laut.de-Kritik
Der stilvolle Abgang des einsamen alten Mannes.
Review von Giuliano BenassiIst es möglich, dass man nach 44 Jahren Karriere, über 1500 aufgenommenen Liedern und 500 veröffentlichten Platten allein in Europa und den USA noch etwas Interessantes mitzuteilen hat? Eine Frage, die sich bei einigen Oldtimern der Musikszene aufdrängt.
Nicht bei Johnny Cash: Mit seinem neuesten Werk, "American III: Solitary Man" legt er ein Meisterstück vor, das gleichzeitig der Abschluss eines Zyklus und die Summe einer Karriere ist.
Denn die Aufnahme ist der dritte Teil einer Trilogie, die 1994 mit "American Recordings" begann. Damals griff Produzent Rick Rubin (Red Hot Chili Peppers, Tom Pettys Wildflowers) Cash unter die Arme und zog ihn aus dem Rex-Gildo-Schlager-Getingel heraus, mit dem er sich seit Ende der 70er Jahre hatte abfinden müssen.
Das damals veröffentlichte Album knüpfte künstlerisch und erfolgsmäßig an die legendären "Live in Folsom Prison" und "Live in Saint Quentin" an und gab Cash seine musikalische Identität zurück, die zwischen Country, Rock'n'Roll und Folk angesiedelt ist. Plötzlich saß er nicht mehr zwischen den Stühlen, sondern es kam zu jener Synthese, auf die man schon lange nicht mehr gehofft hatte.
Wie "Unchained" im Jahre 1997 hat "American III: Solitary Man" (2000) die gleiche Struktur des Vorgängers: vordergründig die Baritonstimme und die Geschichten Cashs, getragen von wirkungsvoll einfachen Akustikgitarren und leisen, betonenden Arrangements. Die Stückliste setzt sich zusammen aus Eigenkompositionen, Traditionals und fremdem Material in neuem Gewand.
"Solitary Man" nimmt jedoch eine besondere Stellung ein, weil sie wohl Cashs letzte Veröffentlichung sein wird. 1997 erkrankte er an Parkinson, und trotz des zuversichtlichen Tons seines Kommentars im Booklet zeugt die Fragilität der einst mächtigen Stimme von einem immer stärkeren Kräfteschwund.
Ist das erste Lied, eine trotzige Version von "I Won’t Back Down" von und mit Tom Petty, wohl eine Kampfansage an die Krankheit, gewinnt das Thema des Abschieds im Verlauf der Platte zunehmend an Bedeutung. Neil Diamonds "Solitary Man" bestätigt sein Image als 'Man in Black', Nick Caves "The Mercy Seat" ist eine letzte Hommage an die Glücklosen und Kriminellen, denen er viele seiner Lieder gewidmet hat, "Country Trash" eine lustige Abrechnung mit denjenigen, die ihn als ignoranten Südstaatler abgestempelt haben.
Die Höhepunkte bilden jedoch die Lieder, die direkt mit dem Gedanken an das Ende zusammen hängen. So "I See A Darkness" mit Will Oldham und "I’m Leaving Now" im Duett mit Merle Haggard, das trotz des schmissigen Tons eine untergründige Melancholie hat, die mit "Wayfaring Stranger" den Abschluss der Platte einleitet:
I'm just a poor wayfaring stranger
Travelling through this world below
There is no sickness, no toil, no danger
In that bright land
To which I go
I'm going there to see my father
And all my beloved ones who've gone on
I'm just going over Jordan
I'm just going over home.
Gute Reise, Johnny. Lebe wohl.
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