drill-typischen und eigentlich aus England importierten Bass-Säge, am besten über irgendwelche kitschigen oder TikTok-freundlichen R'n'B-Loops.
"Munch (Feelin' U)" braucht dieses Sound-Gimmick gar nicht, weil Ice Spice das hat, was all die Dougie Bs und B-Lovees nicht unbedingt haben: Charisma. Ihre Stimme klingt meistens ein bisschen zu gechillt, sie hat dieses Gefühl von jemandem, der noch nicht unbedingt super-lange rappt, aber man kann argumentieren, dass sie gerade dadurch eine ziemlich coole Rapstimme entwickelt hat. Dazu hat sie dieses Vokabular, sie verwendet "to munch" unerklärlich als Substantiv, klingt non-chalant und gelangweilt, wenn sie sich konstant als ein "baddie" darstellt, der bekommt, was e r will, nimmt man es ihr ab.
Viraler Hit, klare Persönlichkeit, klarer Sound – so weit, so gut. Was jetzt? Ihre erste EP "Like..?" kommt theoretisch zur richtigen Zeit, schnell genug, so lange sie noch heiß ist, auch wenn die anderen Singles "Bikini Bottom" und "In Ha Mood" nicht unbedingt neue Höhen erreicht haben. Ehrlicherweise hatten diese beiden Singles Grund genug gegeben, direkt wieder ein wenig am Phänomen Ice Spice zu zweifeln. "Bikini Bottom" hatte das Gimmick-hafte Spongebob-Sample, aber immerhin immer noch eine einprägsame Hook und eine Menge Energie. Das EP-Intro "In Ha Mood" war schon ein ziemlicher Rohrkrepierer; da war gerade noch so ein bisschen Attitüde im Spiel, aber der Beat wechselt vom schlechten Drill zu schlechtem House Rap, und eine Hook entsteht auch nicht.
Da darf man freudig vermerken, dass der Rest der EP zwar nicht unbedingt Bäume ausreißt, aber durchaus ein paar Treffer verbucht. "Princess Diana" bedient sich ein wenig schamlos bei den Stadtgenossen Sha EK und Blockwork, die auf dem Song "D&D" einen sehr ähnlichen Beat benutzten, aber statt klassischem Drill-Talk ernennt sich Ice Spice hier zur Lady Di New Yorks. Wenn sie dann auch noch flow-mäßig ziemlich gut mit diesem eben schon als großartig erprobten Beat umgeht, kann da nicht viel schief gehen.
Die Lil Tjay-Featurenummer bedient sich an dem eingangs erwähnten Trend zum R'n'B-Sampling für Drill-Songs. Weil Lil Tjay aber in diesem Genre inzwischen ziemlich routiniert arbeitet und Ice Spice mit dem bekunden der eigenen Schüchternheit wieder einen ziemlich interessanten Moment in die Hook platziert, bleibt auch das im Kopf. "Acting A Smoochie" bleibt am wenigstens im Kopf, aber immerhin zeigt der Jersey Club-inspirierte Song ein bisschen Bereitschaft, musikalisch in Richtung neuer Horizonte zu gehen.
Es gibt eine positive und eine negative Diagnose zu "Like..?". Auf der guten Seite zeigt Ice Spice, dass sie mehr als ein Ein-Verse-Wunder ist, dass sie durchaus über mehrere Songs immer wieder diese seltsamen, charismatischen Formulierungen findet, dass ihr Hooks mit Ansage glücken. Die schlechte Seite ist, dass sie trotzdem noch ein bisschen Entwicklung als Artist braucht. Noch klebt sie zu ängstlich an den musikalischen Trends der Stunde. Auch, wenn sie die Konzepte ganz solide umsetzt, kommen da keine neuen Impulse zustande. Für einen ersten Eindruck bringt "Like..?" durchaus mehr gute Songs als schlechte an den Start und soll vermutlich auch nicht mehr als einen Appetizer bedeuten. Wie ein richtiges Ice Spice-Album aussehen könnte, tut sich damit aber noch nicht so recht auf.
3 Kommentare
Bissel durchgeskippt. Aber puuuh das ist einfach nur langweilig.
Ist jetzt alles mit einer Dubstep-Bassline Drill?
Erst durch die Newcomer-Liste bemerkt, daß sie hier noch kaum besprochen wurde. Netzkönigin isse allemal längst.
Ich reiche aber mal das obligatorische "Die Meme-Rapperin aus der Nachbarschaft greift in den Schritt" nach. Gern geschehen.