laut.de-Kritik

Hier trifft Kitsch auf musikalische Sternstunden.

Review von

Die Bandbreite der Feature-Gäste auf "Bigger Love" flasht, weil sie so kurios ist und von Rock bis Rap reicht: Gary Clark Jr. verbündet sich mit Gastgeber John Legend zur maximalen Pathetik, Gary lässt die E-Gitarre modern-bluesig jaulen, und Legend klingt, als bewerbe er sich für Soundtrack-Aufträge der kitschigsten Romanzen-Blockbuster. Nachdem das Kollabo-Feature "Wild (feat. Gary Clark Jr.)" verklungen ist, bleibt davon nichts haften.

Ganz frei von Pathos, dafür mit Understatement, zeigt sich dagegen Jhené Aiko aus demselben Genre wie Legend, elektronischem R'n'B. John beginnt nahezu acapella. Angedeuteter Handclapping-Beat mischt sich allmählich zart unter seine Stimme. Über dezent gehauchten Synthie-Spuren vermählen sich die Gesänge der beiden, Jhené und John, wie zwei Zungen zu einem Kuss. "U Move, I Move (feat. Jhené Aiko)" wirkt kirchlich, mit einem Bein in der Folktronic. Malerisch und eher nett, denn ein echter Clou an der Nummer fehlt.

Den bietet der 41-jährige Legend an der Seite des 20-jährigen Reggae-Wunderkinds Koffee auf. Das Duett sticht positiv und sehr plötzlich aus dem sanft blubbernden Album-Flow heraus und schreitet abrupt mit Walshy Fire-Ästhetik dazwischen. Durch den plötzlichen Bruch gegenüber den Solo-Songs der Platte wirkt diese Kooperation strategisch 'eingefädelt'. Schließlich veröffentlichen beide bei Columbia, Legend braucht eine jüngere Zielgruppe, Koffee neue Kollabo-Auftritte zur Steigerung der Streaming-Zahlen. Trotzdem gut, denn "Don't Walk Away (feat. Koffee)" wirkt pfiffig, spannend, bringt Intensität und Schwung in den Longplayer.

Der definitive Höhepunkt gelingt dann zusammen mit Rapsody, einer Rapperin mit erwiesener Affinität zur Konzeptkunst. Beim fantasie- und anspruchsvollen "Remember Us (feat. Rapsody)" verlaufen die ersten zweieinhalb Minuten 'Legend pur' zunächst ganz angenehm und so, wie man ihn vom Anfang seiner Karriere kennt. In der Zwischenzeit kam ihm der Soul im engeren Sinne öfter mal abhanden. Aber hier berührt er wieder, packt tiefe Empfindungen in die Worte, die er nun aus der Perspektive eines Traums singt: "Sometimes life turns and twists / Though every hit and every miss / You're the one I kiss (...) Ooh, we loved without borders / Ooh we broke all the rules / ooh, but gravity calls us / let's go back to the moon!"

Rapsody sorgt sofort und wie schon an anderer Stelle für Gänsehaut, wenn sie den Mund aufmacht. Es geht um die Erinnerung an eine Jugendliebe und verschiedene Anekdoten und Momente: den ersten Alkoholrausch, gemeinsame Kirchenbesuche, Halloween-Kostüme, eine skeptische Mama, die etwas dagegen hat, dass die beiden Verliebten zusammenziehen, und es gibt tolle Metaphern und Wortspiele: "You made me laugh 'til we cried / Had knots in our stomach" oder "I still remember your home phone digits / 'Cause I could always call on you", wo call you (dich - übers Festnetz, die 'home phone digits' anrufen) und call on you (auf dich zählen) zu einer Sache verschmelzen.

Von DJ Camper, der bis heute kein eigenes Album draußen hat (vor einem Jahr angekündigt), gibt es wie auch bei Teyana Taylors aktuellem Werk einen Gastauftritt. Camper gebärdet sich in gospeligem Klagegesang, in Verbindung mit einem Geigen-Tremolo. "I'm Ready (feat. Camper)" hört sich religiös, verheult und sehr US-amerikanisch überzuckert an. Schon auch gut und emotional, aber triefend vor Plingpling und Klassik-Zutaten. Ein Fall für die Adventszeit.

Alle anderen Nummern, also Johns Solo-Tracks, verbindet einschläfernder Gleichklang. Aus der dickcrémigen, süßlichen Klangtinktur ragen immerhin das vergleichsweise knackige "Always" mit dem harten Konsistenzgrad von Zartbitterschokolade und die klavierdominierten Balladen "Never Break" und "Conversations In The Dark" in 'Mousse au Chocolat'-Fluffigkeit heraus. Insoweit lässt sich dem Album, das erst einmal nur digital verfügbar ist, mit folgender Faustregel begegnen: Je weiter man im Tracklisting nach hinten vordringt, desto besser wird es.

Die ersten Tracks beschränken sich derweil aufs Prinzip 'Peitsch-Beats eingebettet in Kitsch'. Wer es schafft alle Lieder nacheinander zu hören, die teils wie ein Ei dem anderen gleichen, und hinterher ohne zu spicken sagen kann, wie viele es waren, verdient Bewunderung - wobei man den meisten Kompositionen durchaus eine positive Grundstimmung bescheinigen kann. Aufgrund der essenziellen Handvoll Songs im letzten Album-Drittel ("Conversations In The Dark", "Don't Walk Away", "Remember Us", "Always", "Never Break") ist "Bigger Love" eine annehmbar gute Platte.

Trackliste

  1. 1. Ooh Laa
  2. 2. Actions
  3. 3. I Do
  4. 4. One Life
  5. 5. Wild (feat. Gary Clark Jr.)
  6. 6. Bigger Love
  7. 7. U Move, I Move (feat. Jhené Aiko)
  8. 8. Favorite Place
  9. 9. Slow Cooker
  10. 10. Focused
  11. 11. Conversations In The Dark
  12. 12. Don't Walk Away (feat. Koffee)
  13. 13. Remember Us (feat. Rapsody)
  14. 14. I'm Ready (feat. Camper)
  15. 15. Always
  16. 16. Never Break

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