laut.de-Biographie
Jerry Harrison & Adrian Belew
Sommer 1980: David Byrne, Leadgitarrist der Talking Heads, hat mit einer Schreibblockade zu kämpfen. Die zerstrittenen Mitglieder der New-Wave-Band zweifeln an der Fertigstellung ihres vierten Albums. Nur ein Bandmitglied bleibt produktiv: Multiinstrumentalist Jerry Harrison, hauptamtlich Keyboarder, feilt auf den Bahamas zusammen mit Produzent Brian Eno an Songs. Beide sprechen sich dafür aus, für die Aufnahmen in den Compass Point Studios einen zusätzlichen Gitarristen zu engagieren. Die Wahl fällt auf Adrian Belew, der in den Jahren zuvor mit Frank Zappa und David Bowie tourte.
Belew drückt den Songs "Crosseyed And Painless", "The Great Curve", "Listening Wind" und "The Overload" mithilfe eines Roland GR-300 Gitarrensynthesizers und zahlreicher Effektgeräte seinen unnachahmlichen Stempel auf. "The Great Curve" veredelt Belew durch zwei mit seinem Roland GR-300 eingespielte Soli. "Listening Wind" profitiert wiederum von mit einem Electro-Harmonix Echoflanger erzeugten Delay-Effekten. Alle seine Beiträge habe er innerhalb eines Tages abgeliefert, gibt der Ausnahmegitarrist 42 Jahre später im Interview mit Joe Bosso vom "Guitar Player" an.
Auf Anraten Brian Enos engagiert Jerry Harrison Adrian Belew und vier weitere Gastmusiker für die anstehende Tour. Bereits der erste Auftritt der zwischenzeitlich zu einer Neun-Personen-Band angewachsenen Talking Heads auf dem Heatwave Festival in Ontario am 23. August 1980 begeistert das Publikum. Die sprachbegabten Schädel präsentieren sich insbesondere in fünf den Zuhörern bis dato unbekannten Songs noch spielfreudiger und komplexer als zuvor.
Am 8. Oktober erscheint das Endprodukt der fruchtbaren Studiozusammenarbeit zwischen den Talking Heads, Eno und Belew. "Remain In Light" überzeugt mit seiner stimmigen Symbiose aus New Wave und von afrikanischer Musik inspirierter Polyrhythmik Fans und Kritiker gleichermaßen. Die LP erreicht nicht nur am Ende des Jahres 1980 Spitzenplätze in den Jahresrankings zahlreicher Popmusikzeitschriften, sondern wird retrospektiv als eines der besten Alben der 1980er-Jahre betrachtet. Zahlreiche Bands schöpfen Inspiration aus dem Werk. So heben etwa Radiohead den massiven Einfluss des Albums auf "Kid A" hervor.
Jahrzehntelang hält sich das Gerücht, Chris Frantz und Tina Weymouth seien des Leadgitarristen David Byrne überdrüssig geworden und hätten Adrian Belew während der gemeinsamen Tour angeboten, Byrne zu ersetzen. In seiner im Juli 2020 erscheinen Autobiografie "Remain In Love" dementiert Frantz das Gerücht, dieses habe seine Grundlage in einer "Missinterpretation" Belews. Frantz und Weymouth hätten ihm lediglich angeboten, Sänger und Gitarrist des Nebenprojektes Tom Tom Club zu werden.
Zumindest das Angebot, an Songs des Tom Tom Club mitzuwirken, nimmt Belew an – ebenso wie jenes Robert Fripps, Sänger und Zweitgitarrist der nächsten "Inkarnation" King Crimsons, wie der spleenige Mr. Spock of Rock das runderneuerte 1980er-Line-up seiner Band nennt, zu werden. Belew musiziert bis 2009 am Hofe des karmesinroten Königs Robert Fripp – ein als Ritterschlag zu verstehendes Novum in der durch den Perfektionismus und die Launen ihres Bandleaders geprägten Geschichte King Crimsons.
Jerry Harrison wiederum konzentriert sich nach der Auflösung der Talking Heads im Jahr 1991 auf seine Produzententätigkeit. Lange kreuzen sich die beruflichen Wege Harrisons und Belews nicht mehr – bis zum Jahr 2021. Zusammen mit der Brooklyner Band Turkuaz treten sie im Sommer auf mehreren US-Festivals auf, unter ihnen das Peach Music Festival in Scranton (Pennsylvania). Im Zentrum des ersten öffentlichen Auftritts Harrisons seit 1996 stehen die "Remain In Light"-Tracks. Nach drei weiteren Auftritten im Folgejahr kündigen Harrisson und Belew für das Jahr 2023 eine vollwertige Tour durch Nordamerika an, die nach dem vierten Album der Talking Heads benannt wird. Der Keyboarder bezeichnet im Rahmen der Tourpromo den 1980er-Geniestreich und die folgende Tour als "Höhepunkt seiner Karriere". Ziel der Retro-Tour 2023 sei es, das damalige "Vergnügen des Publikums wieder zu sehen".
Im Dezember 2024 erfreuen Jerry Harrison und Adrian Belew ihre Fans in Europa, indem sie für das Frühjahr 2025 eine Tour durch 14 europäische Städte ankündigen. Auch zwei Stationen in Deutschland stehen an: Am 22. Mai tritt das kongeniale Duo zusammen mit einer All-Star-Band in der Hamburger Fabrik auf, einen Tag später im Kölner Carlswerk Victoria. Neben dem Großteil der Tracks aus "Remain In Light" können sich die Zuhörerinnen und Zuhörer auf weitere Highlights aus der Talking-Heads-Diskografie, unter ihnen "Psycho Killer", und King Crimsons "Thela Hun Ginjeet" freuen.
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