laut.de-Kritik

Selbstverschuldeter Klimawandel.

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Der kalte Nordwind weht mal wieder die mies gelaunten Dänen von Iceage herbei. "Seek Shelter" raten sie einem dabei zwar, das hätte bei den Vorgängerwerken aber auch schon nicht geholfen. Zu unwiderstehlich war bislang in der gesamten Diskographie das kaum mit Gesang zu titulierende Genöle von Sänger Elias Bender Rønnenfelt und das Gefühl, vom Rest der Band eine Klippe hinuntergestürzt zu werden. Dabei gab es eine stete musikalische Weiterentwicklung und diese ist nun auch beim Ende 2019 in Lissabon aufgenommenen "Seek Shelter" prägend.

Der U-Turn kommt bei Iceage nicht so abrupt wie etwa bei Ceremony. Der gelungene Vorgänger "Beyondless" ließ viele Ansatzpunkte zu, von Vaudeville bis Hardcore. Iceage entschieden sich, weiter der Duftmarke des jungen Nick Cave zu folgen. Das verbanden sie mit einem Labelwechsel zu Mexican Summer und der Anstellung eines Gitarristen, der sich zumindest mexikanisch anhört: Casper Morilla Fernandez von Less Win.

Iceage klingen wie The Horrors früher mal waren, die fünf Mannen haben die breitbeinige Geste für sich entdeckt, samt Keyboard und Klimbim. Dass das eines der schwersten Stilmittel ist, zeigt "Shelter Song", eine Art Bombast-Britpop, Abbiegung Stadion-Blur und Mando Diao. Der Track, mit etwas Hilfe des Lisboa Gospel Collective, findet keine gescheite Formensprache in seiner wogenden Schunkelei, die nirgendwo hinführt. Überhaupt, das Auflösen von Songideen. Beim eigentlich guten "High & Hurt" fragt man sich auch nach der Hälfte, ob der Song jetzt nicht auserzählt sei. Früher lösten Iceage Songs mit Härte und/oder Ruptur auf und Rønnenfelt machte knarzend 'sein Ding'. Jetzt umgeben die Songs ihn, umspielen ihn, er ist die Hauptattraktion. Am selben Strang ziehen sie aber zu selten. Zu konstruiert, zu wenig Spielfreude, wie auch auf "The Holding Hand", bei dem nach drei Minuten Aufbau auch egal ist, dass dann die für dieses Album typische große Soundsauf-Geste ohne echte Katharsis kommt.

"Seek Shelter" ist trotzdem insgesamt gut, und daran ist Produzent Sonic Boom (Pete Kember von Spacemen 3), der schon die frühen MGMT und Panda Bear betreute, vermutlich nicht unschuldig. Denn so sehr der für seinen ausufernden Stil Bekannte Schelte verdient hat, sind die guten Songs wie "Love Kills Slowly" vielschichtig und angenehm komplex geraten. "The White Powder Blue" geht in der Mitte mal auf und erinnert dann an Wavves. Dem ganzen Album würde man wünschen, die Gitarren einfach mal laufen zu lassen, um mehr Struktur reinzubringen. Hier bringen die Bläser dann auch mal echten Mehrwert. Albumhighlight "Gold City" kommt ohne viel Quatsch aus und schon kriegen die Dänen einen mitreißenden Refrain zustande. Auf "Drink Rain" gibt der Sänger recht gekonnt den verlorenen Liebhaber-Filou, wollten sich Messer auf "Jalousie" anhören. Die Single "Vendetta" ist flott, aber ohne geniale Momente. Ein etwas schnellerer The Rapture-Song ohne das Drama. Nur Albumtiefpunkt "Dear Saint Cecilia" ist egal. So richtig schlecht können Iceage nicht schreiben, aber die Ode an die Rockpatronen ist eine häretisch fade Midtempo-Nummer, bei der man am Autoradio an den Höhen und Tiefen rumstellt und Rønnenfelt uninspiriert wirkt.

In seinem Bemühen, nach Nick Cave zu klingen, klingt Rønnenfelt immer weniger nach Cave und mehr nach Björn Dixgård. Auf "The Lord's Favorite" quillte aus jeder Ecke der Geist des Australiers, auf "Seek Shelter" ist er weniger zu finden. Rønnenfelt wurde vom Produzenten viel weiter nach vorne in den Mix gestellt. Das ist keine per se schlechte Entscheidung, der Sänger nimmt diese Aufgabe an und klingt melodischer als jemals zuvor.

Singen kann er deswegen aber immer noch nicht und jetzt fällt es auf, wo das Obsessive und Mantra-artige fehlt. Rønnenfelt ist stimmlich gar nicht so weit von Peter Doherty weg. Nur der Clou an dem ist, dass ihm alles egal ist und er das eigene Geschmachte mit einem Augenzwinkern garniert, das dem dänischen Troubadour vollkommen fremd ist. Unironisch und nicht wütend fehlt der Zugang zur eigenen Stimme, hat man den Eindruck. Der Frontmann bleibt ein ordentlicher Texter, der den Ansatz, gut klingende Versatzstücke aneinander zu kleistern, mit Haiyti teilt. Anders als früher sind Iceage keine Attacke auf die Gehörgänge mehr, eine Herausforderung für die Gefühlssynapsen bleibt die Band aber – unter Herzschmerz macht es der Elias nicht.

"Plowing Into the Fields of Love" und "Beyondless" kanalisierten eine Wut und Energie, die jetzt schlicht nicht mehr da ist. Gut, dass Iceage Wandel nicht im Gletscher-Tempo realisieren und hier ist genug Talent im Songwriting für fünf Alben. Aber Iceage fühlen sich weniger wie eine Band an, "Seek Shelter" hat den Charakter einer Soloplatte des Sängers. Dazu kommt, dass die Eiszeitler, zumindest Stand jetzt, einfach keine Stadionband sind. Zu sehr scheint das unterdrückte Händeringen mit den eigenen Emotionen durch. Katharsis durch Bombast ist einfach nicht das Ding dieser Gruppe und dementsprechend ist "Seek Shelter" nicht Fisch noch Fleisch.

Trackliste

  1. 1. Shelter Song
  2. 2. High & Hurt
  3. 3. Love Kills Slowly
  4. 4. Vendetta
  5. 5. Drink Rain
  6. 6. Gold City
  7. 7. Dear Saint Cecilia
  8. 8. The Wider Powder Blue
  9. 9. The Holding Hand

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