laut.de-Kritik
Der komplette Auftritt inkl. Dokumentation auf DVD!
Review von Giuliano BenassiEndlich! Bei der Flut an Veröffentlichungen von und über Johnny Cash in den Jahren nach seinem Tod fehlte noch ein wichtiges Zeugnis: Die TV-Aufnahme seines Auftritts im Knast von Saint Quentin 1969. Cashs Anmerkung, dass das Konzert aufgenommen würde, war zwar schon auf dem kurz darauf veröffentlichten Album zu hören, doch die Doku fürs englische Fernsehen war seitdem schwer zu kriegen. Ab und an lief sie in obskuren Großstadtkinos.
Nun liegt sie als DVD der Legacy-Ausgabe des Konzertes bei. Die Digitalisierung scheint ohne große Korrekturbemühungen entstanden zu sein, der Ton ist matt, die Farben verblichen, die Kratzer auf der Filmrolle sind deutlich zu sehen, doch das ist alles Nebensache: Den Machern gelang ein lebendiges Porträt von Cash wenige Monate nach seiner Hochzeit mit June Carter, die ihn dazu bewegt hatte, seinen jahrelangen Drogenmissbrauch (vorübergehend) einzustellen. Sein vorangegangenes Album "At Folsom Prison" war sein erfolgreichstes gewesen, nach seiner Tour durch verschiedene US-Gefängnisse genoss er Kultstatus. Kurzum: Der Man in Black feierte den Höhepunkt seiner Karriere und genoss es sichtlich.
Die erste Überraschung: Er ist gar nicht in schwarz gekleidet, sondern in Jeans, wie seine schwer verbrechenden Zuhörer. Wer die Platte schon kennt, weiß, dass sich Cash deutlich auf die Seite der Häftlinge schlägt und sich Witze über das Wachpersonal erlaubt. Die Stimmung ist aber nicht gewalttätig, sondern erstaunlich entspannt. Wenn er seine Crime Stories wie "Folsom Prison Blues", das mit Bob Dylan geschriebene "Wanted Man" oder "A Boy Named Sue" vorträgt, grölt die Menge. Wenn er in sich kehrt und religiöse Themen anspricht ("He Turned The Water Into Wine"), lauscht sie andächtig und teilweise zu Tränen gerührt. Cash hat sie fest im Griff.
Natürlich auch, weil er Frauen dabei hat. Nicht nur seine eigene, sondern auch ihre Familie, die legendäre Carter Family. Während sich Mutter, Schwester und Tante sichtlich unwohl fühlen, spielt June mit der Aufmerksamkeit, kokettiert mit ihr, was die Insassen hörbar zu schätzen wissen.
Dem britischen Regisseur ging es nicht nur um ein Porträt des Künstlers, sondern um eine Betrachtung der Umstände, durch die ein Mensch in einem Hochsicherheitsgefängnis landet. Von der missglückten Anfangssequenz abgesehen, in der Cash als moderner Cowboy dargestellt wird, untermalt von Szenen aus einem Westernfilm, gelingt es ihm mit Großaufnahmen der Gesichter, die Geschichten der Menschen näher zu bringen, ob es sich nun um Diebe oder um Mörder in Todestrakt handelt. Ein Wärter erzählt die Situation aus seiner Sicht. Geschichten, wie sie der Schauspieler und Schriftsteller Edward Bunker schildert, der ja damals auch dort einsaß.
Eine gelungene Dokumentation also. Merkwürdig, dass sie nur so nebenbei erschienen ist, aber es gibt keinen Grund, sich zu beschweren, denn mit dabei, auf zwei CDs, ist auch der gesamte Auftritt. Zweifellos enthält die 1970 erschienene LP die Höhepunkte des Konzerts, außerdem kam bereits 2000 eine erweiterte Fassung auf den Markt. Doch Cash trat mit Anhang auf, und jeder durfte sein Liedchen vortragen. Den Anfang machte der damals in der Versenkung verschwundene, später als einer der Helden des Rock'n'Roll gefeierte Carl Perkins mit seinem "Blue Suede Shoes" und rauem Rockabilly-Sound. Mit von der Partie waren auch die an die Geschwister Everly erinnernden Statler Brothers. Wunderbar wie immer die Harmonien der Carter Family, mit den Highlights "Wildwood Flower" und der All Star-Version von "Daddy Sang Bass".
Auch lüftet sich das Geheimnis von "A Boy Named Sue", die Geschichte eines Mannes, der wegen seines Namens verständlicherweise sauer auf seinen Daddy ist. In der bislang bekannten Version war eine kurze Textpassage mit einem Pieps übertönt. Nun ist die Unterbrechung weg. Gut, mit "Son of a Bitch" treibt man heutzutage keine Röte mehr in unschuldige Gesichter, aber das Stück hört sich jetzt runder an als 1969, als es die Spitze der Hitparade erklomm.
Für den Preis, den normalerweise eine DVD kostet, erhält man hier eine schöne Verpackung, ein informatives Booklet, den kompletten Auftritt auf zwei CDs und dazu noch die historische Dokumentation. Da bleibt nur eines: Zuschlagen!
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