laut.de-Kritik

Die Party am Strand versinkt in der Flut.

Review von

Fragt ihr euch auch manchmal, wie sehr ein Albumcover die Musikwahrnehmung beeinflusst Besonders bei (mehr oder weniger) instrumentaler Musik: Als der britische DJ Iglooghost vor acht Jahren sein Debütalbum "Neo Wax Bloom" veröffentlichte, eröffnete sich mir dieses progressive Stück MIDI-Madness wirklich als eine Welt, in der digitale Pikmin-Wesen mit Hexenhüten durch Glasfaserkabel surfen. Ich schwöre, ich habe ihr Wuseln und Gekicher hinter allen Mini-Arpeggios und schrillen Synths gehört.

Jetzt hat er ein neues Album, und dieser visuell denkende Dude hat es wieder geschafft. Höre ich Tracks wie "Coral Mimic", erinnere ich mich an ein altes Aphex Twin-Interview, in dem er erzählt, wie er zu Beginn seiner Karriere Sets an Strandraves in Bristol gespielt hat, gerade in der Dämmerung. Iglooghost holt diese englische Küsten-Molly-Kultur zurück und lässt eine geologisch unlogische, futuristische Tsunamiwelle darüberkrachen.

Wie macht das bitte als Assoziationskette für zwei Alben Sinn, die an vielen Stellen recht ähnlich klingen? Iglooghost selbst spricht von Worldbuilding und ganzen Jahren, in denen er einzelne übergeordnete, ästhetische Visionen speichert und dann versucht, in seinem Stil diesen zuzuarbeiten. Als visueller und auditiver Artist ergäbe das Sinn. Aber es wäre doch eine sehr beeindruckende Fähigkeit zur Assoziation, wenn wir das ohne diesen Nudge am Anfang so komplett annehmen würden, oder?

Elektronische Musik verleitet zum Abschweifen: Als jemand, der viele Reviews zu Aphex Twin, Autechre oder Tim Hecker gelesen hat (hell, checkt diesen etwas jüngeren Text zu "Archive 18-23" von Crosspolar, da mache ich es selbst), kommt mir das oft als müßig und etwas random vor. Aber genau das macht Iglooghost so interessant: Seine Musik hat einmal die Achse, einfach nur als EDM sehr hart zu gehen. Aber sie versteht sich auch sehr bewusst als den Entwurf einer Welt.

Hört man sich aber durch das Album, fällt es sehr schwer, für diese Musik ein Vokabular zu entwickeln, das über blanke Vibes hinausgeht. Teilen wir auf, was in seiner Musik zu alten Alben konstant geblieben ist – und was sich neu entwickelt hat. Ersteres geht schnell: Er spielt immer noch prägnant mit diesen konstant mutierenden Arps, die offensichtlich IDM-Wurzeln haben, aber durch ihr Sperren gegen den Loop-Modus eine Lebendigkeit annehmen, die wie Jazz-Soli klingen. Iglooghost widersetzt sich auf all seinen Alben der Statik und der Robotik. Ja, es klingt cyber, aber es ist die lebendigst klingende digitale Musik, die man sich denken kann.

Tatsächlich finden sich auf "Tidal Memory Exo" aber eine ganze Brigade an Drones und Bässen, die ominös und großflächiger agieren. "Blue Hum" ist von diesem ominösen, drohenden Basston grundiert. "Echo Lace" dröhnt wirklich, als lauerten Untiefen. "Dewdrop Signal" teilt nicht dieses Gefühl von Urgewalt, aber auch hier gehen die Bassfüße tief. Diese dröhnenden Bassläufe und ihr Gefühl von Versunkensein, von Tektonik dürften die definitive Methode dieses Albums sein.

Interessant ist dabei dass diese Bass-Tektonik nicht dem Modus seiner Synths und Melodieläufe folgt: Sie ist definitiv sperrig, geloopt und störrisch. Dieser Kontrast macht das Album so unterschwellig unheimlich. Man könnte sich einbilden, hier wurde auf ein paar der großen Weltuntergangsalben gelinst: "Flood" von Boris oder "F#a#infinite" von Godspeed You! Black Emperor.

Vielleicht überdreht der Vergleich, aber da ist definitiv etwas in "Tidal Memory Exo", das seinem Cover sehr gerecht wird. Es ist immer noch die typische Rave-Musik, es ist kein großes Konzeptalbum und fühlt sich nicht akut wie "Flood" an. Aber dieser Kontrast ist eigentlich das Coole: Es ist dieselbe, surreale, lebendige Party, aber nun stehen wir wirklich am englischen Strand und sind zu high, um zu bemerken, dass die Wellen mit jedem loopenden Bass ein bisschen höher nach den Felsen und nach unseren Knöcheln greifen.

Trackliste

  1. 1. Blue Hum
  2. 2. New Species
  3. 3. Alloy Flea
  4. 4. Coral Mimic
  5. 5. Spawn01 ft Cyst
  6. 6. flux-Cocoon
  7. 7. Pulse Angel
  8. 8. Echo Lace
  9. 9. Nemat0de
  10. 10. Chlorine-FM (Intermission)
  11. 11. Germ Chrism
  12. 12. Dewdrop Signal
  13. 13. Geo Sprite Exo

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