laut.de-Kritik
Stoisch um Tiefe und Substanz bemüht.
Review von Martin MengeleEin dickes Ausrufezeichen steht seit "Our Love To Admire" hinter dieser Band. Und Paul Banks' Soloveröffentlichung ließ dieses Satzzeichen 2009 zu einem riesigen Wolkenkratzer anschwellen. Allein: Nach drei Jahren häufen sich auch die Fragezeichen. Warum verlässt mit Bassist Carlos Dengler einer der Köpfe die Band am Peak der Erfolgskurve?
Schon als "Lights" im Frühjahr vorab als Download von offizieller Seite freigegeben wurde, stand die Webseite im Zeichen der Veränderung. Vorneweg die Umgestaltung der Corporate Identity mit neuer Typografie im Logoschriftzug aus zerberstenden Betonlettern. Das dazugehörige Video spielte mit surrealen Wachtraumphantasien aus kalter und ultrasteriler Ästhetik. Und schließlich der sperrige Song, der für eine Single doch sehr unkommerziell wirkte.
Das Album gerät dann leider nicht zum erhofften Befreiungsschlag. Die Band wirkt sonderbar stoisch um Tiefe und Substanz bemüht. Fast angestrengt verkopft und zum Ende hin gedankenverloren. Das ist die eigentliche Schwäche dieser neuen Platte. Banks verirrt sich häufig in einem Labyrinth aus in mehreren Ebenen angehäuften Vorder- und Hintergrundstimmen und unterlässt die gewohnte Pointierung.
"Memory Serves" lässt wie aus dem Off die typisch dunkle surf-ähnliche Schrammelgitarre erklingen. Einen solchen Refrain könnte man zwar eingängig nennen, jedoch wirkt er durch die verschiedenen Backgroundstimmen überladen, schwülstig, ja vielleicht sogar schon barock.
"Summer Well" geht dahingehend geschickter vor. Die verschiedenen Stimmebenen sind dort durch mehrere Tonlagen kanonartig voneinander zu unterscheiden und heben sich gegeneinander ab. Dadurch klingen sie nicht direkt wie die Stimmen im Kopf eines Psychotikers.
"Always Malaise" möchte die erhoffte, durch fordernde Bässe getriebene Elegie sein. Der Auftakt setzt in puncto Heulsusigkeit Maßstäbe. Erst nach drei Minuten setzt eine forschere Snaredrum ein und gibt so etwas wie einen monotonen Marschrhythmus vor. Zu spät allerdings, um noch ein Tanzbein in Zuckungen versetzen zu können.
Insgesamt verliert das Songwriting ob all der Ausschmückungen den Unterhaltungswert. Zurück bleibt der Eindruck fehlender Grazie und entschleunigten Tempos. Auf der CD prangt die Silhouette eines Sextanten. Eindeutiger kann Bildsprache nicht sein: Orientierungslosigkeit!
"Safe Without" versöhnt mit dem ersehnten mantrisch-minimalistischen Interpol-Gitarrenlick. Hier blitzt der einstige Perfektionismus in der hauseigenen Produktion durch, wenn die zweite Strophe auf den Punkt getimet über einem dunkel brodelnden Keyboardteppich noch eine weitere Stufe abwärts gleitet. Bei weitem nicht so hirnlastig wie "Lights", sondern herzhaft aus dem Bauch bleibt dies die Wannabe-Hitsingle.
Und nach all den Anstrengungen und Mühen um Tiefe findet zum Auftakt von "All Of The Ways" ein zirpendes Synthie-Echolot doch noch hinab zu wunderbar melancholischen Gründen, dort wo sich Banks' Stimme schließlich mit kaskadierenden Keyboards befreundet. Zwar auch kein Superhit, sondern nur der Beweis, dass diese Band zu einem schlechten Album gar nicht fähig ist.
Hoffen wir aber, dass Paul Banks weitere Hits in einer Schublade hütet, die er als Julian Plenti vielleicht bald wieder öffnet. Oder dass Bassist Dengler bei seinem Abgang die Demos mitgenommen hat, auf seinem Weg zum eigenen Soloprojekt (Namensvorschlag: "Dengler!"). Wo wir wieder bei Satzzeichen sind: Bis auf weiteres wird hinter dem Begriff "Interpol" ein stark grübelnder Gedankenstrich stehen. Punkt.
40 Kommentare
Was soll das denn? Es ist zwar nicht das beste Interpol Album, aber Songs wie Success, Barricade und Always Malaise sind anders aber trotzdem genial! Für mich verdient dieses Album mindestens 4 Sterne!!
Was haste denn? "Es ist nicht das beste Interpol Album" und hat nur drei (oder vier) von potentiell zwölf guten songs
leider wahr. hab mich sehr angestrengt es schönzuhören, aber der schwerelose zauber in den arrangements ist fast völlig dieser seltsamen harmonie-akrobatik gewichen. ich dachte fürs wichsen seien nightwish zuständig ... sehr schade, zumal nach dem tollen plenti-album.
es ist schwächer, als die Vorgängeralben, aber immer noch deutlich über der Genre-Konkurrenz: vier Sterne!
Für mich ist es ebenfalls zum Besten der Interpolalben herangewachsen. Ebenfalls vertrat ich anfänglich die Meinung, dass es nicht so richtig aus dem Knick kommt, wie man so schön sagt. Mir fehlte also die richtige Pointierung. Mittlerweile strotzt das Album vor magischen Pointierungen die einen durch jeden einzelnen Song verzücken. Klar ist das Album anders, nicht so diskotauglich, aber man ist ja auch nicht die meiste Zeit in der Disko, sondern bestreitet den Alltag. Und dieses Album trägt einen ganz besinnlich und mystisch durch die dunklen Wintermonate. Und das ist wirklich groß! Es ist lange her, dass ich mich so intensiv mit jedem der Songsn eines Albums beschäftigt habe und sie mit mir.
hab jetzt das album seit mehreren monaten... anfangs konnte ich (als großer interpol fan) kaum was mit dem album anfangen... mittlerweile ist es für mich auf selber stufe wie Antics. Jeder einzelne Song großartig.